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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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befinden glaubte. Auch waren diese alle frei wie
dort, keinen die Flügel verschnitten, und ein, imme-
diat an ihre Wohnung stoßendes, Wäldchen hoher
Bäume diente ihnen zum anmuthigsten Vergnügungs-
ort. Noch wiegten sich die meisten von ihnen behag-
lich auf den schwankenden Gipfeln, als wir anka-
men; kaum erblickten sie aber die kleine rosige Fanny,
wie eine wohlthuende Fee mit Leckerbissen in der
Sch[ü]rze ihnen entgegentretend, als sie in brausender
Wolke herabeilten, und sich pickend und frohlockend
zu ihren Füßen niederließen. Ich fühlte mich idyl-
lisch gerührt, und trieb zu Haus, um noch vor dem
Frühstück mich des Feuers meiner Begeisterung zu
entledigen. Nun waren aber noch die Kindergärten
zu besehen, und ein Haus der Laune, und Gott
weiß was alles -- kurz wir kamen zu spät und wur-
den ausgescholten. Mit englischem Pathos rief Miß
Fanny:

We do but row --
And we are steered by fate.
Wir rudern wohl --
Jedoch das Schicksal sitzt am Steuer!

mit andern Worten: der Mensch denkt, Gott lenkt
... und Ja wohl, dachte ich, der kleine Philosoph
hat nur zu Recht! Es kömmt immer anders, wie
man sich's vorstellt, selbst bei so wenig bedeutenden
Dingen als die Promenade mit einem hübschen Mäd-
chen, und das Warten der Eltern beim Frühstück. --

befinden glaubte. Auch waren dieſe alle frei wie
dort, keinen die Flügel verſchnitten, und ein, imme-
diat an ihre Wohnung ſtoßendes, Wäldchen hoher
Bäume diente ihnen zum anmuthigſten Vergnügungs-
ort. Noch wiegten ſich die meiſten von ihnen behag-
lich auf den ſchwankenden Gipfeln, als wir anka-
men; kaum erblickten ſie aber die kleine roſige Fanny,
wie eine wohlthuende Fee mit Leckerbiſſen in der
Sch[ü]rze ihnen entgegentretend, als ſie in brauſender
Wolke herabeilten, und ſich pickend und frohlockend
zu ihren Füßen niederließen. Ich fühlte mich idyl-
liſch gerührt, und trieb zu Haus, um noch vor dem
Frühſtück mich des Feuers meiner Begeiſterung zu
entledigen. Nun waren aber noch die Kindergärten
zu beſehen, und ein Haus der Laune, und Gott
weiß was alles — kurz wir kamen zu ſpät und wur-
den ausgeſcholten. Mit engliſchem Pathos rief Miß
Fanny:

We do but row —
And we are steered by fate.
Wir rudern wohl —
Jedoch das Schickſal ſitzt am Steuer!

mit andern Worten: der Menſch denkt, Gott lenkt
… und Ja wohl, dachte ich, der kleine Philoſoph
hat nur zu Recht! Es kömmt immer anders, wie
man ſich’s vorſtellt, ſelbſt bei ſo wenig bedeutenden
Dingen als die Promenade mit einem hübſchen Mäd-
chen, und das Warten der Eltern beim Frühſtück. —

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[143/0167] befinden glaubte. Auch waren dieſe alle frei wie dort, keinen die Flügel verſchnitten, und ein, imme- diat an ihre Wohnung ſtoßendes, Wäldchen hoher Bäume diente ihnen zum anmuthigſten Vergnügungs- ort. Noch wiegten ſich die meiſten von ihnen behag- lich auf den ſchwankenden Gipfeln, als wir anka- men; kaum erblickten ſie aber die kleine roſige Fanny, wie eine wohlthuende Fee mit Leckerbiſſen in der Schürze ihnen entgegentretend, als ſie in brauſender Wolke herabeilten, und ſich pickend und frohlockend zu ihren Füßen niederließen. Ich fühlte mich idyl- liſch gerührt, und trieb zu Haus, um noch vor dem Frühſtück mich des Feuers meiner Begeiſterung zu entledigen. Nun waren aber noch die Kindergärten zu beſehen, und ein Haus der Laune, und Gott weiß was alles — kurz wir kamen zu ſpät und wur- den ausgeſcholten. Mit engliſchem Pathos rief Miß Fanny: We do but row — And we are steered by fate. Wir rudern wohl — Jedoch das Schickſal ſitzt am Steuer! mit andern Worten: der Menſch denkt, Gott lenkt … und Ja wohl, dachte ich, der kleine Philoſoph hat nur zu Recht! Es kömmt immer anders, wie man ſich’s vorſtellt, ſelbſt bei ſo wenig bedeutenden Dingen als die Promenade mit einem hübſchen Mäd- chen, und das Warten der Eltern beim Frühſtück. —

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/167>, abgerufen am 23.04.2024.