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Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.

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einem Freunde, der im Begriff stand, nach Europa zu gehen: "Ihr Brief hat mich traurig gemacht. Ich kann nicht hören, daß Jemand nach Europa geht, ohne zu fühlen, wie mir das Herz bricht. Ich muß noch einmal dorthin aus mehr als tausend Gründen". Aber es dauerte lange Zeit, ehe seine pecuniären Verhältnisse ihm solchen Luxus gestatteten. Endlich im Jahre 1844 trat er die sehnlich gewünschte Reise an. Im Juni, dem Monate der großen Schlachten, besuchte er die Schlachtfelder von Waterloo, Ligny und Namur, tief bewegt von mächtigen Erinnerungen. Im Juli war er in Berlin. Bei Nacht und Nebel hatte er einst seine Vaterstadt verlassen, flüchtend vor den Vexationen der Polizei; jetzt hatte er die Genugthuung von König Friedrich Wilhelm IV. in Audienz empfangen zu werden, und aus seinem Munde Worte lebhaftesten Bedauerns über das ihm zugefügte, schmachvolle Unrecht zu vernehmen. Lange verweilte der König in lebhaftem Gespräche mit dem freimüthigen Manne, dessen ganzes Wesen ihn fesselte. Eine unmittelbare Folge dieser Unterredung war, daß in Preußen statt der bisherigen barbarischen Form der öffentlichen Exekutionen die Intramuranhinrichtung, für welche Lieber lebhaft Partei genommen, eingeführt wurde. Der König äußerte wiederholt persönlich den Wunsch, Lieber wieder dauernd an Preußen zu fesseln, und es wurde ihm daraufhin vom Minister eine ehrenvolle Stellung als Professor an der Berliner Universität und als Rath im Justizministerium angeboten. Aber so sehr er sich sehnte, aus seiner jetzigen Umgebung fortzukommen, er lehnte dennoch ab. Die persönliche Gunst des Königs vermehrte seine Unlust, statt, sie zu vermindern. Der wahrhaft liberale Mann spürte keine Neigung, die Rolle eines Alexander v. Humboldt am preußischen Hofe zu spielen. "Der König" schreibt er an seinen Freund Mittermaier, "hat eine persönliche Zuneigung für

einem Freunde, der im Begriff stand, nach Europa zu gehen: „Ihr Brief hat mich traurig gemacht. Ich kann nicht hören, daß Jemand nach Europa geht, ohne zu fühlen, wie mir das Herz bricht. Ich muß noch einmal dorthin aus mehr als tausend Gründen“. Aber es dauerte lange Zeit, ehe seine pecuniären Verhältnisse ihm solchen Luxus gestatteten. Endlich im Jahre 1844 trat er die sehnlich gewünschte Reise an. Im Juni, dem Monate der großen Schlachten, besuchte er die Schlachtfelder von Waterloo, Ligny und Namur, tief bewegt von mächtigen Erinnerungen. Im Juli war er in Berlin. Bei Nacht und Nebel hatte er einst seine Vaterstadt verlassen, flüchtend vor den Vexationen der Polizei; jetzt hatte er die Genugthuung von König Friedrich Wilhelm IV. in Audienz empfangen zu werden, und aus seinem Munde Worte lebhaftesten Bedauerns über das ihm zugefügte, schmachvolle Unrecht zu vernehmen. Lange verweilte der König in lebhaftem Gespräche mit dem freimüthigen Manne, dessen ganzes Wesen ihn fesselte. Eine unmittelbare Folge dieser Unterredung war, daß in Preußen statt der bisherigen barbarischen Form der öffentlichen Exekutionen die Intramuranhinrichtung, für welche Lieber lebhaft Partei genommen, eingeführt wurde. Der König äußerte wiederholt persönlich den Wunsch, Lieber wieder dauernd an Preußen zu fesseln, und es wurde ihm daraufhin vom Minister eine ehrenvolle Stellung als Professor an der Berliner Universität und als Rath im Justizministerium angeboten. Aber so sehr er sich sehnte, aus seiner jetzigen Umgebung fortzukommen, er lehnte dennoch ab. Die persönliche Gunst des Königs vermehrte seine Unlust, statt, sie zu vermindern. Der wahrhaft liberale Mann spürte keine Neigung, die Rolle eines Alexander v. Humboldt am preußischen Hofe zu spielen. „Der König“ schreibt er an seinen Freund Mittermaier, „hat eine persönliche Zuneigung für

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[33/0033] einem Freunde, der im Begriff stand, nach Europa zu gehen: „Ihr Brief hat mich traurig gemacht. Ich kann nicht hören, daß Jemand nach Europa geht, ohne zu fühlen, wie mir das Herz bricht. Ich muß noch einmal dorthin aus mehr als tausend Gründen“. Aber es dauerte lange Zeit, ehe seine pecuniären Verhältnisse ihm solchen Luxus gestatteten. Endlich im Jahre 1844 trat er die sehnlich gewünschte Reise an. Im Juni, dem Monate der großen Schlachten, besuchte er die Schlachtfelder von Waterloo, Ligny und Namur, tief bewegt von mächtigen Erinnerungen. Im Juli war er in Berlin. Bei Nacht und Nebel hatte er einst seine Vaterstadt verlassen, flüchtend vor den Vexationen der Polizei; jetzt hatte er die Genugthuung von König Friedrich Wilhelm IV. in Audienz empfangen zu werden, und aus seinem Munde Worte lebhaftesten Bedauerns über das ihm zugefügte, schmachvolle Unrecht zu vernehmen. Lange verweilte der König in lebhaftem Gespräche mit dem freimüthigen Manne, dessen ganzes Wesen ihn fesselte. Eine unmittelbare Folge dieser Unterredung war, daß in Preußen statt der bisherigen barbarischen Form der öffentlichen Exekutionen die Intramuranhinrichtung, für welche Lieber lebhaft Partei genommen, eingeführt wurde. Der König äußerte wiederholt persönlich den Wunsch, Lieber wieder dauernd an Preußen zu fesseln, und es wurde ihm daraufhin vom Minister eine ehrenvolle Stellung als Professor an der Berliner Universität und als Rath im Justizministerium angeboten. Aber so sehr er sich sehnte, aus seiner jetzigen Umgebung fortzukommen, er lehnte dennoch ab. Die persönliche Gunst des Königs vermehrte seine Unlust, statt, sie zu vermindern. Der wahrhaft liberale Mann spürte keine Neigung, die Rolle eines Alexander v. Humboldt am preußischen Hofe zu spielen. „Der König“ schreibt er an seinen Freund Mittermaier, „hat eine persönliche Zuneigung für

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Zitationshilfe: Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/33>, abgerufen am 28.03.2024.