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Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.

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deren Fäden herüber und hinüberlaufend, ein unzerreißbares Netz, heute Europa und Amerika verbinden. Beide geben und empfangen. Nicht viele Familien wird man bei uns in Deutschland finden, von denen nicht ein näheres oder entfernteres Glied "drüben" ist oder war. Die Zahl deutscher Auswanderer nach Amerika beträgt seit 40 Jahren im Durchschnitt nahezu 100 000 jährlich und viele Millionen Dollars, von Deutschen in Amerika erworben, sind in dieser oder jener Form nach Deutschland zurückgeflossen. Den Begriff räumlicher Entfernung zwischen Europa und Amerika haben die wunderbar entwickelten Verkehrsmittel unserer Tage fast beseitigt; eine Reise nach New-York und selbst S. Francisco ist heute ein weit einfacheres Ding, als es im Anfange des Jahrhunderts eine Reise von einem Ende Deutschlands zum andern war. Der in Amerika lebende Deutsche macht während weniger Wochen statt einer Badereise einen Besuch bei seiner Familie in Deutschland, und zur Einweihung einer amerikanischen Eisenbahn, die den atlantischen mit dem stillen Ocean auf's Neue verbindet, unternehmen Koryphäen unseres politischen und litterarischen Lebens eine kleine Ferienspritztour nach dem "fernen Westen".

So lebhaft nun dieser Verkehr der Menschen herüber und hinüber, so gewaltig der Austausch materieller Güter geworden ist, - der Verkehr im geistigen Leben, der Austausch ideeller Güter hat damit nicht gleichen Schritt gehalten. Man hat, um die vollzogene Annäherung auszudrücken, gesagt, Europa und Amerika seien heut zu Tage nur durch einen Graben voll Salzwasser getrennt. Wohl, aber in mancher Hinsicht scheidet dieser Graben voll Salzwasser noch immer zwei getrennte Welten; vor Allem auf den Gebieten, wo die neue Welt ein eigenes, selbstständig entwickeltes Wesen dem des alten Europa entgegensetzen kann, auf dem Gebiete staatlichen und socialen Lebens.

deren Fäden herüber und hinüberlaufend, ein unzerreißbares Netz, heute Europa und Amerika verbinden. Beide geben und empfangen. Nicht viele Familien wird man bei uns in Deutschland finden, von denen nicht ein näheres oder entfernteres Glied „drüben“ ist oder war. Die Zahl deutscher Auswanderer nach Amerika beträgt seit 40 Jahren im Durchschnitt nahezu 100 000 jährlich und viele Millionen Dollars, von Deutschen in Amerika erworben, sind in dieser oder jener Form nach Deutschland zurückgeflossen. Den Begriff räumlicher Entfernung zwischen Europa und Amerika haben die wunderbar entwickelten Verkehrsmittel unserer Tage fast beseitigt; eine Reise nach New-York und selbst S. Francisco ist heute ein weit einfacheres Ding, als es im Anfange des Jahrhunderts eine Reise von einem Ende Deutschlands zum andern war. Der in Amerika lebende Deutsche macht während weniger Wochen statt einer Badereise einen Besuch bei seiner Familie in Deutschland, und zur Einweihung einer amerikanischen Eisenbahn, die den atlantischen mit dem stillen Ocean auf’s Neue verbindet, unternehmen Koryphäen unseres politischen und litterarischen Lebens eine kleine Ferienspritztour nach dem „fernen Westen“.

So lebhaft nun dieser Verkehr der Menschen herüber und hinüber, so gewaltig der Austausch materieller Güter geworden ist, – der Verkehr im geistigen Leben, der Austausch ideeller Güter hat damit nicht gleichen Schritt gehalten. Man hat, um die vollzogene Annäherung auszudrücken, gesagt, Europa und Amerika seien heut zu Tage nur durch einen Graben voll Salzwasser getrennt. Wohl, aber in mancher Hinsicht scheidet dieser Graben voll Salzwasser noch immer zwei getrennte Welten; vor Allem auf den Gebieten, wo die neue Welt ein eigenes, selbstständig entwickeltes Wesen dem des alten Europa entgegensetzen kann, auf dem Gebiete staatlichen und socialen Lebens.

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[4/0004] deren Fäden herüber und hinüberlaufend, ein unzerreißbares Netz, heute Europa und Amerika verbinden. Beide geben und empfangen. Nicht viele Familien wird man bei uns in Deutschland finden, von denen nicht ein näheres oder entfernteres Glied „drüben“ ist oder war. Die Zahl deutscher Auswanderer nach Amerika beträgt seit 40 Jahren im Durchschnitt nahezu 100 000 jährlich und viele Millionen Dollars, von Deutschen in Amerika erworben, sind in dieser oder jener Form nach Deutschland zurückgeflossen. Den Begriff räumlicher Entfernung zwischen Europa und Amerika haben die wunderbar entwickelten Verkehrsmittel unserer Tage fast beseitigt; eine Reise nach New-York und selbst S. Francisco ist heute ein weit einfacheres Ding, als es im Anfange des Jahrhunderts eine Reise von einem Ende Deutschlands zum andern war. Der in Amerika lebende Deutsche macht während weniger Wochen statt einer Badereise einen Besuch bei seiner Familie in Deutschland, und zur Einweihung einer amerikanischen Eisenbahn, die den atlantischen mit dem stillen Ocean auf’s Neue verbindet, unternehmen Koryphäen unseres politischen und litterarischen Lebens eine kleine Ferienspritztour nach dem „fernen Westen“. So lebhaft nun dieser Verkehr der Menschen herüber und hinüber, so gewaltig der Austausch materieller Güter geworden ist, – der Verkehr im geistigen Leben, der Austausch ideeller Güter hat damit nicht gleichen Schritt gehalten. Man hat, um die vollzogene Annäherung auszudrücken, gesagt, Europa und Amerika seien heut zu Tage nur durch einen Graben voll Salzwasser getrennt. Wohl, aber in mancher Hinsicht scheidet dieser Graben voll Salzwasser noch immer zwei getrennte Welten; vor Allem auf den Gebieten, wo die neue Welt ein eigenes, selbstständig entwickeltes Wesen dem des alten Europa entgegensetzen kann, auf dem Gebiete staatlichen und socialen Lebens.

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Zitationshilfe: Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/4>, abgerufen am 19.04.2024.