Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite

umgebenden Berge sind sehr hoch und steil, und
steigen überall, glatt und ohne Absatz, von der wie
planirt erscheinenden Fläche empor. Links sind es
nackte Felsen, von imponirender Gestalt, nur hie und
da mit rother und gelber Erica bewachsen, die andern
drei Seiten aber mit dichten und mannichfaltigen
Pflanzungen bedeckt, deren Laub bis in den See
hinabhängt. Wo der erwähnte Bergstrom sich, auf
glänzend grünem Grasgrunde, in den See ergießt,
bildet er einen breiten Wasserfall. Es ist wohl ein
schöner Fleck Erde -- einsam und abgeschlossen, der
Wald voll Wild, der See voll Fische, und die Natur
voll Poesie.

Da die Jagdzeit noch nicht eingetreten ist, war
die Herrschaft abwesend, und die Frau des Inspec-
tors, eine noch hübsche, wiewohl etwas passirte Frau,
mit schönen weißen Händen, und Manieren über ih-
ren Stand (wahrscheinlich hatte sie hier eine Ver-
sorgung
erhalten) besorgte mir auf meine Bitte
Frühstück, während mich ihr lebhafter kleiner Sohn
vorher im Thal umherführte. Ein schöner Wind-
hund, der so leicht wie ein vom Wind entführtes
Blatt über den Boden glitt, und dann in unbändi-
gen Sätzen sich der gegebnen Freiheit freute, beglei-
tete uns. Wir erklimmten (nicht ohne Schmerzen
meiner kranken Brust, car je ne vaux plus rien a
pied
) eine etwa 400 Fuß hohe Felsenplatte, von der
man das Thal ganz übersieht. Gegenüber erblickt
man ein seltsames Naturspiel, ein ganz regelmäßig
in Stein geformtes ungeheures Gesicht, das finster

umgebenden Berge ſind ſehr hoch und ſteil, und
ſteigen überall, glatt und ohne Abſatz, von der wie
planirt erſcheinenden Fläche empor. Links ſind es
nackte Felſen, von imponirender Geſtalt, nur hie und
da mit rother und gelber Erica bewachſen, die andern
drei Seiten aber mit dichten und mannichfaltigen
Pflanzungen bedeckt, deren Laub bis in den See
hinabhängt. Wo der erwähnte Bergſtrom ſich, auf
glänzend grünem Grasgrunde, in den See ergießt,
bildet er einen breiten Waſſerfall. Es iſt wohl ein
ſchöner Fleck Erde — einſam und abgeſchloſſen, der
Wald voll Wild, der See voll Fiſche, und die Natur
voll Poeſie.

Da die Jagdzeit noch nicht eingetreten iſt, war
die Herrſchaft abweſend, und die Frau des Inſpec-
tors, eine noch hübſche, wiewohl etwas paſſirte Frau,
mit ſchönen weißen Händen, und Manieren über ih-
ren Stand (wahrſcheinlich hatte ſie hier eine Ver-
ſorgung
erhalten) beſorgte mir auf meine Bitte
Frühſtück, während mich ihr lebhafter kleiner Sohn
vorher im Thal umherführte. Ein ſchöner Wind-
hund, der ſo leicht wie ein vom Wind entführtes
Blatt über den Boden glitt, und dann in unbändi-
gen Sätzen ſich der gegebnen Freiheit freute, beglei-
tete uns. Wir erklimmten (nicht ohne Schmerzen
meiner kranken Bruſt, car je ne vaux plus rien à
pied
) eine etwa 400 Fuß hohe Felſenplatte, von der
man das Thal ganz überſieht. Gegenüber erblickt
man ein ſeltſames Naturſpiel, ein ganz regelmäßig
in Stein geformtes ungeheures Geſicht, das finſter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0218" n="194"/>
umgebenden Berge &#x017F;ind &#x017F;ehr hoch und &#x017F;teil, und<lb/>
&#x017F;teigen überall, glatt und ohne Ab&#x017F;atz, von der wie<lb/>
planirt er&#x017F;cheinenden Fläche empor. Links &#x017F;ind es<lb/>
nackte Fel&#x017F;en, von imponirender Ge&#x017F;talt, nur hie und<lb/>
da mit rother und gelber <hi rendition="#aq">Erica</hi> bewach&#x017F;en, die andern<lb/>
drei Seiten aber mit dichten und mannichfaltigen<lb/>
Pflanzungen bedeckt, deren Laub bis in den See<lb/>
hinabhängt. Wo der erwähnte Berg&#x017F;trom &#x017F;ich, auf<lb/>
glänzend grünem Grasgrunde, in den See ergießt,<lb/>
bildet er einen breiten Wa&#x017F;&#x017F;erfall. Es i&#x017F;t wohl ein<lb/>
&#x017F;chöner Fleck Erde &#x2014; ein&#x017F;am und abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, der<lb/>
Wald voll Wild, der See voll Fi&#x017F;che, und die Natur<lb/>
voll Poe&#x017F;ie.</p><lb/>
          <p>Da die Jagdzeit noch nicht eingetreten i&#x017F;t, war<lb/>
die Herr&#x017F;chaft abwe&#x017F;end, und die Frau des In&#x017F;pec-<lb/>
tors, eine noch hüb&#x017F;che, wiewohl etwas pa&#x017F;&#x017F;irte Frau,<lb/>
mit &#x017F;chönen weißen Händen, und Manieren über ih-<lb/>
ren Stand (wahr&#x017F;cheinlich hatte &#x017F;ie hier eine <hi rendition="#g">Ver-<lb/>
&#x017F;orgung</hi> erhalten) be&#x017F;orgte mir auf meine Bitte<lb/>
Früh&#x017F;tück, während mich ihr lebhafter kleiner Sohn<lb/>
vorher im Thal umherführte. Ein &#x017F;chöner Wind-<lb/>
hund, der &#x017F;o leicht wie ein vom Wind entführtes<lb/>
Blatt über den Boden glitt, und dann in unbändi-<lb/>
gen Sätzen &#x017F;ich der gegebnen Freiheit freute, beglei-<lb/>
tete uns. Wir erklimmten (nicht ohne Schmerzen<lb/>
meiner kranken Bru&#x017F;t, <hi rendition="#aq">car je ne vaux plus rien à<lb/>
pied</hi>) eine etwa 400 Fuß hohe Fel&#x017F;enplatte, von der<lb/>
man das Thal ganz über&#x017F;ieht. Gegenüber erblickt<lb/>
man ein &#x017F;elt&#x017F;ames Natur&#x017F;piel, ein ganz regelmäßig<lb/>
in Stein geformtes ungeheures Ge&#x017F;icht, das fin&#x017F;ter<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0218] umgebenden Berge ſind ſehr hoch und ſteil, und ſteigen überall, glatt und ohne Abſatz, von der wie planirt erſcheinenden Fläche empor. Links ſind es nackte Felſen, von imponirender Geſtalt, nur hie und da mit rother und gelber Erica bewachſen, die andern drei Seiten aber mit dichten und mannichfaltigen Pflanzungen bedeckt, deren Laub bis in den See hinabhängt. Wo der erwähnte Bergſtrom ſich, auf glänzend grünem Grasgrunde, in den See ergießt, bildet er einen breiten Waſſerfall. Es iſt wohl ein ſchöner Fleck Erde — einſam und abgeſchloſſen, der Wald voll Wild, der See voll Fiſche, und die Natur voll Poeſie. Da die Jagdzeit noch nicht eingetreten iſt, war die Herrſchaft abweſend, und die Frau des Inſpec- tors, eine noch hübſche, wiewohl etwas paſſirte Frau, mit ſchönen weißen Händen, und Manieren über ih- ren Stand (wahrſcheinlich hatte ſie hier eine Ver- ſorgung erhalten) beſorgte mir auf meine Bitte Frühſtück, während mich ihr lebhafter kleiner Sohn vorher im Thal umherführte. Ein ſchöner Wind- hund, der ſo leicht wie ein vom Wind entführtes Blatt über den Boden glitt, und dann in unbändi- gen Sätzen ſich der gegebnen Freiheit freute, beglei- tete uns. Wir erklimmten (nicht ohne Schmerzen meiner kranken Bruſt, car je ne vaux plus rien à pied) eine etwa 400 Fuß hohe Felſenplatte, von der man das Thal ganz überſieht. Gegenüber erblickt man ein ſeltſames Naturſpiel, ein ganz regelmäßig in Stein geformtes ungeheures Geſicht, das finſter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/218
Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/218>, abgerufen am 29.03.2024.