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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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durch den grellen "Tag von Jena" und sich nicht, wie er zuerst leicht¬
hin gemeint, als sonnenverwandter Geist durch die "Sonne von
Austerlitz" geblendet anziehen. Für ihn lag allmählig nur noch
der zu kräftiger Befehdung aufrufende Zauber der Antipathie in
der dämonisch-großen Gestalt des kleinen Mannes, in welchem "der
Zeitgeist selbst verkörpert zu Pferd zu sitzen schien", wenn man
ihn mit zwar genialen und für das Gewaltigsubstantielle begeister¬
ten, aber noch zu jungen und durchs ernste Leben noch nicht ge¬
feiten Augen ansah. Fichte dagegen, der Rousseau'sche Radikalist
und Kosmopolit, wird dem zerstörenden Cäsar gegenüber zum
feurigen "Redner an die deutsche Nation", dem selbst Davousts
Trommelwirbel durch Berlins Straßen die Mannesworte des be¬
ginnenden, vor dem Ausbruch dumpf grollenden nationalen Sturms
nicht zu übertäuben vermochten.

Ueberhaupt, die patriotisch-nationale Idee, in Deutschland
wenigstens tief versunken und verborgen gewesen, sprang plötzlich
wie Minerva aus dem Haupte Jupiters in voller Rüstung als
das "Volk in Waffen" von 1813 hervor, nachdem der Hephästus¬
hammer des Korsen die alten, mürbgewordenen Formen klirrend
zerschlagen; die Noth der Zeit war es, was die weichmüthigen
Alleweltsgefühlsseelen zu starken patriotischen Karakteren unter
Männern und Frauen umschmiedete.

Durch diesen gewaltigen äußeren Anstoß kam aber nur zum
Durchbruch, was ohne allen künstlichen Zwang im Lauf und Ge¬
setz der vernünftigen Entwicklung selber lag. Das siebenzehnte
Jahrhundert als Erbe des sechszehnten war durchtobt gewesen vom
mannigfachsten Kampf wiederstreitender Parteien und Interessen
auf weltlichem und geistlichem, auf materiellem und ideellem Ge¬
biet. Eine solche Zeit des "bellum omnium contra omnes", wie
ein wackerer Zeitgenosse sie schmerzlich empfindet, trägt nothwendig
die Signatur des krassen Egoismus. Im achtzehnten Jahrhun¬

durch den grellen „Tag von Jena“ und ſich nicht, wie er zuerſt leicht¬
hin gemeint, als ſonnenverwandter Geiſt durch die „Sonne von
Auſterlitz“ geblendet anziehen. Für ihn lag allmählig nur noch
der zu kräftiger Befehdung aufrufende Zauber der Antipathie in
der dämoniſch-großen Geſtalt des kleinen Mannes, in welchem „der
Zeitgeiſt ſelbſt verkörpert zu Pferd zu ſitzen ſchien“, wenn man
ihn mit zwar genialen und für das Gewaltigſubſtantielle begeiſter¬
ten, aber noch zu jungen und durchs ernſte Leben noch nicht ge¬
feiten Augen anſah. Fichte dagegen, der Rouſſeau'ſche Radikaliſt
und Kosmopolit, wird dem zerſtörenden Cäſar gegenüber zum
feurigen „Redner an die deutſche Nation“, dem ſelbſt Davouſts
Trommelwirbel durch Berlins Straßen die Mannesworte des be¬
ginnenden, vor dem Ausbruch dumpf grollenden nationalen Sturms
nicht zu übertäuben vermochten.

Ueberhaupt, die patriotiſch-nationale Idee, in Deutſchland
wenigſtens tief verſunken und verborgen geweſen, ſprang plötzlich
wie Minerva aus dem Haupte Jupiters in voller Rüſtung als
das „Volk in Waffen“ von 1813 hervor, nachdem der Hephäſtus¬
hammer des Korſen die alten, mürbgewordenen Formen klirrend
zerſchlagen; die Noth der Zeit war es, was die weichmüthigen
Alleweltsgefühlsſeelen zu ſtarken patriotiſchen Karakteren unter
Männern und Frauen umſchmiedete.

Durch dieſen gewaltigen äußeren Anſtoß kam aber nur zum
Durchbruch, was ohne allen künſtlichen Zwang im Lauf und Ge¬
ſetz der vernünftigen Entwicklung ſelber lag. Das ſiebenzehnte
Jahrhundert als Erbe des ſechszehnten war durchtobt geweſen vom
mannigfachſten Kampf wiederſtreitender Parteien und Intereſſen
auf weltlichem und geiſtlichem, auf materiellem und ideellem Ge¬
biet. Eine ſolche Zeit des »bellum omnium contra omnes«, wie
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[23/0033] durch den grellen „Tag von Jena“ und ſich nicht, wie er zuerſt leicht¬ hin gemeint, als ſonnenverwandter Geiſt durch die „Sonne von Auſterlitz“ geblendet anziehen. Für ihn lag allmählig nur noch der zu kräftiger Befehdung aufrufende Zauber der Antipathie in der dämoniſch-großen Geſtalt des kleinen Mannes, in welchem „der Zeitgeiſt ſelbſt verkörpert zu Pferd zu ſitzen ſchien“, wenn man ihn mit zwar genialen und für das Gewaltigſubſtantielle begeiſter¬ ten, aber noch zu jungen und durchs ernſte Leben noch nicht ge¬ feiten Augen anſah. Fichte dagegen, der Rouſſeau'ſche Radikaliſt und Kosmopolit, wird dem zerſtörenden Cäſar gegenüber zum feurigen „Redner an die deutſche Nation“, dem ſelbſt Davouſts Trommelwirbel durch Berlins Straßen die Mannesworte des be¬ ginnenden, vor dem Ausbruch dumpf grollenden nationalen Sturms nicht zu übertäuben vermochten. Ueberhaupt, die patriotiſch-nationale Idee, in Deutſchland wenigſtens tief verſunken und verborgen geweſen, ſprang plötzlich wie Minerva aus dem Haupte Jupiters in voller Rüſtung als das „Volk in Waffen“ von 1813 hervor, nachdem der Hephäſtus¬ hammer des Korſen die alten, mürbgewordenen Formen klirrend zerſchlagen; die Noth der Zeit war es, was die weichmüthigen Alleweltsgefühlsſeelen zu ſtarken patriotiſchen Karakteren unter Männern und Frauen umſchmiedete. Durch dieſen gewaltigen äußeren Anſtoß kam aber nur zum Durchbruch, was ohne allen künſtlichen Zwang im Lauf und Ge¬ ſetz der vernünftigen Entwicklung ſelber lag. Das ſiebenzehnte Jahrhundert als Erbe des ſechszehnten war durchtobt geweſen vom mannigfachſten Kampf wiederſtreitender Parteien und Intereſſen auf weltlichem und geiſtlichem, auf materiellem und ideellem Ge¬ biet. Eine ſolche Zeit des »bellum omnium contra omnes«, wie ein wackerer Zeitgenoſſe ſie ſchmerzlich empfindet, trägt nothwendig die Signatur des kraſſen Egoismus. Im achtzehnten Jahrhun¬

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/33>, abgerufen am 19.04.2024.