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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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hochmüthiger Zwietracht zu schwingen, wäre es gerade für Kirche
und Kirchen ein schöner Weltberuf, in solcher von Ueberstürzung
freien Weise und ausgehend vom eigenen Heerde weiterhin die
milde Flamme der Humanität stille zu hüten und zu nähren.

Zu den Gebieten endlich, auf welchen sich das national Eigen¬
thümliche mit besonderem Nachdruck erweist oder doch zu erwei¬
sen hat, gehören Sprache und Kunst, Gesellschafts- und
Staatsordnung
. Hier kann es sich in der That nicht mehr,
wie namentlich im Wissensprozeß, um ein mathematisch ergänzen¬
des Miteinanderstreben der Völker handeln, so daß die Leistung
des Einen ohne alles Weitere zum andern übertragen und von
diesem angenommen werden möchte. Hier ist eine abstrakte Ni¬
vellirung thöricht und werthlos; statt bloßen Imports handelt es
sich vielmehr jetzt um erfrischende Anregung durch einander und
um Assimilirung des Fremden ins eigene Fleisch und Blut.

Wie doktrinär ist nicht z. B. die zuweilen sich regende Idee
einer Alleweltssprache auf der Trümmerstätte der naturwüchsi¬
gen Volksmundarten (was freilich der Philosoph und Sprachfor¬
scher Leibniz bei seiner beabsichtigten "lingua characteristica ge¬
neralis"
von Ferne nicht im Sinn hatte). Es ist wohl nicht zu
viel gesagt, wenn man die geistige Dürre der Zeiten, welche das
katholisch-todte Latein als vermeintlich allein hoffähige Sprache
übten, wesentlich mit auf diese nationalphilologische Unnatur zu¬
rückführt; darum gehörte es mit zu dem frohen Erwachen der
Neuzeit, wenn wir deren Bahnbrecher (z. B. Bako, Hobbes, Leib¬
niz, vor allem Luther) theoretisch und praktisch namentlich auch
diesen Sprachzwang gesunden Sinnes brechen sehen. -- Und so
wird noch heutigen Tags der etwaige kleine Nachtheil leichter geisti¬
ger Abgrenzung durch jenen Unterschied jedenfalls für große Na¬
tionen weit überwogen durch die frische Anregung, welche das
Lernen fremder Sprachen (zu fortanigem rezeptivem Gebrauch)
gewährt. Wesentlich in dieser Bildungsschule lernt sich die geistes¬

hochmüthiger Zwietracht zu ſchwingen, wäre es gerade für Kirche
und Kirchen ein ſchöner Weltberuf, in ſolcher von Ueberſtürzung
freien Weiſe und ausgehend vom eigenen Heerde weiterhin die
milde Flamme der Humanität ſtille zu hüten und zu nähren.

Zu den Gebieten endlich, auf welchen ſich das national Eigen¬
thümliche mit beſonderem Nachdruck erweist oder doch zu erwei¬
ſen hat, gehören Sprache und Kunſt, Geſellſchafts- und
Staatsordnung
. Hier kann es ſich in der That nicht mehr,
wie namentlich im Wiſſensprozeß, um ein mathematiſch ergänzen¬
des Miteinanderſtreben der Völker handeln, ſo daß die Leiſtung
des Einen ohne alles Weitere zum andern übertragen und von
dieſem angenommen werden möchte. Hier iſt eine abſtrakte Ni¬
vellirung thöricht und werthlos; ſtatt bloßen Imports handelt es
ſich vielmehr jetzt um erfriſchende Anregung durch einander und
um Aſſimilirung des Fremden ins eigene Fleiſch und Blut.

Wie doktrinär iſt nicht z. B. die zuweilen ſich regende Idee
einer Alleweltsſprache auf der Trümmerſtätte der naturwüchſi¬
gen Volksmundarten (was freilich der Philoſoph und Sprachfor¬
ſcher Leibniz bei ſeiner beabſichtigten »lingua characteristica ge¬
neralis«
von Ferne nicht im Sinn hatte). Es iſt wohl nicht zu
viel geſagt, wenn man die geiſtige Dürre der Zeiten, welche das
katholiſch-todte Latein als vermeintlich allein hoffähige Sprache
übten, weſentlich mit auf dieſe nationalphilologiſche Unnatur zu¬
rückführt; darum gehörte es mit zu dem frohen Erwachen der
Neuzeit, wenn wir deren Bahnbrecher (z. B. Bako, Hobbes, Leib¬
niz, vor allem Luther) theoretiſch und praktiſch namentlich auch
dieſen Sprachzwang geſunden Sinnes brechen ſehen. — Und ſo
wird noch heutigen Tags der etwaige kleine Nachtheil leichter geiſti¬
ger Abgrenzung durch jenen Unterſchied jedenfalls für große Na¬
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[37/0047] hochmüthiger Zwietracht zu ſchwingen, wäre es gerade für Kirche und Kirchen ein ſchöner Weltberuf, in ſolcher von Ueberſtürzung freien Weiſe und ausgehend vom eigenen Heerde weiterhin die milde Flamme der Humanität ſtille zu hüten und zu nähren. Zu den Gebieten endlich, auf welchen ſich das national Eigen¬ thümliche mit beſonderem Nachdruck erweist oder doch zu erwei¬ ſen hat, gehören Sprache und Kunſt, Geſellſchafts- und Staatsordnung. Hier kann es ſich in der That nicht mehr, wie namentlich im Wiſſensprozeß, um ein mathematiſch ergänzen¬ des Miteinanderſtreben der Völker handeln, ſo daß die Leiſtung des Einen ohne alles Weitere zum andern übertragen und von dieſem angenommen werden möchte. Hier iſt eine abſtrakte Ni¬ vellirung thöricht und werthlos; ſtatt bloßen Imports handelt es ſich vielmehr jetzt um erfriſchende Anregung durch einander und um Aſſimilirung des Fremden ins eigene Fleiſch und Blut. Wie doktrinär iſt nicht z. B. die zuweilen ſich regende Idee einer Alleweltsſprache auf der Trümmerſtätte der naturwüchſi¬ gen Volksmundarten (was freilich der Philoſoph und Sprachfor¬ ſcher Leibniz bei ſeiner beabſichtigten »lingua characteristica ge¬ neralis« von Ferne nicht im Sinn hatte). Es iſt wohl nicht zu viel geſagt, wenn man die geiſtige Dürre der Zeiten, welche das katholiſch-todte Latein als vermeintlich allein hoffähige Sprache übten, weſentlich mit auf dieſe nationalphilologiſche Unnatur zu¬ rückführt; darum gehörte es mit zu dem frohen Erwachen der Neuzeit, wenn wir deren Bahnbrecher (z. B. Bako, Hobbes, Leib¬ niz, vor allem Luther) theoretiſch und praktiſch namentlich auch dieſen Sprachzwang geſunden Sinnes brechen ſehen. — Und ſo wird noch heutigen Tags der etwaige kleine Nachtheil leichter geiſti¬ ger Abgrenzung durch jenen Unterſchied jedenfalls für große Na¬ tionen weit überwogen durch die friſche Anregung, welche das Lernen fremder Sprachen (zu fortanigem rezeptivem Gebrauch) gewährt. Weſentlich in dieſer Bildungsſchule lernt ſich die geiſtes¬

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/47>, abgerufen am 18.04.2024.