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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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lichen Menschen ist das rein empirische Leben die Hauptsache,
letzter Zweck. Hierauf kommen die Mittel, es zu erhalten, es
so angenehm und bequem als möglich zu machen, Hab und Gut,
Gewerbfleiß und Handel. Diese Mittel des Lebens, Eigenthum
genannt, wie sie auch zusammengebracht seien, gegen gewaltsamen
Raub jeder Art zu schützen, dazu ist der Staat als bloßes Mittel
da, somit schon Mittel zweiten Grades, Ihn halten sich die Eigen¬
thümer, wie der Herr sich einen Bedienten hält. Der Staat ist
somit nur ein nothwendiges Uebel, das Geld kostet. Hiebei ist,
diese Ideelosigkeit besonders zu karakterisiren, den Besitzenden durch¬
aus gleichgültig, wer sie schützt, wenn sie nur geschützt werden.
Das einzige Augenmerk dabei ist: so wohlfeil als möglich! Der
Krieg ist diesem Krämersinn nur ein Streit zwischen zwei Herrscher¬
familien über die Frage, welche von Beiden einen gewissen Distrikt
vertheidigen solle. Sobald der Feind -- nicht der des Besitzenden,
sondern der seines vorigen Herrn -- sich seines Landes bemächtigt
und die Söldner des Andern vertrieben hat, ist Alles wieder in
Ordnung und geht seinen alten Gang: die Habe ist gesichert, die
Geschäfte gehen vor wie nach -- Herz, was willst du mehr? --
Der wahren Ansicht besteht das Höchste, nemlich Selbständigkeit
und Freiheit einer Nation darin, ihre Geschichte, die sie vereint,
organisch aus sich selber fortzuentwickeln zu einem Reich nach ihrer
bestimmten volksthümlichen Idee oder Aufgabe. Darin durch
fremde Gewalt gestört, eingeimpft einem fremden Leben, wäre ein
Volk getödtet, vernichtet, ausgestrichen. Da ist aber ein eigent¬
licher Krieg, nicht der Herrscherfamilien, sondern des Volks;
die allgemeine Freiheit und eines Jeden besondre ist bedroht;
ohne sie kann er gar nicht leben wollen, ohne sich für einen
Nichtswürdigen zu bekennen. Es ist darum Jedem für seine Per¬
son und ohne Stellvertretung aufgegeben der Kampf auf Leben
und Tod!"

lichen Menſchen iſt das rein empiriſche Leben die Hauptſache,
letzter Zweck. Hierauf kommen die Mittel, es zu erhalten, es
ſo angenehm und bequem als möglich zu machen, Hab und Gut,
Gewerbfleiß und Handel. Dieſe Mittel des Lebens, Eigenthum
genannt, wie ſie auch zuſammengebracht ſeien, gegen gewaltſamen
Raub jeder Art zu ſchützen, dazu iſt der Staat als bloßes Mittel
da, ſomit ſchon Mittel zweiten Grades, Ihn halten ſich die Eigen¬
thümer, wie der Herr ſich einen Bedienten hält. Der Staat iſt
ſomit nur ein nothwendiges Uebel, das Geld koſtet. Hiebei iſt,
dieſe Ideeloſigkeit beſonders zu karakteriſiren, den Beſitzenden durch¬
aus gleichgültig, wer ſie ſchützt, wenn ſie nur geſchützt werden.
Das einzige Augenmerk dabei iſt: ſo wohlfeil als möglich! Der
Krieg iſt dieſem Krämerſinn nur ein Streit zwiſchen zwei Herrſcher¬
familien über die Frage, welche von Beiden einen gewiſſen Diſtrikt
vertheidigen ſolle. Sobald der Feind — nicht der des Beſitzenden,
ſondern der ſeines vorigen Herrn — ſich ſeines Landes bemächtigt
und die Söldner des Andern vertrieben hat, iſt Alles wieder in
Ordnung und geht ſeinen alten Gang: die Habe iſt geſichert, die
Geſchäfte gehen vor wie nach — Herz, was willſt du mehr? —
Der wahren Anſicht beſteht das Höchſte, nemlich Selbſtändigkeit
und Freiheit einer Nation darin, ihre Geſchichte, die ſie vereint,
organiſch aus ſich ſelber fortzuentwickeln zu einem Reich nach ihrer
beſtimmten volksthümlichen Idee oder Aufgabe. Darin durch
fremde Gewalt geſtört, eingeimpft einem fremden Leben, wäre ein
Volk getödtet, vernichtet, ausgeſtrichen. Da iſt aber ein eigent¬
licher Krieg, nicht der Herrſcherfamilien, ſondern des Volks;
die allgemeine Freiheit und eines Jeden beſondre iſt bedroht;
ohne ſie kann er gar nicht leben wollen, ohne ſich für einen
Nichtswürdigen zu bekennen. Es iſt darum Jedem für ſeine Per¬
ſon und ohne Stellvertretung aufgegeben der Kampf auf Leben
und Tod!“

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[26/0036] lichen Menſchen iſt das rein empiriſche Leben die Hauptſache, letzter Zweck. Hierauf kommen die Mittel, es zu erhalten, es ſo angenehm und bequem als möglich zu machen, Hab und Gut, Gewerbfleiß und Handel. Dieſe Mittel des Lebens, Eigenthum genannt, wie ſie auch zuſammengebracht ſeien, gegen gewaltſamen Raub jeder Art zu ſchützen, dazu iſt der Staat als bloßes Mittel da, ſomit ſchon Mittel zweiten Grades, Ihn halten ſich die Eigen¬ thümer, wie der Herr ſich einen Bedienten hält. Der Staat iſt ſomit nur ein nothwendiges Uebel, das Geld koſtet. Hiebei iſt, dieſe Ideeloſigkeit beſonders zu karakteriſiren, den Beſitzenden durch¬ aus gleichgültig, wer ſie ſchützt, wenn ſie nur geſchützt werden. Das einzige Augenmerk dabei iſt: ſo wohlfeil als möglich! Der Krieg iſt dieſem Krämerſinn nur ein Streit zwiſchen zwei Herrſcher¬ familien über die Frage, welche von Beiden einen gewiſſen Diſtrikt vertheidigen ſolle. Sobald der Feind — nicht der des Beſitzenden, ſondern der ſeines vorigen Herrn — ſich ſeines Landes bemächtigt und die Söldner des Andern vertrieben hat, iſt Alles wieder in Ordnung und geht ſeinen alten Gang: die Habe iſt geſichert, die Geſchäfte gehen vor wie nach — Herz, was willſt du mehr? — Der wahren Anſicht beſteht das Höchſte, nemlich Selbſtändigkeit und Freiheit einer Nation darin, ihre Geſchichte, die ſie vereint, organiſch aus ſich ſelber fortzuentwickeln zu einem Reich nach ihrer beſtimmten volksthümlichen Idee oder Aufgabe. Darin durch fremde Gewalt geſtört, eingeimpft einem fremden Leben, wäre ein Volk getödtet, vernichtet, ausgeſtrichen. Da iſt aber ein eigent¬ licher Krieg, nicht der Herrſcherfamilien, ſondern des Volks; die allgemeine Freiheit und eines Jeden beſondre iſt bedroht; ohne ſie kann er gar nicht leben wollen, ohne ſich für einen Nichtswürdigen zu bekennen. Es iſt darum Jedem für ſeine Per¬ ſon und ohne Stellvertretung aufgegeben der Kampf auf Leben und Tod!“

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/36>, abgerufen am 29.03.2024.