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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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sen darf, weshalb auch sein Frühstück mehrere Stun-
den dauert, und die sechste oder siebente Tasse kalt
getrunken wird. Ich habe gesehen, daß diese glor-
reiche Mahlzeit so lange hingezogen wurde, daß sie
endlich mit dem dine zusammenfloß, und Du wirst
mir kaum glauben wollen, wenn ich Dich versichere,
daß sogar ein leichtes soupe um Mitternacht folgte,
ohne daß die Gesellschaft unterdeß den Tisch verlassen
hatte. Hierbei waren jedoch Mehrere versammelt,
und ich muß überhaupt bemerken, daß, wenn dies
der Fall ist, sich ein ganz anderes Bild darstellt, in-
dem dann der Wein die Gesellschaft, statt sie in le-
thargisches Sinnen verfallen zu lassen, oft mehr als
zu gesprächig macht. Etwas Aehnliches fiel auch heute
vor. Fünf oder sechs Reisende ließen sich es wohl
seyn, und nachdem sie des Guten zu viel gethan hat-
ten, entstand ein heftiger Streit unter ihnen, der
nach langem Lärm, sehr seltsam, damit endete, daß
sie Alle auf den Kellner losstürzten, und diesen zur
Thüre hinaus warfen. Hierauf wurde auch der Wirth
noch gezwungen hereinzukommen, und für den ganz
unschuldigen Menschen um Verzeihung zu bitten.
Keiner der an den andern Tischen allein Essenden,
nahm die mindeste Notiz von dieser Störung; sondern
starrte eben so gelassen wie bisher vor sich hin. Ei-
ner jedoch, der sein dine sehr spät begonnen, gab
bald darauf selbst eine neue Scene zum Besten. Er
war mit den ihm überbrachten mutton unzufrieden,
und befahl daher dem Waiter, der Köchin zu sagen,
sie sey a damned bitch (eine verdammte Hündin).

Briefe eines Verstorbenen. I. 14

ſen darf, weshalb auch ſein Frühſtück mehrere Stun-
den dauert, und die ſechste oder ſiebente Taſſe kalt
getrunken wird. Ich habe geſehen, daß dieſe glor-
reiche Mahlzeit ſo lange hingezogen wurde, daß ſie
endlich mit dem diné zuſammenfloß, und Du wirſt
mir kaum glauben wollen, wenn ich Dich verſichere,
daß ſogar ein leichtes soupé um Mitternacht folgte,
ohne daß die Geſellſchaft unterdeß den Tiſch verlaſſen
hatte. Hierbei waren jedoch Mehrere verſammelt,
und ich muß überhaupt bemerken, daß, wenn dies
der Fall iſt, ſich ein ganz anderes Bild darſtellt, in-
dem dann der Wein die Geſellſchaft, ſtatt ſie in le-
thargiſches Sinnen verfallen zu laſſen, oft mehr als
zu geſprächig macht. Etwas Aehnliches fiel auch heute
vor. Fünf oder ſechs Reiſende ließen ſich es wohl
ſeyn, und nachdem ſie des Guten zu viel gethan hat-
ten, entſtand ein heftiger Streit unter ihnen, der
nach langem Lärm, ſehr ſeltſam, damit endete, daß
ſie Alle auf den Kellner losſtürzten, und dieſen zur
Thüre hinaus warfen. Hierauf wurde auch der Wirth
noch gezwungen hereinzukommen, und für den ganz
unſchuldigen Menſchen um Verzeihung zu bitten.
Keiner der an den andern Tiſchen allein Eſſenden,
nahm die mindeſte Notiz von dieſer Störung; ſondern
ſtarrte eben ſo gelaſſen wie bisher vor ſich hin. Ei-
ner jedoch, der ſein diné ſehr ſpät begonnen, gab
bald darauf ſelbſt eine neue Scene zum Beſten. Er
war mit den ihm überbrachten mutton unzufrieden,
und befahl daher dem Waiter, der Köchin zu ſagen,
ſie ſey a damned bitch (eine verdammte Hündin).

Briefe eines Verſtorbenen. I. 14
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[209/0233] ſen darf, weshalb auch ſein Frühſtück mehrere Stun- den dauert, und die ſechste oder ſiebente Taſſe kalt getrunken wird. Ich habe geſehen, daß dieſe glor- reiche Mahlzeit ſo lange hingezogen wurde, daß ſie endlich mit dem diné zuſammenfloß, und Du wirſt mir kaum glauben wollen, wenn ich Dich verſichere, daß ſogar ein leichtes soupé um Mitternacht folgte, ohne daß die Geſellſchaft unterdeß den Tiſch verlaſſen hatte. Hierbei waren jedoch Mehrere verſammelt, und ich muß überhaupt bemerken, daß, wenn dies der Fall iſt, ſich ein ganz anderes Bild darſtellt, in- dem dann der Wein die Geſellſchaft, ſtatt ſie in le- thargiſches Sinnen verfallen zu laſſen, oft mehr als zu geſprächig macht. Etwas Aehnliches fiel auch heute vor. Fünf oder ſechs Reiſende ließen ſich es wohl ſeyn, und nachdem ſie des Guten zu viel gethan hat- ten, entſtand ein heftiger Streit unter ihnen, der nach langem Lärm, ſehr ſeltſam, damit endete, daß ſie Alle auf den Kellner losſtürzten, und dieſen zur Thüre hinaus warfen. Hierauf wurde auch der Wirth noch gezwungen hereinzukommen, und für den ganz unſchuldigen Menſchen um Verzeihung zu bitten. Keiner der an den andern Tiſchen allein Eſſenden, nahm die mindeſte Notiz von dieſer Störung; ſondern ſtarrte eben ſo gelaſſen wie bisher vor ſich hin. Ei- ner jedoch, der ſein diné ſehr ſpät begonnen, gab bald darauf ſelbſt eine neue Scene zum Beſten. Er war mit den ihm überbrachten mutton unzufrieden, und befahl daher dem Waiter, der Köchin zu ſagen, ſie ſey a damned bitch (eine verdammte Hündin). Briefe eines Verſtorbenen. I. 14

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/233>, abgerufen am 29.03.2024.