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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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Antritts-Rede
und Erden, wenn sie nur reden gelernt, zu Zeu-
gen aufführen können. So aber will ich bloß
punktweise die Sache berühren.

Es ist nothwendig, erstlich, weil durch sol-
chen neuen poetischen Geschmack selbst der Re-
ligion
ein großer Schade und Eintrag geschie-
het. Denn da müssen nothwendig viele alte
Kern-Lieder, als zum Exempel das schöne: Ein
Kindelein so löbelich;
item: Amen, nun will
ich schliessen dies schlechte Liedelein;
desglei-
chen das geistreiche Lied: Hilf Gott, daß mirs
gelinge, daß ich die Sylben zwinge;
samt de-
nen darinn mehrmals vorkommenden herrlichen
Füllwörtern: Vernimms, ja wohl vernimms
und merks, mein Kind, vernimms;
denen
neuen poetischen Lüstlingen einen Ekel verursa-
chen, wo nicht gar ihnen zum Gespötte dienen,
welches nicht genug mit Thränen kann bedau-
ret werden!

So daß demnach, wenn ich Landes-Herr,
oder der nächste nach ihm wäre, ein Gebot
wollte ausgehen lassen, daß die altdeutsche und
des Hans Sachsens Poesie nahekommende
Dichterey an allen Orten, wo sie in Kirchen
und Schulen Herkommens,
der neuen ausge-
künstelten und ausgekernten, auch sogenannten
reinen Poesie, (wer will aber einen reinen Poe-
ten finden, da wol keiner ganz rein ist?) weit
vorgezogen; die ekelen neuen Poeten durch ge-
bührende Zwangs-Mittel zur Hochachtung der
Hans-Sachsen-Poesie angehalten, die Stu-

denten

Antritts-Rede
und Erden, wenn ſie nur reden gelernt, zu Zeu-
gen auffuͤhren koͤnnen. So aber will ich bloß
punktweiſe die Sache beruͤhren.

Es iſt nothwendig, erſtlich, weil durch ſol-
chen neuen poetiſchen Geſchmack ſelbſt der Re-
ligion
ein großer Schade und Eintrag geſchie-
het. Denn da muͤſſen nothwendig viele alte
Kern-Lieder, als zum Exempel das ſchoͤne: Ein
Kindelein ſo loͤbelich;
item: Amen, nun will
ich ſchlieſſen dies ſchlechte Liedelein;
desglei-
chen das geiſtreiche Lied: Hilf Gott, daß mirs
gelinge, daß ich die Sylben zwinge;
ſamt de-
nen darinn mehrmals vorkommenden herrlichen
Fuͤllwoͤrtern: Vernimms, ja wohl vernimms
und merks, mein Kind, vernimms;
denen
neuen poetiſchen Luͤſtlingen einen Ekel verurſa-
chen, wo nicht gar ihnen zum Geſpoͤtte dienen,
welches nicht genug mit Thraͤnen kann bedau-
ret werden!

So daß demnach, wenn ich Landes-Herr,
oder der naͤchſte nach ihm waͤre, ein Gebot
wollte ausgehen laſſen, daß die altdeutſche und
des Hans Sachſens Poeſie nahekommende
Dichterey an allen Orten, wo ſie in Kirchen
und Schulen Herkommens,
der neuen ausge-
kuͤnſtelten und ausgekernten, auch ſogenannten
reinen Poeſie, (wer will aber einen reinen Poe-
ten finden, da wol keiner ganz rein iſt?) weit
vorgezogen; die ekelen neuen Poeten durch ge-
buͤhrende Zwangs-Mittel zur Hochachtung der
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[16/0024] Antritts-Rede und Erden, wenn ſie nur reden gelernt, zu Zeu- gen auffuͤhren koͤnnen. So aber will ich bloß punktweiſe die Sache beruͤhren. Es iſt nothwendig, erſtlich, weil durch ſol- chen neuen poetiſchen Geſchmack ſelbſt der Re- ligion ein großer Schade und Eintrag geſchie- het. Denn da muͤſſen nothwendig viele alte Kern-Lieder, als zum Exempel das ſchoͤne: Ein Kindelein ſo loͤbelich; item: Amen, nun will ich ſchlieſſen dies ſchlechte Liedelein; desglei- chen das geiſtreiche Lied: Hilf Gott, daß mirs gelinge, daß ich die Sylben zwinge; ſamt de- nen darinn mehrmals vorkommenden herrlichen Fuͤllwoͤrtern: Vernimms, ja wohl vernimms und merks, mein Kind, vernimms; denen neuen poetiſchen Luͤſtlingen einen Ekel verurſa- chen, wo nicht gar ihnen zum Geſpoͤtte dienen, welches nicht genug mit Thraͤnen kann bedau- ret werden! So daß demnach, wenn ich Landes-Herr, oder der naͤchſte nach ihm waͤre, ein Gebot wollte ausgehen laſſen, daß die altdeutſche und des Hans Sachſens Poeſie nahekommende Dichterey an allen Orten, wo ſie in Kirchen und Schulen Herkommens, der neuen ausge- kuͤnſtelten und ausgekernten, auch ſogenannten reinen Poeſie, (wer will aber einen reinen Poe- ten finden, da wol keiner ganz rein iſt?) weit vorgezogen; die ekelen neuen Poeten durch ge- buͤhrende Zwangs-Mittel zur Hochachtung der Hans-Sachſen-Poeſie angehalten, die Stu- denten

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/24>, abgerufen am 28.03.2024.