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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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Elihu-Burrit'schen Kosmopolitismus, von dem man nicht recht
weiß, ob er die Abneigung gegen jenen zur Wirkung oder Ursache
habe. Gewiß, Schlachtfelder und ihre Trümmerstätten dürfen wir
nicht mit abstrakt-idealen Augen betrachten; da kann das Urteil
nur in Einem Sinn ausfallen. Wir müssen vielmehr Leben und
Menschen nehmen, wie sie sind und allezeit bis zum Anbruch des
"ewigen Friedens" bleiben werden, keine Engel, sondern Menschen
mit allerlei Leidenschaften, die in ihnen selbst wider einander
streiten und dieß unvermeidlich zuweilen auch nach Außen spielen
lassen. Aber von diesem festen Standort der Beurteilung aus
hat doch das vielverrufene Wort des männlichen Hegel auch
eine wahre Seite, wenn er meint, derartige Gewitter im Völker¬
leben wirken nicht bloß zerstörend, sondern auch luftreinigend und
nervenstärkend; sie fegen aus mit der dumpfen Schwüle einer nur
ins Materielle versunkenen Gesinnung; sie lassen jeden Einzelnen
die Nichtigkeit und Vergänglichkeit der Güter erkennen, welche als
endliche nicht das Recht auf unser ganzes Herz haben; sie reißen
damit das Wurzelwerk aus, mit welchem er sich in ruhigen und
gemächlichen Tagen seiner höheren Bestimmung zuwider an die
Scholle partikularistischer Interessen verklammert. Und so könne
oft ein Volk nur durch eine derartige Blut- und Feuertaufe vor
dem geistigen Tod, diesem größten Schaden, errettet werden; denn
"wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren".

Freilich, Derartiges hat nur Sinn für Einen, der zuvor über¬
haupt menschenwürdigen Sinn hat für den überwiegenden Werth
des Idealen, wie es in jeder Lage und socialen Stellung seine
Stätte haben kann und keineswegs bloß bei einer bevorzugten
Spitze der Gesellschaft. Treffend schildert der spätere Fichte den
ideelosen Gegensatz dieses persönlichen, sittlich erhebenden und
stärkenden Patriotismus, wenn er die Staatsanschauung der kosmo¬
politischen Manchesterseelen also darstellt: "Dem ordinären natür¬

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Elihu-Burrit'ſchen Kosmopolitismus, von dem man nicht recht
weiß, ob er die Abneigung gegen jenen zur Wirkung oder Urſache
habe. Gewiß, Schlachtfelder und ihre Trümmerſtätten dürfen wir
nicht mit abſtrakt-idealen Augen betrachten; da kann das Urteil
nur in Einem Sinn ausfallen. Wir müſſen vielmehr Leben und
Menſchen nehmen, wie ſie ſind und allezeit bis zum Anbruch des
„ewigen Friedens“ bleiben werden, keine Engel, ſondern Menſchen
mit allerlei Leidenſchaften, die in ihnen ſelbſt wider einander
ſtreiten und dieß unvermeidlich zuweilen auch nach Außen ſpielen
laſſen. Aber von dieſem feſten Standort der Beurteilung aus
hat doch das vielverrufene Wort des männlichen Hegel auch
eine wahre Seite, wenn er meint, derartige Gewitter im Völker¬
leben wirken nicht bloß zerſtörend, ſondern auch luftreinigend und
nervenſtärkend; ſie fegen aus mit der dumpfen Schwüle einer nur
ins Materielle verſunkenen Geſinnung; ſie laſſen jeden Einzelnen
die Nichtigkeit und Vergänglichkeit der Güter erkennen, welche als
endliche nicht das Recht auf unſer ganzes Herz haben; ſie reißen
damit das Wurzelwerk aus, mit welchem er ſich in ruhigen und
gemächlichen Tagen ſeiner höheren Beſtimmung zuwider an die
Scholle partikulariſtiſcher Intereſſen verklammert. Und ſo könne
oft ein Volk nur durch eine derartige Blut- und Feuertaufe vor
dem geiſtigen Tod, dieſem größten Schaden, errettet werden; denn
„wer ſein Leben erhalten will, der wird es verlieren“.

Freilich, Derartiges hat nur Sinn für Einen, der zuvor über¬
haupt menſchenwürdigen Sinn hat für den überwiegenden Werth
des Idealen, wie es in jeder Lage und ſocialen Stellung ſeine
Stätte haben kann und keineswegs bloß bei einer bevorzugten
Spitze der Geſellſchaft. Treffend ſchildert der ſpätere Fichte den
ideeloſen Gegenſatz dieſes perſönlichen, ſittlich erhebenden und
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[25/0035] Elihu-Burrit'ſchen Kosmopolitismus, von dem man nicht recht weiß, ob er die Abneigung gegen jenen zur Wirkung oder Urſache habe. Gewiß, Schlachtfelder und ihre Trümmerſtätten dürfen wir nicht mit abſtrakt-idealen Augen betrachten; da kann das Urteil nur in Einem Sinn ausfallen. Wir müſſen vielmehr Leben und Menſchen nehmen, wie ſie ſind und allezeit bis zum Anbruch des „ewigen Friedens“ bleiben werden, keine Engel, ſondern Menſchen mit allerlei Leidenſchaften, die in ihnen ſelbſt wider einander ſtreiten und dieß unvermeidlich zuweilen auch nach Außen ſpielen laſſen. Aber von dieſem feſten Standort der Beurteilung aus hat doch das vielverrufene Wort des männlichen Hegel auch eine wahre Seite, wenn er meint, derartige Gewitter im Völker¬ leben wirken nicht bloß zerſtörend, ſondern auch luftreinigend und nervenſtärkend; ſie fegen aus mit der dumpfen Schwüle einer nur ins Materielle verſunkenen Geſinnung; ſie laſſen jeden Einzelnen die Nichtigkeit und Vergänglichkeit der Güter erkennen, welche als endliche nicht das Recht auf unſer ganzes Herz haben; ſie reißen damit das Wurzelwerk aus, mit welchem er ſich in ruhigen und gemächlichen Tagen ſeiner höheren Beſtimmung zuwider an die Scholle partikulariſtiſcher Intereſſen verklammert. Und ſo könne oft ein Volk nur durch eine derartige Blut- und Feuertaufe vor dem geiſtigen Tod, dieſem größten Schaden, errettet werden; denn „wer ſein Leben erhalten will, der wird es verlieren“. Freilich, Derartiges hat nur Sinn für Einen, der zuvor über¬ haupt menſchenwürdigen Sinn hat für den überwiegenden Werth des Idealen, wie es in jeder Lage und ſocialen Stellung ſeine Stätte haben kann und keineswegs bloß bei einer bevorzugten Spitze der Geſellſchaft. Treffend ſchildert der ſpätere Fichte den ideeloſen Gegenſatz dieſes perſönlichen, ſittlich erhebenden und ſtärkenden Patriotismus, wenn er die Staatsanſchauung der kosmo¬ politiſchen Mancheſterſeelen alſo darſtellt: „Dem ordinären natür¬ (165)

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/35>, abgerufen am 25.04.2024.