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Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

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Wahl dieser Lebensart nicht irren; und, wenn dieselbe übel getroffen worden, Schaden und Schande zu befürchten haben mögen.

2. §.

Ich rede aber hier nur von solchen, welche eigentlich die Musik zu ihrem Hauptwerke machen, und in derselben mit der Zeit vortrefflich werden wollen. Wer hingegen die Musik nur als ein Nebenwerk, zu seinem Vergnügen, treiben will, von dem wird zwar in diesem Stücke, nicht so viel, als von jenen, gefodert: doch, wofern er sich alles, was hier und in folgendem gesaget werden wird, zu Nutze machen kann und will; wird es ihm desto mehr Ehre und Vergnügen bringen.

3. §.

Die Wahl der Lebensart, und der Entschluß, diese oder jene, und folglich auch die Musik zu ergreifen, muß mit großer Behutsamkeit angestellet werden. Die wenigsten Menschen haben das Glück derjenigen Wissenschaft oder Profeßion gewidmet zu werden, wozu sie von Natur am allermeisten ausgeleget sind. Oefters rühret dieses Uebel aus Mangel der Erkenntniß, von Seiten der Eltern oder Vorgesetzten, her. Diese zwingen nicht selten die Jugend zu dem, woran sie, die Vorgesetzten, selbst nur einen Gefallen haben; oder sie glauben diese oder jene Wissenschaft oder Profeßion bringe mehr Ehre, oder größere Vortheile, als eine andere; oder sie verlangen, daß die Kinder eben dasjenige erlernen sollen, wovon die Eltern Werk machen; und zwingen sie also eine Sache zu ergreifen, wozu sie, die Kinder, weder Lust noch Geschicke haben. Man darf sich also nicht wundern, wenn die ausserordentlichen Gelehrten, und die besonders hervorragenden Künstler so rar sind. Gäbe man aber auf die Neigung junger Leute fleißig Achtung; suchte man zu erforschen, womit sie sich aus eigenem Antriebe am allermeisten zu beschäftigen pflegen; ließe man ihnen die Freyheit, selbst zu wählen, wozu sie die größte Lust zeigen: so würden sowohl mehr nützliche, als glückliche Leute in der Welt gefunden werden. Denn daß mancher sogenannter Gelehrter, oder Künstler, sich kaum zu einem gemeinen Handwerker geschicket hätte: mancher Handwerker hingegen, ein Gelehrter, oder geschikter Künstler hätte werden können, wenn anders bey beyden die rechte Wahl getroffen worden wäre; bedarf wohl keines Beweises. Mir selbst ist ein Beyspiel von zween Tonkünstlern bekannt, die zugleicher Zeit, vor ohngefähr vierzig Jahren, bey einem Meister gelernet haben, und deren beyder Väter

Wahl dieser Lebensart nicht irren; und, wenn dieselbe übel getroffen worden, Schaden und Schande zu befürchten haben mögen.

2. §.

Ich rede aber hier nur von solchen, welche eigentlich die Musik zu ihrem Hauptwerke machen, und in derselben mit der Zeit vortrefflich werden wollen. Wer hingegen die Musik nur als ein Nebenwerk, zu seinem Vergnügen, treiben will, von dem wird zwar in diesem Stücke, nicht so viel, als von jenen, gefodert: doch, wofern er sich alles, was hier und in folgendem gesaget werden wird, zu Nutze machen kann und will; wird es ihm desto mehr Ehre und Vergnügen bringen.

3. §.

Die Wahl der Lebensart, und der Entschluß, diese oder jene, und folglich auch die Musik zu ergreifen, muß mit großer Behutsamkeit angestellet werden. Die wenigsten Menschen haben das Glück derjenigen Wissenschaft oder Profeßion gewidmet zu werden, wozu sie von Natur am allermeisten ausgeleget sind. Oefters rühret dieses Uebel aus Mangel der Erkenntniß, von Seiten der Eltern oder Vorgesetzten, her. Diese zwingen nicht selten die Jugend zu dem, woran sie, die Vorgesetzten, selbst nur einen Gefallen haben; oder sie glauben diese oder jene Wissenschaft oder Profeßion bringe mehr Ehre, oder größere Vortheile, als eine andere; oder sie verlangen, daß die Kinder eben dasjenige erlernen sollen, wovon die Eltern Werk machen; und zwingen sie also eine Sache zu ergreifen, wozu sie, die Kinder, weder Lust noch Geschicke haben. Man darf sich also nicht wundern, wenn die ausserordentlichen Gelehrten, und die besonders hervorragenden Künstler so rar sind. Gäbe man aber auf die Neigung junger Leute fleißig Achtung; suchte man zu erforschen, womit sie sich aus eigenem Antriebe am allermeisten zu beschäftigen pflegen; ließe man ihnen die Freyheit, selbst zu wählen, wozu sie die größte Lust zeigen: so würden sowohl mehr nützliche, als glückliche Leute in der Welt gefunden werden. Denn daß mancher sogenannter Gelehrter, oder Künstler, sich kaum zu einem gemeinen Handwerker geschicket hätte: mancher Handwerker hingegen, ein Gelehrter, oder geschikter Künstler hätte werden können, wenn anders bey beyden die rechte Wahl getroffen worden wäre; bedarf wohl keines Beweises. Mir selbst ist ein Beyspiel von zween Tonkünstlern bekannt, die zugleicher Zeit, vor ohngefähr vierzig Jahren, bey einem Meister gelernet haben, und deren beyder Väter

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[2/0016] Wahl dieser Lebensart nicht irren; und, wenn dieselbe übel getroffen worden, Schaden und Schande zu befürchten haben mögen. 2. §. Ich rede aber hier nur von solchen, welche eigentlich die Musik zu ihrem Hauptwerke machen, und in derselben mit der Zeit vortrefflich werden wollen. Wer hingegen die Musik nur als ein Nebenwerk, zu seinem Vergnügen, treiben will, von dem wird zwar in diesem Stücke, nicht so viel, als von jenen, gefodert: doch, wofern er sich alles, was hier und in folgendem gesaget werden wird, zu Nutze machen kann und will; wird es ihm desto mehr Ehre und Vergnügen bringen. 3. §. Die Wahl der Lebensart, und der Entschluß, diese oder jene, und folglich auch die Musik zu ergreifen, muß mit großer Behutsamkeit angestellet werden. Die wenigsten Menschen haben das Glück derjenigen Wissenschaft oder Profeßion gewidmet zu werden, wozu sie von Natur am allermeisten ausgeleget sind. Oefters rühret dieses Uebel aus Mangel der Erkenntniß, von Seiten der Eltern oder Vorgesetzten, her. Diese zwingen nicht selten die Jugend zu dem, woran sie, die Vorgesetzten, selbst nur einen Gefallen haben; oder sie glauben diese oder jene Wissenschaft oder Profeßion bringe mehr Ehre, oder größere Vortheile, als eine andere; oder sie verlangen, daß die Kinder eben dasjenige erlernen sollen, wovon die Eltern Werk machen; und zwingen sie also eine Sache zu ergreifen, wozu sie, die Kinder, weder Lust noch Geschicke haben. Man darf sich also nicht wundern, wenn die ausserordentlichen Gelehrten, und die besonders hervorragenden Künstler so rar sind. Gäbe man aber auf die Neigung junger Leute fleißig Achtung; suchte man zu erforschen, womit sie sich aus eigenem Antriebe am allermeisten zu beschäftigen pflegen; ließe man ihnen die Freyheit, selbst zu wählen, wozu sie die größte Lust zeigen: so würden sowohl mehr nützliche, als glückliche Leute in der Welt gefunden werden. Denn daß mancher sogenannter Gelehrter, oder Künstler, sich kaum zu einem gemeinen Handwerker geschicket hätte: mancher Handwerker hingegen, ein Gelehrter, oder geschikter Künstler hätte werden können, wenn anders bey beyden die rechte Wahl getroffen worden wäre; bedarf wohl keines Beweises. Mir selbst ist ein Beyspiel von zween Tonkünstlern bekannt, die zugleicher Zeit, vor ohngefähr vierzig Jahren, bey einem Meister gelernet haben, und deren beyder Väter

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Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuchws_1752/16>, abgerufen am 28.03.2024.