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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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eingefaßt. Einen bettelnden Invaliden, den ich an-
traf, frug ich, wie weit ich noch nach W ... habe,
und ob der Weg gleich schön bliebe? O! rief er mit
irländischer Vaterlandsliebe: Langes Leben Eure
Ehren! Nur getrost vorwärts, nichts Schönres habt
Ihr noch in dieser Welt gesehen!

Der Eingang zu W ... Park ist auch, ohnge-
fähr eine Viertel Stunde Wegs weit, wirklich das
Reizendste was man in dieser Art sehen kann. Eine
an sich sehr schöne Natur ist durch die Kunst zum
höchsten Grade ihrer Empfänglichkeit benutzt, und
ohne ihren freien Charakter zu verwischen, eine
Mannichfaltigkeit und Reichthum der Vegetation her-
vorgebracht, die das Auge bezaubern. Buntes Gebüsch
und wilde Blumen, der saftigste Rasen und Riesen-
bäume mit Schlingpflanzen bedeckt, füllen das enge
Felsenthal, durch welches sich der Weg mit dem be-
gleitenden Waldbach hinzieht. Fortwährend kleine
Wasserfälle bildend, strömt dieser, bald sich unter
dem Dickicht verbergend, bald wie geschmolznes Sil-
ber im grünen Becken ruhend, oder unter Felsen-
bogen hinrauschend, die die Natur als Triumph-
Pforten für den wohlthätigen Flußgott des Thales
aufgerichtet zu haben scheint. Sobald man indeß
den tiefen Grund verläßt, schwindet der Zauber
plötzlich. Der Rest entspricht den zu hoch gespannten
Erwartungen keineswegs. Aridesgras, krüppliche
Bäume, ein unbewegtes, schlammiges Wasser um-
geben ein kleines gothisches Schloß, das einer schlech-
ten Theaterdecoration gleicht. In demselben findet

eingefaßt. Einen bettelnden Invaliden, den ich an-
traf, frug ich, wie weit ich noch nach W … habe,
und ob der Weg gleich ſchön bliebe? O! rief er mit
irländiſcher Vaterlandsliebe: Langes Leben Eure
Ehren! Nur getroſt vorwärts, nichts Schönres habt
Ihr noch in dieſer Welt geſehen!

Der Eingang zu W … Park iſt auch, ohnge-
fähr eine Viertel Stunde Wegs weit, wirklich das
Reizendſte was man in dieſer Art ſehen kann. Eine
an ſich ſehr ſchöne Natur iſt durch die Kunſt zum
höchſten Grade ihrer Empfänglichkeit benutzt, und
ohne ihren freien Charakter zu verwiſchen, eine
Mannichfaltigkeit und Reichthum der Vegetation her-
vorgebracht, die das Auge bezaubern. Buntes Gebüſch
und wilde Blumen, der ſaftigſte Raſen und Rieſen-
bäume mit Schlingpflanzen bedeckt, füllen das enge
Felſenthal, durch welches ſich der Weg mit dem be-
gleitenden Waldbach hinzieht. Fortwährend kleine
Waſſerfälle bildend, ſtrömt dieſer, bald ſich unter
dem Dickicht verbergend, bald wie geſchmolznes Sil-
ber im grünen Becken ruhend, oder unter Felſen-
bogen hinrauſchend, die die Natur als Triumph-
Pforten für den wohlthätigen Flußgott des Thales
aufgerichtet zu haben ſcheint. Sobald man indeß
den tiefen Grund verläßt, ſchwindet der Zauber
plötzlich. Der Reſt entſpricht den zu hoch geſpannten
Erwartungen keineswegs. Aridesgras, krüppliche
Bäume, ein unbewegtes, ſchlammiges Waſſer um-
geben ein kleines gothiſches Schloß, das einer ſchlech-
ten Theaterdecoration gleicht. In demſelben findet

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[165/0189] eingefaßt. Einen bettelnden Invaliden, den ich an- traf, frug ich, wie weit ich noch nach W … habe, und ob der Weg gleich ſchön bliebe? O! rief er mit irländiſcher Vaterlandsliebe: Langes Leben Eure Ehren! Nur getroſt vorwärts, nichts Schönres habt Ihr noch in dieſer Welt geſehen! Der Eingang zu W … Park iſt auch, ohnge- fähr eine Viertel Stunde Wegs weit, wirklich das Reizendſte was man in dieſer Art ſehen kann. Eine an ſich ſehr ſchöne Natur iſt durch die Kunſt zum höchſten Grade ihrer Empfänglichkeit benutzt, und ohne ihren freien Charakter zu verwiſchen, eine Mannichfaltigkeit und Reichthum der Vegetation her- vorgebracht, die das Auge bezaubern. Buntes Gebüſch und wilde Blumen, der ſaftigſte Raſen und Rieſen- bäume mit Schlingpflanzen bedeckt, füllen das enge Felſenthal, durch welches ſich der Weg mit dem be- gleitenden Waldbach hinzieht. Fortwährend kleine Waſſerfälle bildend, ſtrömt dieſer, bald ſich unter dem Dickicht verbergend, bald wie geſchmolznes Sil- ber im grünen Becken ruhend, oder unter Felſen- bogen hinrauſchend, die die Natur als Triumph- Pforten für den wohlthätigen Flußgott des Thales aufgerichtet zu haben ſcheint. Sobald man indeß den tiefen Grund verläßt, ſchwindet der Zauber plötzlich. Der Reſt entſpricht den zu hoch geſpannten Erwartungen keineswegs. Aridesgras, krüppliche Bäume, ein unbewegtes, ſchlammiges Waſſer um- geben ein kleines gothiſches Schloß, das einer ſchlech- ten Theaterdecoration gleicht. In demſelben findet

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/189>, abgerufen am 28.03.2024.