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Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.

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wie er mehr und mehr empfand, daß auf diesem Gebiete sein eigentlicher Beruf lag, drängten jene Pläne und Gedanken zur Ausführung. Dazu aber bedurfte er vor Allem der sorgenfreien Muße einer gesicherten Lebensstellung; er konnte nicht mehr, wie er in diesen Jahren that, für das Bedürfniß des Tages arbeiten. Auch die Sorge für seine Familie, welche sich schon 1830 um ein Söhnlein vermehrte, und weiteren Zuwachs in Aussicht stellte, hieß ihn eine gesicherte Stellung erstreben. Eine Zeit lang trug er sich mit dem Gedanken, noch auf seine alten Tage jura, zu studiren und Anwalt zu werden; aber er empfand doch, daß er so seinen eigentlichen Beruf verfehlen würde, der nicht darin bestand, Händel über Mein und Dein auszufechten, sondern durch Denken, Lehren und litterarisches Schaffen die hohe Wissenschaft vom Staate zu bereichern und zu verbreiten. So entschloß er sich denn im Jahre 1835 eine ihm angebotene Professur für Geschichte und politische Oekonomie an der Universität von Süd-Carolina zu Columbia anzunehmen, obwohl er damit seinen litterarischen Plänen und seiner Familie ein gewaltiges, schweres Opfer brachte. Denn Süd-Carolina war zu jener Zeit ein Sklavenstaat; die Gesellschaft ward gebildet von den Sklavenbaronen, den reichen, aber für geistiges Leben wenig empfänglichen Plantagenbesitzern. In dieser ihm nach jeder Richtung hin unsympathischen socialen Atmosphäre mußte er auf jede Anregung durch freundschaftlichen Verkehr mit Gleichgesinnten verzichten. Und was hieß es für einen Mann von Lieber's freier Gesinnung, in einem Staate zu leben, welcher jeden Angriff auf die schmachvolle Institution der Sklaverei als todeswürdigen Hoch-Verrath betrachtete! Lieber litt schwer unter diesen traurigen Zuständen, in deren Mitte er genöthigt war 22 Jahre zu leben. Immer wieder klagt er in seinen Tagebüchern und Briefen über das Elend dieser Verbannung in

wie er mehr und mehr empfand, daß auf diesem Gebiete sein eigentlicher Beruf lag, drängten jene Pläne und Gedanken zur Ausführung. Dazu aber bedurfte er vor Allem der sorgenfreien Muße einer gesicherten Lebensstellung; er konnte nicht mehr, wie er in diesen Jahren that, für das Bedürfniß des Tages arbeiten. Auch die Sorge für seine Familie, welche sich schon 1830 um ein Söhnlein vermehrte, und weiteren Zuwachs in Aussicht stellte, hieß ihn eine gesicherte Stellung erstreben. Eine Zeit lang trug er sich mit dem Gedanken, noch auf seine alten Tage jura, zu studiren und Anwalt zu werden; aber er empfand doch, daß er so seinen eigentlichen Beruf verfehlen würde, der nicht darin bestand, Händel über Mein und Dein auszufechten, sondern durch Denken, Lehren und litterarisches Schaffen die hohe Wissenschaft vom Staate zu bereichern und zu verbreiten. So entschloß er sich denn im Jahre 1835 eine ihm angebotene Professur für Geschichte und politische Oekonomie an der Universität von Süd-Carolina zu Columbia anzunehmen, obwohl er damit seinen litterarischen Plänen und seiner Familie ein gewaltiges, schweres Opfer brachte. Denn Süd-Carolina war zu jener Zeit ein Sklavenstaat; die Gesellschaft ward gebildet von den Sklavenbaronen, den reichen, aber für geistiges Leben wenig empfänglichen Plantagenbesitzern. In dieser ihm nach jeder Richtung hin unsympathischen socialen Atmosphäre mußte er auf jede Anregung durch freundschaftlichen Verkehr mit Gleichgesinnten verzichten. Und was hieß es für einen Mann von Lieber’s freier Gesinnung, in einem Staate zu leben, welcher jeden Angriff auf die schmachvolle Institution der Sklaverei als todeswürdigen Hoch-Verrath betrachtete! Lieber litt schwer unter diesen traurigen Zuständen, in deren Mitte er genöthigt war 22 Jahre zu leben. Immer wieder klagt er in seinen Tagebüchern und Briefen über das Elend dieser Verbannung in

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[26/0026] wie er mehr und mehr empfand, daß auf diesem Gebiete sein eigentlicher Beruf lag, drängten jene Pläne und Gedanken zur Ausführung. Dazu aber bedurfte er vor Allem der sorgenfreien Muße einer gesicherten Lebensstellung; er konnte nicht mehr, wie er in diesen Jahren that, für das Bedürfniß des Tages arbeiten. Auch die Sorge für seine Familie, welche sich schon 1830 um ein Söhnlein vermehrte, und weiteren Zuwachs in Aussicht stellte, hieß ihn eine gesicherte Stellung erstreben. Eine Zeit lang trug er sich mit dem Gedanken, noch auf seine alten Tage jura, zu studiren und Anwalt zu werden; aber er empfand doch, daß er so seinen eigentlichen Beruf verfehlen würde, der nicht darin bestand, Händel über Mein und Dein auszufechten, sondern durch Denken, Lehren und litterarisches Schaffen die hohe Wissenschaft vom Staate zu bereichern und zu verbreiten. So entschloß er sich denn im Jahre 1835 eine ihm angebotene Professur für Geschichte und politische Oekonomie an der Universität von Süd-Carolina zu Columbia anzunehmen, obwohl er damit seinen litterarischen Plänen und seiner Familie ein gewaltiges, schweres Opfer brachte. Denn Süd-Carolina war zu jener Zeit ein Sklavenstaat; die Gesellschaft ward gebildet von den Sklavenbaronen, den reichen, aber für geistiges Leben wenig empfänglichen Plantagenbesitzern. In dieser ihm nach jeder Richtung hin unsympathischen socialen Atmosphäre mußte er auf jede Anregung durch freundschaftlichen Verkehr mit Gleichgesinnten verzichten. Und was hieß es für einen Mann von Lieber’s freier Gesinnung, in einem Staate zu leben, welcher jeden Angriff auf die schmachvolle Institution der Sklaverei als todeswürdigen Hoch-Verrath betrachtete! Lieber litt schwer unter diesen traurigen Zuständen, in deren Mitte er genöthigt war 22 Jahre zu leben. Immer wieder klagt er in seinen Tagebüchern und Briefen über das Elend dieser Verbannung in

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Zitationshilfe: Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/26>, abgerufen am 16.04.2024.