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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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ihrer nothdürftigen Anerkennung die Selbstachtung dahingiebt.
Schon die Vorbedingung weiterer Notiznahme, das Kennenlernen
der Sprache eines andern Volks wird erfahrungsmäßig nur kräfti¬
gen Nationen gegenüber erfüllt, die auf sich selbst und diese ihre
Sprache etwas halten; denn Niemand will sich ja mit abgeschätzter
Münze weiter befassen! Und warum berichtet die Geschichte nur
von einer zeitweis (nicht nur in Deutschland) herrschenden Sucht,
die Italiener, später aber so lange die Franzosen nachzuäffen,
warum anders, als weil diese romanischen Völker in ihrem von
den Römern ererbten starken Nationalbewußtsein nicht vergaßen,
zunächst und vor Allem Italiener oder Franzosen zu sein, ehe sie
sich mit Weiterem befaßten. Dieß thun sie bis heutigen Tags in
ihrem Katholizismus, den nur die Deutschen so gutmüthig oder
blind sind, ihrerseits kosmopolitisch zu betreiben, während der
Italiener seit 300 Jahren in der ununterbrochenen Linie italieni¬
scher Päbste sich sonnt und das Ganze als ideell wie reell werth¬
vollen Nationalnimbus wenigstens im innersten Herzen hegt. Wem
sollte es dort nicht schmeicheln, sich in dieser Art als das geborene
"heilige Volk", als das von Natur zur geistigen Herrschaft der
nordischgermanischen Barbaren berufene auserwählte Rüstzeug Got¬
tes oder der Geschichte zu betrachten, um auf diese Weise das
alte "imperio regere orbem" fortzusetzen! In welchem Sinn
aber besonders die modernen Franzosen ultramontan sind, das ist
sattsam aus der Tagesgeschichte bekannt, und es gehörte ein gut
Theil rein alemannisches Blut dazu, um einen bekannten Bischof
aus dem französisch-nationalen ins kosmopolitische Lager übertreten
zu machen. -- Zu solchen in sich starken oder wenigstens kräftig
selbstbewußten Potenzen gravitiren andere, in sich haltlosere mit
Nothwendigkeit hin. Wer also einen Weltberuf erfüllen zu
müssen glaubt, dürfte zuerst sein eigen Haus wohl bestellen. Den
kernhaften Blick auf dieß gerichtet, hat der wackere Dichter der

ihrer nothdürftigen Anerkennung die Selbſtachtung dahingiebt.
Schon die Vorbedingung weiterer Notiznahme, das Kennenlernen
der Sprache eines andern Volks wird erfahrungsmäßig nur kräfti¬
gen Nationen gegenüber erfüllt, die auf ſich ſelbſt und dieſe ihre
Sprache etwas halten; denn Niemand will ſich ja mit abgeſchätzter
Münze weiter befaſſen! Und warum berichtet die Geſchichte nur
von einer zeitweis (nicht nur in Deutſchland) herrſchenden Sucht,
die Italiener, ſpäter aber ſo lange die Franzoſen nachzuäffen,
warum anders, als weil dieſe romaniſchen Völker in ihrem von
den Römern ererbten ſtarken Nationalbewußtſein nicht vergaßen,
zunächſt und vor Allem Italiener oder Franzoſen zu ſein, ehe ſie
ſich mit Weiterem befaßten. Dieß thun ſie bis heutigen Tags in
ihrem Katholizismus, den nur die Deutſchen ſo gutmüthig oder
blind ſind, ihrerſeits kosmopolitiſch zu betreiben, während der
Italiener ſeit 300 Jahren in der ununterbrochenen Linie italieni¬
ſcher Päbſte ſich ſonnt und das Ganze als ideell wie reell werth¬
vollen Nationalnimbus wenigſtens im innerſten Herzen hegt. Wem
ſollte es dort nicht ſchmeicheln, ſich in dieſer Art als das geborene
„heilige Volk“, als das von Natur zur geiſtigen Herrſchaft der
nordiſchgermaniſchen Barbaren berufene auserwählte Rüſtzeug Got¬
tes oder der Geſchichte zu betrachten, um auf dieſe Weiſe das
alte »imperio regere orbem« fortzuſetzen! In welchem Sinn
aber beſonders die modernen Franzoſen ultramontan ſind, das iſt
ſattſam aus der Tagesgeſchichte bekannt, und es gehörte ein gut
Theil rein alemanniſches Blut dazu, um einen bekannten Biſchof
aus dem franzöſiſch-nationalen ins kosmopolitiſche Lager übertreten
zu machen. — Zu ſolchen in ſich ſtarken oder wenigſtens kräftig
ſelbſtbewußten Potenzen gravitiren andere, in ſich haltloſere mit
Nothwendigkeit hin. Wer alſo einen Weltberuf erfüllen zu
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[29/0039] ihrer nothdürftigen Anerkennung die Selbſtachtung dahingiebt. Schon die Vorbedingung weiterer Notiznahme, das Kennenlernen der Sprache eines andern Volks wird erfahrungsmäßig nur kräfti¬ gen Nationen gegenüber erfüllt, die auf ſich ſelbſt und dieſe ihre Sprache etwas halten; denn Niemand will ſich ja mit abgeſchätzter Münze weiter befaſſen! Und warum berichtet die Geſchichte nur von einer zeitweis (nicht nur in Deutſchland) herrſchenden Sucht, die Italiener, ſpäter aber ſo lange die Franzoſen nachzuäffen, warum anders, als weil dieſe romaniſchen Völker in ihrem von den Römern ererbten ſtarken Nationalbewußtſein nicht vergaßen, zunächſt und vor Allem Italiener oder Franzoſen zu ſein, ehe ſie ſich mit Weiterem befaßten. Dieß thun ſie bis heutigen Tags in ihrem Katholizismus, den nur die Deutſchen ſo gutmüthig oder blind ſind, ihrerſeits kosmopolitiſch zu betreiben, während der Italiener ſeit 300 Jahren in der ununterbrochenen Linie italieni¬ ſcher Päbſte ſich ſonnt und das Ganze als ideell wie reell werth¬ vollen Nationalnimbus wenigſtens im innerſten Herzen hegt. Wem ſollte es dort nicht ſchmeicheln, ſich in dieſer Art als das geborene „heilige Volk“, als das von Natur zur geiſtigen Herrſchaft der nordiſchgermaniſchen Barbaren berufene auserwählte Rüſtzeug Got¬ tes oder der Geſchichte zu betrachten, um auf dieſe Weiſe das alte »imperio regere orbem« fortzuſetzen! In welchem Sinn aber beſonders die modernen Franzoſen ultramontan ſind, das iſt ſattſam aus der Tagesgeſchichte bekannt, und es gehörte ein gut Theil rein alemanniſches Blut dazu, um einen bekannten Biſchof aus dem franzöſiſch-nationalen ins kosmopolitiſche Lager übertreten zu machen. — Zu ſolchen in ſich ſtarken oder wenigſtens kräftig ſelbſtbewußten Potenzen gravitiren andere, in ſich haltloſere mit Nothwendigkeit hin. Wer alſo einen Weltberuf erfüllen zu müſſen glaubt, dürfte zuerſt ſein eigen Haus wohl beſtellen. Den kernhaften Blick auf dieß gerichtet, hat der wackere Dichter der

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/39>, abgerufen am 24.04.2024.