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Platen, August von: Gedichte. Stuttgart, 1828.

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VI.
Noch im wollustvollen Mai des Lebens,
Wo die Seele sonst Entschlüsse sprüht,
Fühl' ich in der Wärme meines Strebens,
Wie mein Lebenselement verglüht.
Nicht ein Windstoß, ein belebend warmer,
Meine Haare kräuselnd, weht mich an,
Leer und träge schifft ein Thatenarmer
Ueber'n stillen Vater Ocean.
Was ich soll? Wer lös't mir je die Frage?
Was ich kann? Wer gönnt mir den Versuch?
Was ich muß? Vermag ich's ohne Klage?
So viel Arbeit um ein Leichentuch?
Kommt und lispelt Muth in's Herz mir, zarte
Liederstimmen, die ihr lange schlieft,
Daß ich, wie ein Träumer, nicht entarte,
In verlorne Neigungen vertieft.

VI.
Noch im wolluſtvollen Mai des Lebens,
Wo die Seele ſonſt Entſchluͤſſe ſpruͤht,
Fuͤhl' ich in der Waͤrme meines Strebens,
Wie mein Lebenselement vergluͤht.
Nicht ein Windſtoß, ein belebend warmer,
Meine Haare kraͤuſelnd, weht mich an,
Leer und traͤge ſchifft ein Thatenarmer
Ueber'n ſtillen Vater Ocean.
Was ich ſoll? Wer loͤs't mir je die Frage?
Was ich kann? Wer goͤnnt mir den Verſuch?
Was ich muß? Vermag ich's ohne Klage?
So viel Arbeit um ein Leichentuch?
Kommt und liſpelt Muth in's Herz mir, zarte
Liederſtimmen, die ihr lange ſchlieft,
Daß ich, wie ein Traͤumer, nicht entarte,
In verlorne Neigungen vertieft.

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[12/0022] VI. Noch im wolluſtvollen Mai des Lebens, Wo die Seele ſonſt Entſchluͤſſe ſpruͤht, Fuͤhl' ich in der Waͤrme meines Strebens, Wie mein Lebenselement vergluͤht. Nicht ein Windſtoß, ein belebend warmer, Meine Haare kraͤuſelnd, weht mich an, Leer und traͤge ſchifft ein Thatenarmer Ueber'n ſtillen Vater Ocean. Was ich ſoll? Wer loͤs't mir je die Frage? Was ich kann? Wer goͤnnt mir den Verſuch? Was ich muß? Vermag ich's ohne Klage? So viel Arbeit um ein Leichentuch? Kommt und liſpelt Muth in's Herz mir, zarte Liederſtimmen, die ihr lange ſchlieft, Daß ich, wie ein Traͤumer, nicht entarte, In verlorne Neigungen vertieft.

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Zitationshilfe: Platen, August von: Gedichte. Stuttgart, 1828, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_gedichte_1828/22>, abgerufen am 19.04.2024.