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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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dert hatte man sich im Wesentlichen arrangirt und "vertragen"
gelernt; so konnte als Gegendruck jener gefühlssatte Kosmopoli¬
tismus die herrschende Stimmung werden, in welche auch die
Deutschen, nur sie ohne wirklichen Grund, sich versenkten. Im neun¬
zehnten Jahrhundert endlich war es Zeit, die Vereinigung von
Beiden, vorzunehmen. Eine Richtung durch die andere zu binden,
im Nationalitätsgedanken und Patriotismus Einzelnes und Allge¬
meines zu verknüpfen. Daher eben die bewußt-ausdrückliche Macht,
der staatenumbildende Einfluß, welchen diese Idee in unserem Zeit¬
alter gewonnen hat, nicht ein Fündlein einzelner kluger Köpfe
oder ein Machwerk der schlauen Berechnung, sondern ein Kind der
Geschichte selbst, an dessen Wiege "Poros und Penia", wie Plato
von der Geburt alles Großen sagt, die Roth der Zeit und das
dadurch aufgebotene Pflichtgefühl standen.

Wie aber das Gute beim Licht betrachtet sich doch immer
selbst belohnt, so ist ein solcher pflichtmäßige Anschluß zunächst
ans eigene Vaterland gleichzeitig die allerersprießlichste und
fruchtbringendste Stellung.

In naturgemäßer, also innerlich wahrer und auch auf die
Dauer möglicher Weise erweitert sie die einzelne Seele des In¬
dividuums
. Dasselbe lernt in Blick und Interesse über das
Schneckenhaus egoistischer Selbstsucht, diesen tiefsten Kern alles
Bösen, sich erheben. Es bereichert durch warme Sympathie mit
einem noch menschlich-umspannbaren und verständnißnahen Ganzen
sein eigenes geistiges Leben, statt in der dürren Oede des Isolir¬
standpunkts zu vertrocknen. In der Hingabe an seinen Staat und
dessen Gesetze, die schließlich auch seines höheren Willens innerster
Kern sind, erwirbt es in größerem Maßstab die edlen Tugenden
der Hingebung und Treue, und wenn es sein muß auch die mensch¬
liche Kardinaltugend der Opferwilligkeit bis in den Tod. Der
nationale Krieg -- er ist von jeher ein Hauptscandalon des

dert hatte man ſich im Weſentlichen arrangirt und „vertragen“
gelernt; ſo konnte als Gegendruck jener gefühlsſatte Kosmopoli¬
tismus die herrſchende Stimmung werden, in welche auch die
Deutſchen, nur ſie ohne wirklichen Grund, ſich verſenkten. Im neun¬
zehnten Jahrhundert endlich war es Zeit, die Vereinigung von
Beiden, vorzunehmen. Eine Richtung durch die andere zu binden,
im Nationalitätsgedanken und Patriotismus Einzelnes und Allge¬
meines zu verknüpfen. Daher eben die bewußt-ausdrückliche Macht,
der ſtaatenumbildende Einfluß, welchen dieſe Idee in unſerem Zeit¬
alter gewonnen hat, nicht ein Fündlein einzelner kluger Köpfe
oder ein Machwerk der ſchlauen Berechnung, ſondern ein Kind der
Geſchichte ſelbſt, an deſſen Wiege „Poros und Penia“, wie Plato
von der Geburt alles Großen ſagt, die Roth der Zeit und das
dadurch aufgebotene Pflichtgefühl ſtanden.

Wie aber das Gute beim Licht betrachtet ſich doch immer
ſelbſt belohnt, ſo iſt ein ſolcher pflichtmäßige Anſchluß zunächſt
ans eigene Vaterland gleichzeitig die allererſprießlichſte und
fruchtbringendſte Stellung.

In naturgemäßer, alſo innerlich wahrer und auch auf die
Dauer möglicher Weiſe erweitert ſie die einzelne Seele des In¬
dividuums
. Daſſelbe lernt in Blick und Intereſſe über das
Schneckenhaus egoiſtiſcher Selbſtſucht, dieſen tiefſten Kern alles
Böſen, ſich erheben. Es bereichert durch warme Sympathie mit
einem noch menſchlich-umſpannbaren und verſtändnißnahen Ganzen
ſein eigenes geiſtiges Leben, ſtatt in der dürren Oede des Iſolir¬
ſtandpunkts zu vertrocknen. In der Hingabe an ſeinen Staat und
deſſen Geſetze, die ſchließlich auch ſeines höheren Willens innerſter
Kern ſind, erwirbt es in größerem Maßſtab die edlen Tugenden
der Hingebung und Treue, und wenn es ſein muß auch die menſch¬
liche Kardinaltugend der Opferwilligkeit bis in den Tod. Der
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[24/0034] dert hatte man ſich im Weſentlichen arrangirt und „vertragen“ gelernt; ſo konnte als Gegendruck jener gefühlsſatte Kosmopoli¬ tismus die herrſchende Stimmung werden, in welche auch die Deutſchen, nur ſie ohne wirklichen Grund, ſich verſenkten. Im neun¬ zehnten Jahrhundert endlich war es Zeit, die Vereinigung von Beiden, vorzunehmen. Eine Richtung durch die andere zu binden, im Nationalitätsgedanken und Patriotismus Einzelnes und Allge¬ meines zu verknüpfen. Daher eben die bewußt-ausdrückliche Macht, der ſtaatenumbildende Einfluß, welchen dieſe Idee in unſerem Zeit¬ alter gewonnen hat, nicht ein Fündlein einzelner kluger Köpfe oder ein Machwerk der ſchlauen Berechnung, ſondern ein Kind der Geſchichte ſelbſt, an deſſen Wiege „Poros und Penia“, wie Plato von der Geburt alles Großen ſagt, die Roth der Zeit und das dadurch aufgebotene Pflichtgefühl ſtanden. Wie aber das Gute beim Licht betrachtet ſich doch immer ſelbſt belohnt, ſo iſt ein ſolcher pflichtmäßige Anſchluß zunächſt ans eigene Vaterland gleichzeitig die allererſprießlichſte und fruchtbringendſte Stellung. In naturgemäßer, alſo innerlich wahrer und auch auf die Dauer möglicher Weiſe erweitert ſie die einzelne Seele des In¬ dividuums. Daſſelbe lernt in Blick und Intereſſe über das Schneckenhaus egoiſtiſcher Selbſtſucht, dieſen tiefſten Kern alles Böſen, ſich erheben. Es bereichert durch warme Sympathie mit einem noch menſchlich-umſpannbaren und verſtändnißnahen Ganzen ſein eigenes geiſtiges Leben, ſtatt in der dürren Oede des Iſolir¬ ſtandpunkts zu vertrocknen. In der Hingabe an ſeinen Staat und deſſen Geſetze, die ſchließlich auch ſeines höheren Willens innerſter Kern ſind, erwirbt es in größerem Maßſtab die edlen Tugenden der Hingebung und Treue, und wenn es ſein muß auch die menſch¬ liche Kardinaltugend der Opferwilligkeit bis in den Tod. Der nationale Krieg — er iſt von jeher ein Hauptſcandalon des

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/34>, abgerufen am 23.04.2024.