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Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886.

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vergebens suchen wird; ganz abgesehen davon, daß es bei Lieber's geistiger Richtung geradezu widersinnig war. Seine Papiere wurden beschlagnahmt, und da passirte denn der Weisheit der Polizei ein Geschichtchen, das Gaudy später in einem Gedicht humoristisch verwerthet hat. In Lieber's Tagebuch fand man die Notiz: "den ganzen Tag mordfaul gewesen." Aha, sagte die schlaue Polizei, da haben wir's; und der unglückliche Jüngling, der so unvorsichtig mit burschikosen Ausdrücken gewesen, ward scharf darüber inquirirt, warum er sich "faul im Anzetteln von Ermordungen seiner Vorgesetzten, lässig in Mordgedanken" genannt habe.

Vier Monate saß er auf der Festung, und da die Untersuchung ihm nicht die geringste Schuld nachweisen konnte, so war man gnädig, ließ ihn los und verbot ihm bloß den Besuch sämmtlicher preußischen Universitäten, nahm ihm auch jede Aussicht auf Anstellung in Preußen. Man sieht, der Charakter des Terrorismus ist stets der gleiche, ob er von wilden Sansculotten oder von der legitimen, absoluten Monarchie gehandhabt wird. Einer der französischen Schreckensmänner aus der Zeit der Septembermorde gab einst die berüchtigte Definition: "Verdächtig ist, wer in den Verdacht kommt, verdächtig zu sein." Die Königl. preußische Polizei verfuhr bei den Demagogenhetzen nach diesem bewährten Recept.

Da er so von Preußen ausgestoßen war, versuchte er, in Heidelberg, in Tübingen anzukommen; aber auch dies vereitelte die väterliche Fürsorge seiner heimischen Regierung. Nur in Jena unter dem Regiment Karl August's, der sich doch nicht ganz so willig zum Schergen der preußischen Polizei mißbrauchen ließ, fand er ein kurzes Asyl. Hier erwarb er auch im Jahre 1820 trotz der Schwierigkeiten, unter denen seine Studien gelitten hatten, die Doktorwürde. Aber davon konnte er nicht

vergebens suchen wird; ganz abgesehen davon, daß es bei Lieber’s geistiger Richtung geradezu widersinnig war. Seine Papiere wurden beschlagnahmt, und da passirte denn der Weisheit der Polizei ein Geschichtchen, das Gaudy später in einem Gedicht humoristisch verwerthet hat. In Lieber’s Tagebuch fand man die Notiz: „den ganzen Tag mordfaul gewesen.“ Aha, sagte die schlaue Polizei, da haben wir’s; und der unglückliche Jüngling, der so unvorsichtig mit burschikosen Ausdrücken gewesen, ward scharf darüber inquirirt, warum er sich „faul im Anzetteln von Ermordungen seiner Vorgesetzten, lässig in Mordgedanken“ genannt habe.

Vier Monate saß er auf der Festung, und da die Untersuchung ihm nicht die geringste Schuld nachweisen konnte, so war man gnädig, ließ ihn los und verbot ihm bloß den Besuch sämmtlicher preußischen Universitäten, nahm ihm auch jede Aussicht auf Anstellung in Preußen. Man sieht, der Charakter des Terrorismus ist stets der gleiche, ob er von wilden Sansculotten oder von der legitimen, absoluten Monarchie gehandhabt wird. Einer der französischen Schreckensmänner aus der Zeit der Septembermorde gab einst die berüchtigte Definition: „Verdächtig ist, wer in den Verdacht kommt, verdächtig zu sein.“ Die Königl. preußische Polizei verfuhr bei den Demagogenhetzen nach diesem bewährten Recept.

Da er so von Preußen ausgestoßen war, versuchte er, in Heidelberg, in Tübingen anzukommen; aber auch dies vereitelte die väterliche Fürsorge seiner heimischen Regierung. Nur in Jena unter dem Regiment Karl August’s, der sich doch nicht ganz so willig zum Schergen der preußischen Polizei mißbrauchen ließ, fand er ein kurzes Asyl. Hier erwarb er auch im Jahre 1820 trotz der Schwierigkeiten, unter denen seine Studien gelitten hatten, die Doktorwürde. Aber davon konnte er nicht

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[14/0014] vergebens suchen wird; ganz abgesehen davon, daß es bei Lieber’s geistiger Richtung geradezu widersinnig war. Seine Papiere wurden beschlagnahmt, und da passirte denn der Weisheit der Polizei ein Geschichtchen, das Gaudy später in einem Gedicht humoristisch verwerthet hat. In Lieber’s Tagebuch fand man die Notiz: „den ganzen Tag mordfaul gewesen.“ Aha, sagte die schlaue Polizei, da haben wir’s; und der unglückliche Jüngling, der so unvorsichtig mit burschikosen Ausdrücken gewesen, ward scharf darüber inquirirt, warum er sich „faul im Anzetteln von Ermordungen seiner Vorgesetzten, lässig in Mordgedanken“ genannt habe. Vier Monate saß er auf der Festung, und da die Untersuchung ihm nicht die geringste Schuld nachweisen konnte, so war man gnädig, ließ ihn los und verbot ihm bloß den Besuch sämmtlicher preußischen Universitäten, nahm ihm auch jede Aussicht auf Anstellung in Preußen. Man sieht, der Charakter des Terrorismus ist stets der gleiche, ob er von wilden Sansculotten oder von der legitimen, absoluten Monarchie gehandhabt wird. Einer der französischen Schreckensmänner aus der Zeit der Septembermorde gab einst die berüchtigte Definition: „Verdächtig ist, wer in den Verdacht kommt, verdächtig zu sein.“ Die Königl. preußische Polizei verfuhr bei den Demagogenhetzen nach diesem bewährten Recept. Da er so von Preußen ausgestoßen war, versuchte er, in Heidelberg, in Tübingen anzukommen; aber auch dies vereitelte die väterliche Fürsorge seiner heimischen Regierung. Nur in Jena unter dem Regiment Karl August’s, der sich doch nicht ganz so willig zum Schergen der preußischen Polizei mißbrauchen ließ, fand er ein kurzes Asyl. Hier erwarb er auch im Jahre 1820 trotz der Schwierigkeiten, unter denen seine Studien gelitten hatten, die Doktorwürde. Aber davon konnte er nicht

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Zitationshilfe: Preuß, Hugo: Franz Lieber, ein Bürger zweier Welten. Berlin, 1886, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/preuss_franz_1886/14>, abgerufen am 18.04.2024.