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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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für ein frischeres und inhaltsvolleres Gesammtleben hohen Werth,
gleichwie die Pädagogik im Kleinen wohl weiß, wie mißlich es ist,
Ein Kind allein aufzuziehen, wo ihm der gesunde Sporn des Wett¬
eifers, der Anregung und Abschleifung durch andere Naturen abgeht.

Indeß liegt es doch auf der Hand, wie jene stärkere Gliede¬
rung nur in der organischen Zusammenfassung der Stämme heil¬
sam ist. Der einzelne Stamm als solcher ist ein viel zu beschränktes
Gebiet, um nicht mit größter Entschiedenheit auf die ergänzenden
Genossen neben ihm hinzuweisen; das einzelne Glied, wo es unter¬
bunden, wo ihm der frische Blutlauf seines Ganzen abgesperrt
wird, muß nothwendig kranken, verkommen und absterben; das
ist Naturgesetz und wird sich darum zweifellos auch im social¬
politischen Leben erweisen. Kann man doch dasselbe schon bei
vielen Individualpersönlichkeiten bemerken, die ihr Stand oder
Beruf vom sonstigen Bildungsleben isolirt. Wenn auch nicht ge¬
rade "unter Larven die einzige fühlende Brust", haben sie doch
oft Mühe, sich dem schädigenden Einfluß des allein Gebildetseins
unter lauter Ungebildeten zu erwehren. Wie leicht setzt sich bei
diesem Mangel an Gegendruck die Einbildung des allein Weise¬
seins, die rechthaberische, keinen Widerspruch mehr vertragende
Eigenliebe und Eitelkeit fest. Unter solchen Umständen wäre das
sogenannte "Verbauern" noch das geringere Uebel, als diese Schä¬
digung, welche wir kurzweg als Bornirung bezeichnen müssen. --
Ich weiß wohl, daß jeder Vergleich hinkt; aber doch mag jene
Parallele ein Fingerzeig sein, um uns auch für das weitere Stam¬
mesleben die geistige (deßgleichen wirthschaftliche und kommerzielle)
Gefahr allzu stark partikularistischer Abschließung ohne Gegendruck
und Wetzstein durch Andere erkennen und meiden zu lehren.

Ein solches größere Ganze ist nun die Nation, welche von
der weisen Natur meist in umfassenderem Maßstab gruppirt er¬
scheint. Von der Natur selbst sage ich; denn die früher und

für ein friſcheres und inhaltsvolleres Geſammtleben hohen Werth,
gleichwie die Pädagogik im Kleinen wohl weiß, wie mißlich es iſt,
Ein Kind allein aufzuziehen, wo ihm der geſunde Sporn des Wett¬
eifers, der Anregung und Abſchleifung durch andere Naturen abgeht.

Indeß liegt es doch auf der Hand, wie jene ſtärkere Gliede¬
rung nur in der organiſchen Zuſammenfaſſung der Stämme heil¬
ſam iſt. Der einzelne Stamm als ſolcher iſt ein viel zu beſchränktes
Gebiet, um nicht mit größter Entſchiedenheit auf die ergänzenden
Genoſſen neben ihm hinzuweiſen; das einzelne Glied, wo es unter¬
bunden, wo ihm der friſche Blutlauf ſeines Ganzen abgeſperrt
wird, muß nothwendig kranken, verkommen und abſterben; das
iſt Naturgeſetz und wird ſich darum zweifellos auch im ſocial¬
politiſchen Leben erweiſen. Kann man doch daſſelbe ſchon bei
vielen Individualperſönlichkeiten bemerken, die ihr Stand oder
Beruf vom ſonſtigen Bildungsleben iſolirt. Wenn auch nicht ge¬
rade „unter Larven die einzige fühlende Bruſt“, haben ſie doch
oft Mühe, ſich dem ſchädigenden Einfluß des allein Gebildetſeins
unter lauter Ungebildeten zu erwehren. Wie leicht ſetzt ſich bei
dieſem Mangel an Gegendruck die Einbildung des allein Weiſe¬
ſeins, die rechthaberiſche, keinen Widerſpruch mehr vertragende
Eigenliebe und Eitelkeit feſt. Unter ſolchen Umſtänden wäre das
ſogenannte „Verbauern“ noch das geringere Uebel, als dieſe Schä¬
digung, welche wir kurzweg als Bornirung bezeichnen müſſen. —
Ich weiß wohl, daß jeder Vergleich hinkt; aber doch mag jene
Parallele ein Fingerzeig ſein, um uns auch für das weitere Stam¬
mesleben die geiſtige (deßgleichen wirthſchaftliche und kommerzielle)
Gefahr allzu ſtark partikulariſtiſcher Abſchließung ohne Gegendruck
und Wetzſtein durch Andere erkennen und meiden zu lehren.

Ein ſolches größere Ganze iſt nun die Nation, welche von
der weiſen Natur meiſt in umfaſſenderem Maßſtab gruppirt er¬
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[31/0041] für ein friſcheres und inhaltsvolleres Geſammtleben hohen Werth, gleichwie die Pädagogik im Kleinen wohl weiß, wie mißlich es iſt, Ein Kind allein aufzuziehen, wo ihm der geſunde Sporn des Wett¬ eifers, der Anregung und Abſchleifung durch andere Naturen abgeht. Indeß liegt es doch auf der Hand, wie jene ſtärkere Gliede¬ rung nur in der organiſchen Zuſammenfaſſung der Stämme heil¬ ſam iſt. Der einzelne Stamm als ſolcher iſt ein viel zu beſchränktes Gebiet, um nicht mit größter Entſchiedenheit auf die ergänzenden Genoſſen neben ihm hinzuweiſen; das einzelne Glied, wo es unter¬ bunden, wo ihm der friſche Blutlauf ſeines Ganzen abgeſperrt wird, muß nothwendig kranken, verkommen und abſterben; das iſt Naturgeſetz und wird ſich darum zweifellos auch im ſocial¬ politiſchen Leben erweiſen. Kann man doch daſſelbe ſchon bei vielen Individualperſönlichkeiten bemerken, die ihr Stand oder Beruf vom ſonſtigen Bildungsleben iſolirt. Wenn auch nicht ge¬ rade „unter Larven die einzige fühlende Bruſt“, haben ſie doch oft Mühe, ſich dem ſchädigenden Einfluß des allein Gebildetſeins unter lauter Ungebildeten zu erwehren. Wie leicht ſetzt ſich bei dieſem Mangel an Gegendruck die Einbildung des allein Weiſe¬ ſeins, die rechthaberiſche, keinen Widerſpruch mehr vertragende Eigenliebe und Eitelkeit feſt. Unter ſolchen Umſtänden wäre das ſogenannte „Verbauern“ noch das geringere Uebel, als dieſe Schä¬ digung, welche wir kurzweg als Bornirung bezeichnen müſſen. — Ich weiß wohl, daß jeder Vergleich hinkt; aber doch mag jene Parallele ein Fingerzeig ſein, um uns auch für das weitere Stam¬ mesleben die geiſtige (deßgleichen wirthſchaftliche und kommerzielle) Gefahr allzu ſtark partikulariſtiſcher Abſchließung ohne Gegendruck und Wetzſtein durch Andere erkennen und meiden zu lehren. Ein ſolches größere Ganze iſt nun die Nation, welche von der weiſen Natur meiſt in umfaſſenderem Maßſtab gruppirt er¬ ſcheint. Von der Natur ſelbſt ſage ich; denn die früher und

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/41>, abgerufen am 20.04.2024.