Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

passage vermieden ward, und glücklicherweise von der
Frau erfahren, welche Direktion ich genommen. Im
kostbaren Gefühl der nunmehrigen Sicherheit, vergaß
ich alles Schmälen, belud den Rettungsengel mit
meinem Sattel und nassen Mantel, übergab ihm das
nackte Pferd, und setzte mich auf das seinige, zu mög-
lichster Eile antreibend. Wir hatten wirklich noch
fünf Meilen zu reiten, und zwar, wie mir der Füh-
rer sagte, durch einen mit Abgründen eingefaßten
Bergpaß -- ich kann jedoch nichts weiter über den
zurückgelegten Weg berichten. Die Dunkelheit war
so groß, daß ich nur mit der äußersten Anstrengung,
der Figur des Mannes vor mir, wie einen undeut-
lichen Schatten, folgen konnte. Ich merkte wohl an
dem häufigen Stolpern der Pferde, daß wir uns auf
unebnem Boden befanden, ich fühlte, daß es unauf-
hörlich steil bergauf oder hinunter ging, daß wir
zwei Bergströme durch tiefe Furthe passirten -- aber
das war auch Alles -- nur zuweilen abnete ich
mehr, als ich sah, daß eine schroffe Felswand mir
zur Seite stand, oder das tiefere Schwarz unter mir
verrieth, daß ein jäher Abhang nahe war -- das
Ganze aber vergegenwärtigte mir so lebhaft Mistriß
Anna Radcliff's Romane, daß ich mich beinah für
einen ihrer Helden gehalten hätte, der eben im Be-
griff sey, Udolpho's Geheimnisse zu entdecken. End-
lich! endlich -- brach heller Lichtschimmer durch das
Dunkel -- der Weg ward ebner, ein Paar Spuren
von Hecken wurden sichtbar, und in wenigen Minu-
ten hielten wir vor einem alten Gebäude, das auf

paſſage vermieden ward, und glücklicherweiſe von der
Frau erfahren, welche Direktion ich genommen. Im
koſtbaren Gefühl der nunmehrigen Sicherheit, vergaß
ich alles Schmälen, belud den Rettungsengel mit
meinem Sattel und naſſen Mantel, übergab ihm das
nackte Pferd, und ſetzte mich auf das ſeinige, zu mög-
lichſter Eile antreibend. Wir hatten wirklich noch
fünf Meilen zu reiten, und zwar, wie mir der Füh-
rer ſagte, durch einen mit Abgründen eingefaßten
Bergpaß — ich kann jedoch nichts weiter über den
zurückgelegten Weg berichten. Die Dunkelheit war
ſo groß, daß ich nur mit der äußerſten Anſtrengung,
der Figur des Mannes vor mir, wie einen undeut-
lichen Schatten, folgen konnte. Ich merkte wohl an
dem häufigen Stolpern der Pferde, daß wir uns auf
unebnem Boden befanden, ich fühlte, daß es unauf-
hörlich ſteil bergauf oder hinunter ging, daß wir
zwei Bergſtröme durch tiefe Furthe paſſirten — aber
das war auch Alles — nur zuweilen abnete ich
mehr, als ich ſah, daß eine ſchroffe Felswand mir
zur Seite ſtand, oder das tiefere Schwarz unter mir
verrieth, daß ein jäher Abhang nahe war — das
Ganze aber vergegenwärtigte mir ſo lebhaft Miſtriß
Anna Radcliff’s Romane, daß ich mich beinah für
einen ihrer Helden gehalten hätte, der eben im Be-
griff ſey, Udolpho’s Geheimniſſe zu entdecken. End-
lich! endlich — brach heller Lichtſchimmer durch das
Dunkel — der Weg ward ebner, ein Paar Spuren
von Hecken wurden ſichtbar, und in wenigen Minu-
ten hielten wir vor einem alten Gebäude, das auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0034" n="12"/>
pa&#x017F;&#x017F;age vermieden ward, und glücklicherwei&#x017F;e von der<lb/>
Frau erfahren, welche Direktion ich genommen. Im<lb/>
ko&#x017F;tbaren Gefühl der nunmehrigen Sicherheit, vergaß<lb/>
ich alles Schmälen, belud den Rettungsengel mit<lb/>
meinem Sattel und na&#x017F;&#x017F;en Mantel, übergab ihm das<lb/>
nackte Pferd, und &#x017F;etzte mich auf das &#x017F;einige, zu mög-<lb/>
lich&#x017F;ter Eile antreibend. Wir hatten wirklich noch<lb/>
fünf Meilen zu reiten, und zwar, wie mir der Füh-<lb/>
rer &#x017F;agte, durch einen mit Abgründen eingefaßten<lb/>
Bergpaß &#x2014; ich kann jedoch nichts weiter über den<lb/>
zurückgelegten Weg berichten. Die Dunkelheit war<lb/>
&#x017F;o groß, daß ich nur mit der äußer&#x017F;ten An&#x017F;trengung,<lb/>
der Figur des Mannes vor mir, wie einen undeut-<lb/>
lichen Schatten, folgen konnte. Ich merkte wohl an<lb/>
dem häufigen Stolpern der Pferde, daß wir uns auf<lb/>
unebnem Boden befanden, ich fühlte, daß es unauf-<lb/>
hörlich &#x017F;teil bergauf oder hinunter ging, daß wir<lb/>
zwei Berg&#x017F;tröme durch tiefe Furthe pa&#x017F;&#x017F;irten &#x2014; aber<lb/>
das war auch Alles &#x2014; nur zuweilen abnete ich<lb/>
mehr, als ich &#x017F;ah, daß eine &#x017F;chroffe Felswand mir<lb/>
zur Seite &#x017F;tand, oder das tiefere Schwarz unter mir<lb/>
verrieth, daß ein jäher Abhang nahe war &#x2014; das<lb/>
Ganze aber vergegenwärtigte mir &#x017F;o lebhaft Mi&#x017F;triß<lb/>
Anna Radcliff&#x2019;s Romane, daß ich mich beinah für<lb/>
einen ihrer Helden gehalten hätte, der eben im Be-<lb/>
griff &#x017F;ey, Udolpho&#x2019;s Geheimni&#x017F;&#x017F;e zu entdecken. End-<lb/>
lich! endlich &#x2014; brach heller Licht&#x017F;chimmer durch das<lb/>
Dunkel &#x2014; der Weg ward ebner, ein Paar Spuren<lb/>
von Hecken wurden &#x017F;ichtbar, und in wenigen Minu-<lb/>
ten hielten wir vor einem alten Gebäude, das auf<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0034] paſſage vermieden ward, und glücklicherweiſe von der Frau erfahren, welche Direktion ich genommen. Im koſtbaren Gefühl der nunmehrigen Sicherheit, vergaß ich alles Schmälen, belud den Rettungsengel mit meinem Sattel und naſſen Mantel, übergab ihm das nackte Pferd, und ſetzte mich auf das ſeinige, zu mög- lichſter Eile antreibend. Wir hatten wirklich noch fünf Meilen zu reiten, und zwar, wie mir der Füh- rer ſagte, durch einen mit Abgründen eingefaßten Bergpaß — ich kann jedoch nichts weiter über den zurückgelegten Weg berichten. Die Dunkelheit war ſo groß, daß ich nur mit der äußerſten Anſtrengung, der Figur des Mannes vor mir, wie einen undeut- lichen Schatten, folgen konnte. Ich merkte wohl an dem häufigen Stolpern der Pferde, daß wir uns auf unebnem Boden befanden, ich fühlte, daß es unauf- hörlich ſteil bergauf oder hinunter ging, daß wir zwei Bergſtröme durch tiefe Furthe paſſirten — aber das war auch Alles — nur zuweilen abnete ich mehr, als ich ſah, daß eine ſchroffe Felswand mir zur Seite ſtand, oder das tiefere Schwarz unter mir verrieth, daß ein jäher Abhang nahe war — das Ganze aber vergegenwärtigte mir ſo lebhaft Miſtriß Anna Radcliff’s Romane, daß ich mich beinah für einen ihrer Helden gehalten hätte, der eben im Be- griff ſey, Udolpho’s Geheimniſſe zu entdecken. End- lich! endlich — brach heller Lichtſchimmer durch das Dunkel — der Weg ward ebner, ein Paar Spuren von Hecken wurden ſichtbar, und in wenigen Minu- ten hielten wir vor einem alten Gebäude, das auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/34
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 2. München, 1830, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe02_1830/34>, abgerufen am 20.04.2024.