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Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896.

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artig! perpendikular-malerisch. Schade, daß Du Dich
nicht selber so sehen kannst! Wie siehst Du den
fliegenden Göttergünstling, Mama?"

"Werde nicht unanständig, Junge," sagte die
Frau Doktorin. "Fliege Du nur selber erst mal so."

"Könnte mir nur im Traume einfallen!"

"Was haben wir vom wachen Leben mehr als
unsere Träume?" fragte unsere Frau Nachbarin, und
damit war ich denn damals schon wieder unten
im wirklichen und wahrhaftigen Vogelsang -- in der
besten Nachbarschaft, die auf dieser verworrenen,
feindseligen Erde möglich ist. --

Noch einmal ging ich aus den Ferien nach
Göttingen, ehe wir beiden Nachbarsöhne wieder zu¬
sammentrafen und zwar in Berlin. Am Tage meiner
Abreise aber kam drüben bei Hartleben ein Brief an,
der Alles "zu Hause" veränderte: die neunte Woge,
die Woge des Glückes, des Erfolges rollte heran,
goldglänzend, leuchtend, funkelnd von aller Herrlich¬
keit und Pracht der Welt, spülte hinein in den Vogel¬
sang und trug zurückrauschend Helene Trotzendorff
und ihre Mutter weg daraus. Mr. Charles Trotzen¬
dorff schrieb einen kurzen Brief, in welchem er dürr,
nüchtern und wie als ob es sich so von selber ver¬
stehe, mittheilte, daß er demnächst als zehnfacher
Dollarmillionär sich die Ehre geben werde, alte

artig! perpendikular-maleriſch. Schade, daß Du Dich
nicht ſelber ſo ſehen kannſt! Wie ſiehſt Du den
fliegenden Göttergünſtling, Mama?“

„Werde nicht unanſtändig, Junge,“ ſagte die
Frau Doktorin. „Fliege Du nur ſelber erſt mal ſo.“

„Könnte mir nur im Traume einfallen!“

„Was haben wir vom wachen Leben mehr als
unſere Träume?“ fragte unſere Frau Nachbarin, und
damit war ich denn damals ſchon wieder unten
im wirklichen und wahrhaftigen Vogelſang — in der
beſten Nachbarſchaft, die auf dieſer verworrenen,
feindſeligen Erde möglich iſt. —

Noch einmal ging ich aus den Ferien nach
Göttingen, ehe wir beiden Nachbarſöhne wieder zu¬
ſammentrafen und zwar in Berlin. Am Tage meiner
Abreiſe aber kam drüben bei Hartleben ein Brief an,
der Alles „zu Hauſe“ veränderte: die neunte Woge,
die Woge des Glückes, des Erfolges rollte heran,
goldglänzend, leuchtend, funkelnd von aller Herrlich¬
keit und Pracht der Welt, ſpülte hinein in den Vogel¬
ſang und trug zurückrauſchend Helene Trotzendorff
und ihre Mutter weg daraus. Mr. Charles Trotzen¬
dorff ſchrieb einen kurzen Brief, in welchem er dürr,
nüchtern und wie als ob es ſich ſo von ſelber ver¬
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[93/0103] artig! perpendikular-maleriſch. Schade, daß Du Dich nicht ſelber ſo ſehen kannſt! Wie ſiehſt Du den fliegenden Göttergünſtling, Mama?“ „Werde nicht unanſtändig, Junge,“ ſagte die Frau Doktorin. „Fliege Du nur ſelber erſt mal ſo.“ „Könnte mir nur im Traume einfallen!“ „Was haben wir vom wachen Leben mehr als unſere Träume?“ fragte unſere Frau Nachbarin, und damit war ich denn damals ſchon wieder unten im wirklichen und wahrhaftigen Vogelſang — in der beſten Nachbarſchaft, die auf dieſer verworrenen, feindſeligen Erde möglich iſt. — Noch einmal ging ich aus den Ferien nach Göttingen, ehe wir beiden Nachbarſöhne wieder zu¬ ſammentrafen und zwar in Berlin. Am Tage meiner Abreiſe aber kam drüben bei Hartleben ein Brief an, der Alles „zu Hauſe“ veränderte: die neunte Woge, die Woge des Glückes, des Erfolges rollte heran, goldglänzend, leuchtend, funkelnd von aller Herrlich¬ keit und Pracht der Welt, ſpülte hinein in den Vogel¬ ſang und trug zurückrauſchend Helene Trotzendorff und ihre Mutter weg daraus. Mr. Charles Trotzen¬ dorff ſchrieb einen kurzen Brief, in welchem er dürr, nüchtern und wie als ob es ſich ſo von ſelber ver¬ ſtehe, mittheilte, daß er demnächſt als zehnfacher Dollarmillionär ſich die Ehre geben werde, alte

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Akten des Vogelsangs. Berlin, 1896, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_akten_1896/103>, abgerufen am 24.04.2024.