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Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830.

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liebenden Vaters ist im Allgemeinen gewiß die schönste
dieser Bildungen, über die hinaus wir auch mensch-
lich nicht weiter steigern können, und man muß es
gestehen, die bloße Idee des zum Unbegreiflichen,
Unnennbaren, höchsten Prinzips aller Dinge Vergei-
stigten, so zu sagen Verflüchtigten, erwärmt das füh-
lende, seiner Schwachheit sich bewußte, Menschen-
herz
nicht mehr mit derselben Innigkeit. Uebrigens
scheint mir oft Alles was den Menschen und die Na-
tur ausmacht, nur auf zwei Haupt-Elemente sich zu-
rückführen zu lassen: Liebe und Furcht, die man auch
Göttliches und Irdisches nennen könnte. Alle Ge-
danken, Gefühle, Leidenschaften und Handlungen ent-
stehen hieraus, entweder aus dem einen, oder der
Mischung beider Prinzipien. Liebe ist die göttliche
Ursach aller Dinge, Furcht scheint die irdische Er-
halterin. Die Worte: Ihr sollt Gott lieben und
fürchten, müßte man nur so erklären, oder sie wür-
den keinen Sinn haben -- denn ungemischte Liebe
kann nicht fürchten, weil sie das Gegentheil von al-
lem Egoismus ist, ja sie wird, wo sie wahrhaft uns
beseelt, eins mit Gott und dem Welt-All, und wir
haben Momente, wo wir dieses fühlen.

Wenn ich den Maßstab jenes ausgesprochenen Sa-
tzes an alle menschliche Handlungen lege, finde ich
ihn überall bestätigt. Liebe befruchtet, Furcht erhält,
und zerstört -- auch in der ganzen Natur sehe ich
das Prinzip der Selbsterhaltung oder Furcht (es ist
eins und dasselbe) auf das, was wir in der mensch-
lichen
Moral böse nennen müssen, nämlich: auf die

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liebenden Vaters iſt im Allgemeinen gewiß die ſchönſte
dieſer Bildungen, über die hinaus wir auch menſch-
lich nicht weiter ſteigern können, und man muß es
geſtehen, die bloße Idee des zum Unbegreiflichen,
Unnennbaren, höchſten Prinzips aller Dinge Vergei-
ſtigten, ſo zu ſagen Verflüchtigten, erwärmt das füh-
lende, ſeiner Schwachheit ſich bewußte, Menſchen-
herz
nicht mehr mit derſelben Innigkeit. Uebrigens
ſcheint mir oft Alles was den Menſchen und die Na-
tur ausmacht, nur auf zwei Haupt-Elemente ſich zu-
rückführen zu laſſen: Liebe und Furcht, die man auch
Göttliches und Irdiſches nennen könnte. Alle Ge-
danken, Gefühle, Leidenſchaften und Handlungen ent-
ſtehen hieraus, entweder aus dem einen, oder der
Miſchung beider Prinzipien. Liebe iſt die göttliche
Urſach aller Dinge, Furcht ſcheint die irdiſche Er-
halterin. Die Worte: Ihr ſollt Gott lieben und
fürchten, müßte man nur ſo erklären, oder ſie wür-
den keinen Sinn haben — denn ungemiſchte Liebe
kann nicht fürchten, weil ſie das Gegentheil von al-
lem Egoismus iſt, ja ſie wird, wo ſie wahrhaft uns
beſeelt, eins mit Gott und dem Welt-All, und wir
haben Momente, wo wir dieſes fühlen.

Wenn ich den Maßſtab jenes ausgeſprochenen Sa-
tzes an alle menſchliche Handlungen lege, finde ich
ihn überall beſtätigt. Liebe befruchtet, Furcht erhält,
und zerſtört — auch in der ganzen Natur ſehe ich
das Prinzip der Selbſterhaltung oder Furcht (es iſt
eins und daſſelbe) auf das, was wir in der menſch-
lichen
Moral böſe nennen müſſen, nämlich: auf die

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[131/0155] liebenden Vaters iſt im Allgemeinen gewiß die ſchönſte dieſer Bildungen, über die hinaus wir auch menſch- lich nicht weiter ſteigern können, und man muß es geſtehen, die bloße Idee des zum Unbegreiflichen, Unnennbaren, höchſten Prinzips aller Dinge Vergei- ſtigten, ſo zu ſagen Verflüchtigten, erwärmt das füh- lende, ſeiner Schwachheit ſich bewußte, Menſchen- herz nicht mehr mit derſelben Innigkeit. Uebrigens ſcheint mir oft Alles was den Menſchen und die Na- tur ausmacht, nur auf zwei Haupt-Elemente ſich zu- rückführen zu laſſen: Liebe und Furcht, die man auch Göttliches und Irdiſches nennen könnte. Alle Ge- danken, Gefühle, Leidenſchaften und Handlungen ent- ſtehen hieraus, entweder aus dem einen, oder der Miſchung beider Prinzipien. Liebe iſt die göttliche Urſach aller Dinge, Furcht ſcheint die irdiſche Er- halterin. Die Worte: Ihr ſollt Gott lieben und fürchten, müßte man nur ſo erklären, oder ſie wür- den keinen Sinn haben — denn ungemiſchte Liebe kann nicht fürchten, weil ſie das Gegentheil von al- lem Egoismus iſt, ja ſie wird, wo ſie wahrhaft uns beſeelt, eins mit Gott und dem Welt-All, und wir haben Momente, wo wir dieſes fühlen. Wenn ich den Maßſtab jenes ausgeſprochenen Sa- tzes an alle menſchliche Handlungen lege, finde ich ihn überall beſtätigt. Liebe befruchtet, Furcht erhält, und zerſtört — auch in der ganzen Natur ſehe ich das Prinzip der Selbſterhaltung oder Furcht (es iſt eins und daſſelbe) auf das, was wir in der menſch- lichen Moral böſe nennen müſſen, nämlich: auf die 9*

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Zitationshilfe: Pückler-Muskau, Hermann von: Briefe eines Verstorbenen. Bd. 1. München, 1830, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pueckler_briefe01_1830/155>, abgerufen am 19.04.2024.