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Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.

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Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.
gewaltiger Geistesarbeit im Innern und nach einem Heldenkampfe
ohne Gleichen den stolzen Bau des Deutschen Reiches begründete.

Unter den Dichtern, die nach Goethe und Schiller die
Herrlichkeit der Bergeswelt besangen, erstrahlt ein Name in
besonderem Glanze: Lord Byron, neben Homer wohl der grösste
Landschafts-Dichter aller Zeiten. Dasselbe "Hohe Lied der Freiheit",
das uns aus Schiller's Tell entgegenklingt, wurde ein Jahrzehnt
später von dem grossen Britten im "Prisoner of Chillon" ange-
stimmt. Nach einem Besuche des alten Schlosses Chillon, hinge-
rissen von dem Zauber des genius loci, schrieb Byron, sozusagen in
einer einzigen Nacht, dieses schöne und erhabene Gedicht, dessen
Hauptinhalt der in langer Kerkerhaft schmachtende Genfer Prior
Bonnivard ist, dem erst nach vielen Leiden die Stunde der
Freiheit schlägt. "Child Harold", eine andere Dichtung Byron's,
zeigt neben einem tiefen Weltschmerze, diesem Erbtheil bevor-
zugter Geister, auch den unverkennbaren pantheistischen Zug,
den Wunsch, ganz in der Natur aufzugehen:

"I life not in myself, but I become
Portion of that around me."

"Sind nicht die Berge, die Wogen und der Himmel ein
Theil von mir und meiner Seele, wie ich ein Theil von ihnen",
so fragt Byron an einer anderen Stelle. Die stolzen, himmelan-
strebenden Berge haben für ihn nichts Schreckhaftes mehr, sie
versinnbildlichen vielmehr das titanische Ringen in seiner eigenen
Brust, und er dichtet auf der Wengern Alp, im Angesichte der
Jungfrau und des Eigers seinen "Manfred", dieses alle Tiefen des
Menschenherzens durchbebende Drama.

Eine mächtige Stütze, deren Dauer sich bis in die jüngste
Zeit erstreckt, erhielt der Alpinismus durch die Werke der grossen
Alpenmaler, durch die herrlichen Schöpfungen der völkerverbin-
denden Kunst. Schon früher, bevor noch den Alpen eine grössere
Beachtung zu Theil wurde, hatte sich die Landschaftsmalerei zu
hoher Blüthe entwickelt. Wie für die Historienmalerei das Cinque-
cento, so ist die eigentliche Kunstepoche der grossen Landschafter
das XVII. Jahrhundert. In der Zeit der Renaissance und des
Classicismus schlummerte das Gefühl für das Naturschöne und
wartete, wie Dornröschen, auf den erweckenden Kuss. Aber um
so grösser waren die Triumphe, die sich die Landschaftsmalerei
in der Folgezeit erwarb! Auf wenige Jahrzehnte finden wir zusammen-
gedrängt Claude Lorrain, den Maler des Lichtes und
der duftigen Ferne, Ruysdael's wasserdurchrauschte Wald-

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Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.
gewaltiger Geistesarbeit im Innern und nach einem Heldenkampfe
ohne Gleichen den stolzen Bau des Deutschen Reiches begründete.

Unter den Dichtern, die nach Goethe und Schiller die
Herrlichkeit der Bergeswelt besangen, erstrahlt ein Name in
besonderem Glanze: Lord Byron, neben Homer wohl der grösste
Landschafts-Dichter aller Zeiten. Dasselbe „Hohe Lied der Freiheit“,
das uns aus Schiller’s Tell entgegenklingt, wurde ein Jahrzehnt
später von dem grossen Britten im „Prisoner of Chillon“ ange-
stimmt. Nach einem Besuche des alten Schlosses Chillon, hinge-
rissen von dem Zauber des genius loci, schrieb Byron, sozusagen in
einer einzigen Nacht, dieses schöne und erhabene Gedicht, dessen
Hauptinhalt der in langer Kerkerhaft schmachtende Genfer Prior
Bonnivard ist, dem erst nach vielen Leiden die Stunde der
Freiheit schlägt. „Child Harold“, eine andere Dichtung Byron’s,
zeigt neben einem tiefen Weltschmerze, diesem Erbtheil bevor-
zugter Geister, auch den unverkennbaren pantheistischen Zug,
den Wunsch, ganz in der Natur aufzugehen:

„I life not in myself, but I become
Portion of that around me.“

„Sind nicht die Berge, die Wogen und der Himmel ein
Theil von mir und meiner Seele, wie ich ein Theil von ihnen“,
so fragt Byron an einer anderen Stelle. Die stolzen, himmelan-
strebenden Berge haben für ihn nichts Schreckhaftes mehr, sie
versinnbildlichen vielmehr das titanische Ringen in seiner eigenen
Brust, und er dichtet auf der Wengern Alp, im Angesichte der
Jungfrau und des Eigers seinen „Manfred“, dieses alle Tiefen des
Menschenherzens durchbebende Drama.

Eine mächtige Stütze, deren Dauer sich bis in die jüngste
Zeit erstreckt, erhielt der Alpinismus durch die Werke der grossen
Alpenmaler, durch die herrlichen Schöpfungen der völkerverbin-
denden Kunst. Schon früher, bevor noch den Alpen eine grössere
Beachtung zu Theil wurde, hatte sich die Landschaftsmalerei zu
hoher Blüthe entwickelt. Wie für die Historienmalerei das Cinque-
cento, so ist die eigentliche Kunstepoche der grossen Landschafter
das XVII. Jahrhundert. In der Zeit der Renaissance und des
Classicismus schlummerte das Gefühl für das Naturschöne und
wartete, wie Dornröschen, auf den erweckenden Kuss. Aber um
so grösser waren die Triumphe, die sich die Landschaftsmalerei
in der Folgezeit erwarb! Auf wenige Jahrzehnte finden wir zusammen-
gedrängt Claude Lorrain, den Maler des Lichtes und
der duftigen Ferne, Ruysdael’s wasserdurchrauschte Wald-

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[99/0005] Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus. gewaltiger Geistesarbeit im Innern und nach einem Heldenkampfe ohne Gleichen den stolzen Bau des Deutschen Reiches begründete. Unter den Dichtern, die nach Goethe und Schiller die Herrlichkeit der Bergeswelt besangen, erstrahlt ein Name in besonderem Glanze: Lord Byron, neben Homer wohl der grösste Landschafts-Dichter aller Zeiten. Dasselbe „Hohe Lied der Freiheit“, das uns aus Schiller’s Tell entgegenklingt, wurde ein Jahrzehnt später von dem grossen Britten im „Prisoner of Chillon“ ange- stimmt. Nach einem Besuche des alten Schlosses Chillon, hinge- rissen von dem Zauber des genius loci, schrieb Byron, sozusagen in einer einzigen Nacht, dieses schöne und erhabene Gedicht, dessen Hauptinhalt der in langer Kerkerhaft schmachtende Genfer Prior Bonnivard ist, dem erst nach vielen Leiden die Stunde der Freiheit schlägt. „Child Harold“, eine andere Dichtung Byron’s, zeigt neben einem tiefen Weltschmerze, diesem Erbtheil bevor- zugter Geister, auch den unverkennbaren pantheistischen Zug, den Wunsch, ganz in der Natur aufzugehen: „I life not in myself, but I become Portion of that around me.“ „Sind nicht die Berge, die Wogen und der Himmel ein Theil von mir und meiner Seele, wie ich ein Theil von ihnen“, so fragt Byron an einer anderen Stelle. Die stolzen, himmelan- strebenden Berge haben für ihn nichts Schreckhaftes mehr, sie versinnbildlichen vielmehr das titanische Ringen in seiner eigenen Brust, und er dichtet auf der Wengern Alp, im Angesichte der Jungfrau und des Eigers seinen „Manfred“, dieses alle Tiefen des Menschenherzens durchbebende Drama. Eine mächtige Stütze, deren Dauer sich bis in die jüngste Zeit erstreckt, erhielt der Alpinismus durch die Werke der grossen Alpenmaler, durch die herrlichen Schöpfungen der völkerverbin- denden Kunst. Schon früher, bevor noch den Alpen eine grössere Beachtung zu Theil wurde, hatte sich die Landschaftsmalerei zu hoher Blüthe entwickelt. Wie für die Historienmalerei das Cinque- cento, so ist die eigentliche Kunstepoche der grossen Landschafter das XVII. Jahrhundert. In der Zeit der Renaissance und des Classicismus schlummerte das Gefühl für das Naturschöne und wartete, wie Dornröschen, auf den erweckenden Kuss. Aber um so grösser waren die Triumphe, die sich die Landschaftsmalerei in der Folgezeit erwarb! Auf wenige Jahrzehnte finden wir zusammen- gedrängt Claude Lorrain, den Maler des Lichtes und der duftigen Ferne, Ruysdael’s wasserdurchrauschte Wald- 7*

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Zitationshilfe: Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176, hier S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/5>, abgerufen am 28.03.2024.