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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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zeigte mir die Zimmer, welche einige sehr interessante,
alte Genre-Gemälde enthielten. Der Held des einen
ist ein Aeltervater der Familie selbst, die Scene in
Italien, und die Tracht, wie die dargestellten Sitten,
äußerst sonderbar, ja anstößig. Quer über die Wie-
sen, und durch eine ziemlich tiefe Furth des Flusses,
dessen eiskaltes Bad er nicht scheute, führte mich der
dienstfertige Neger bis an die Stadt Arcklow, von
wo ich auf der Landstraße zum Mittagessen nach
Avoca Inn zurückkehrte, nachdem ich vorher noch ei-
nen Bergvorsprung bestiegen, von dem man einen
Blick in drei verschiedene Thäler hat, deren ganz ent-
gegengesetzter Charakter eine höchst originelle Ansicht
gewährt.

Kaum hatte ich mich in Avoca zu Tisch gesetzt,
als man einen Herrn bei mir meldete, der mich
zu sprechen wünsche. Ein mir ganz fremder junger
Mann trat ein, und überreichte mir eine Brieftasche,
in der ich, mit nicht geringer Verwunderung, meine
eigne erkannte, die, außer andern wichtigen Papieren,
welche ich auf der Reise immer bei mir trage, mein
ganzes Reisegeld enthielt. Ich hatte sie in dem Berg-
pavillon, Gott weiß wie, aus der Brusttasche verlo-
ren, ohne es zu bemerken, und mir daher jetzt nicht
wenig zu einem so ehrlichen und gefälligen Finder zu
gratuliren. In England möchte ich meine Brieftasche
schwerlich wieder zu sehen bekommen haben, selbst
wenn sie ein Gentleman gefunden hätte, denn dieser
hätte sie wahrscheinlich entweder ruhig liegen lassen,
oder -- behalten. Bei dieser Gelegenheit muß ich

zeigte mir die Zimmer, welche einige ſehr intereſſante,
alte Genre-Gemälde enthielten. Der Held des einen
iſt ein Aeltervater der Familie ſelbſt, die Scene in
Italien, und die Tracht, wie die dargeſtellten Sitten,
äußerſt ſonderbar, ja anſtößig. Quer über die Wie-
ſen, und durch eine ziemlich tiefe Furth des Fluſſes,
deſſen eiskaltes Bad er nicht ſcheute, führte mich der
dienſtfertige Neger bis an die Stadt Arcklow, von
wo ich auf der Landſtraße zum Mittageſſen nach
Avoca Inn zurückkehrte, nachdem ich vorher noch ei-
nen Bergvorſprung beſtiegen, von dem man einen
Blick in drei verſchiedene Thäler hat, deren ganz ent-
gegengeſetzter Charakter eine höchſt originelle Anſicht
gewährt.

Kaum hatte ich mich in Avoca zu Tiſch geſetzt,
als man einen Herrn bei mir meldete, der mich
zu ſprechen wünſche. Ein mir ganz fremder junger
Mann trat ein, und überreichte mir eine Brieftaſche,
in der ich, mit nicht geringer Verwunderung, meine
eigne erkannte, die, außer andern wichtigen Papieren,
welche ich auf der Reiſe immer bei mir trage, mein
ganzes Reiſegeld enthielt. Ich hatte ſie in dem Berg-
pavillon, Gott weiß wie, aus der Bruſttaſche verlo-
ren, ohne es zu bemerken, und mir daher jetzt nicht
wenig zu einem ſo ehrlichen und gefälligen Finder zu
gratuliren. In England möchte ich meine Brieftaſche
ſchwerlich wieder zu ſehen bekommen haben, ſelbſt
wenn ſie ein Gentleman gefunden hätte, denn dieſer
hätte ſie wahrſcheinlich entweder ruhig liegen laſſen,
oder — behalten. Bei dieſer Gelegenheit muß ich

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[185/0209] zeigte mir die Zimmer, welche einige ſehr intereſſante, alte Genre-Gemälde enthielten. Der Held des einen iſt ein Aeltervater der Familie ſelbſt, die Scene in Italien, und die Tracht, wie die dargeſtellten Sitten, äußerſt ſonderbar, ja anſtößig. Quer über die Wie- ſen, und durch eine ziemlich tiefe Furth des Fluſſes, deſſen eiskaltes Bad er nicht ſcheute, führte mich der dienſtfertige Neger bis an die Stadt Arcklow, von wo ich auf der Landſtraße zum Mittageſſen nach Avoca Inn zurückkehrte, nachdem ich vorher noch ei- nen Bergvorſprung beſtiegen, von dem man einen Blick in drei verſchiedene Thäler hat, deren ganz ent- gegengeſetzter Charakter eine höchſt originelle Anſicht gewährt. Kaum hatte ich mich in Avoca zu Tiſch geſetzt, als man einen Herrn bei mir meldete, der mich zu ſprechen wünſche. Ein mir ganz fremder junger Mann trat ein, und überreichte mir eine Brieftaſche, in der ich, mit nicht geringer Verwunderung, meine eigne erkannte, die, außer andern wichtigen Papieren, welche ich auf der Reiſe immer bei mir trage, mein ganzes Reiſegeld enthielt. Ich hatte ſie in dem Berg- pavillon, Gott weiß wie, aus der Bruſttaſche verlo- ren, ohne es zu bemerken, und mir daher jetzt nicht wenig zu einem ſo ehrlichen und gefälligen Finder zu gratuliren. In England möchte ich meine Brieftaſche ſchwerlich wieder zu ſehen bekommen haben, ſelbſt wenn ſie ein Gentleman gefunden hätte, denn dieſer hätte ſie wahrſcheinlich entweder ruhig liegen laſſen, oder — behalten. Bei dieſer Gelegenheit muß ich

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/209>, abgerufen am 29.03.2024.