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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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lich aber Jedermann zumuthen. Dieß schon als schuldige Dankbar¬
keit
für das reiche Erbe, welches Geschichte und Gesammtheit er¬
ziehend jedem Einzelnen als unverdiente Mitgift fürs Leben in den
Schoos schütten. Erinnern wir in dieser Hinsicht nur an die Geistes¬
schatzkammer der Sprache, "die für uns dichtet und denkt," die dem
Kinde in den paar ersten Lebensjahren schon wie eine gütige Fee
eine Fülle gemünzter Weisheit in die Hand drückt, daß es sie als
Mann verstehend genieße und mit dem Reichthum jenes "objek¬
tiven Geists" den subjektiven nähre. -- So gilt es, dankbaren
Sinnes das hierin und sonst Empfangene nicht nur unverfälscht
zu bewahren, sondern auch weiterbauend zu fördern und solidarisch
Eins mit der Geschichte es der Nachwelt mit Zinsen zu überliefern.

Es ist interessant, wie sich auch geschichtlich an diesem tiefsten
moralischen Gedanken der Pflicht der deutsche Kosmopolitismus
des vorigen Jahrhunderts zum Patriotismus aufgerafft hat. Wohl
hat Schiller zuerst als frohgemuther Sänger weltbürgerliche
Weitherzigkeit gepriesen oder abstraktstürmische Weltverbesserungs¬
ideen gepredigt. Aber er war doch eine tiefethische Dichternatur,
nicht angelegt zu ästhetischweicher Beschaulichkeit; er ging na¬
mentlich durch die ernste Schule der Kantischen Philosophie und
Sittenlehre; so sah er mehr und mehr trotz allen treubewahrten
Idealismus das Leben mit anderen Augen an. Seine Weltge¬
stalten verdichten sich allmählig zu nationalen Gebilden, zu vater¬
ländischen Meisterstücken; denn "es wächst der Mensch mit seinem
höhern Zweck." Und wie er an der Grenzscheide des Jahrhun¬
derts nur dunkle schwere Wetterwolken über Europa geballt sieht,
da mahnt er dringend im Tell als seinem letzten Vermächtniß,
ein Schirmdach vor dem Sturm zu suchen durch Anschluß ans
Vaterland und dessen Wurzeln der Kraft.

Auch Fichte, diese grundgediegene Eichennatur, Iäßt sich noch
rechtzeitig aus den kosmopolitischen Schlummerträumen aufwecken

lich aber Jedermann zumuthen. Dieß ſchon als ſchuldige Dankbar¬
keit
für das reiche Erbe, welches Geſchichte und Geſammtheit er¬
ziehend jedem Einzelnen als unverdiente Mitgift fürs Leben in den
Schoos ſchütten. Erinnern wir in dieſer Hinſicht nur an die Geiſtes¬
ſchatzkammer der Sprache, „die für uns dichtet und denkt,“ die dem
Kinde in den paar erſten Lebensjahren ſchon wie eine gütige Fee
eine Fülle gemünzter Weisheit in die Hand drückt, daß es ſie als
Mann verſtehend genieße und mit dem Reichthum jenes „objek¬
tiven Geiſts“ den ſubjektiven nähre. — So gilt es, dankbaren
Sinnes das hierin und ſonſt Empfangene nicht nur unverfälſcht
zu bewahren, ſondern auch weiterbauend zu fördern und ſolidariſch
Eins mit der Geſchichte es der Nachwelt mit Zinſen zu überliefern.

Es iſt intereſſant, wie ſich auch geſchichtlich an dieſem tiefſten
moraliſchen Gedanken der Pflicht der deutſche Kosmopolitismus
des vorigen Jahrhunderts zum Patriotismus aufgerafft hat. Wohl
hat Schiller zuerſt als frohgemuther Sänger weltbürgerliche
Weitherzigkeit geprieſen oder abſtraktſtürmiſche Weltverbeſſerungs¬
ideen gepredigt. Aber er war doch eine tiefethiſche Dichternatur,
nicht angelegt zu äſthetiſchweicher Beſchaulichkeit; er ging na¬
mentlich durch die ernſte Schule der Kantiſchen Philoſophie und
Sittenlehre; ſo ſah er mehr und mehr trotz allen treubewahrten
Idealismus das Leben mit anderen Augen an. Seine Weltge¬
ſtalten verdichten ſich allmählig zu nationalen Gebilden, zu vater¬
ländiſchen Meiſterſtücken; denn „es wächſt der Menſch mit ſeinem
höhern Zweck.“ Und wie er an der Grenzſcheide des Jahrhun¬
derts nur dunkle ſchwere Wetterwolken über Europa geballt ſieht,
da mahnt er dringend im Tell als ſeinem letzten Vermächtniß,
ein Schirmdach vor dem Sturm zu ſuchen durch Anſchluß ans
Vaterland und deſſen Wurzeln der Kraft.

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[22/0032] lich aber Jedermann zumuthen. Dieß ſchon als ſchuldige Dankbar¬ keit für das reiche Erbe, welches Geſchichte und Geſammtheit er¬ ziehend jedem Einzelnen als unverdiente Mitgift fürs Leben in den Schoos ſchütten. Erinnern wir in dieſer Hinſicht nur an die Geiſtes¬ ſchatzkammer der Sprache, „die für uns dichtet und denkt,“ die dem Kinde in den paar erſten Lebensjahren ſchon wie eine gütige Fee eine Fülle gemünzter Weisheit in die Hand drückt, daß es ſie als Mann verſtehend genieße und mit dem Reichthum jenes „objek¬ tiven Geiſts“ den ſubjektiven nähre. — So gilt es, dankbaren Sinnes das hierin und ſonſt Empfangene nicht nur unverfälſcht zu bewahren, ſondern auch weiterbauend zu fördern und ſolidariſch Eins mit der Geſchichte es der Nachwelt mit Zinſen zu überliefern. Es iſt intereſſant, wie ſich auch geſchichtlich an dieſem tiefſten moraliſchen Gedanken der Pflicht der deutſche Kosmopolitismus des vorigen Jahrhunderts zum Patriotismus aufgerafft hat. Wohl hat Schiller zuerſt als frohgemuther Sänger weltbürgerliche Weitherzigkeit geprieſen oder abſtraktſtürmiſche Weltverbeſſerungs¬ ideen gepredigt. Aber er war doch eine tiefethiſche Dichternatur, nicht angelegt zu äſthetiſchweicher Beſchaulichkeit; er ging na¬ mentlich durch die ernſte Schule der Kantiſchen Philoſophie und Sittenlehre; ſo ſah er mehr und mehr trotz allen treubewahrten Idealismus das Leben mit anderen Augen an. Seine Weltge¬ ſtalten verdichten ſich allmählig zu nationalen Gebilden, zu vater¬ ländiſchen Meiſterſtücken; denn „es wächſt der Menſch mit ſeinem höhern Zweck.“ Und wie er an der Grenzſcheide des Jahrhun¬ derts nur dunkle ſchwere Wetterwolken über Europa geballt ſieht, da mahnt er dringend im Tell als ſeinem letzten Vermächtniß, ein Schirmdach vor dem Sturm zu ſuchen durch Anſchluß ans Vaterland und deſſen Wurzeln der Kraft. Auch Fichte, dieſe grundgediegene Eichennatur, Iäßt ſich noch rechtzeitig aus den kosmopolitiſchen Schlummerträumen aufwecken

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/32>, abgerufen am 20.04.2024.