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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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war so gut wie heutigen Tags nur entweder trotziger Wahn oder
frommer Wunsch, nicht aber Wirklichkeit. Und soweit es dieß je
war, herrschte bloß mechanisch-gewaltsame Einerleiheit, nicht die
freie suveräne Wahl des Geistes oder Herzens, das sich selbst seine
Stätten und Formen zum Heimischsein beliebig aussucht.

So ist es trotz mancher Ansätze doch schließlich erst das Werk,
die Großthat der Neuzeit, sich auf diese Geisteshöhe geschwun¬
gen zu haben, wo die Schranken von Raum und Zeit als über¬
wundene Elemente der Anfänge, als die Windeln der Menschenkind¬
heit erscheinen. Die Entdeckungen und Erfindungen vom vierzehn¬
ten Jahrhundert an, vor denen das Mittelalter zuletzt morsch in
sich zusammenbrach und von der freieraufathmenden Brust der
Menschheit jener hierarchische Alpdruck wich, sie sind eben darauf
gerichtet, die seitherigen Grenzen auf den verschiedensten Gebieten
wenn nicht ganz aufzuheben, so doch nach Möglichkeit hinauszu¬
rücken. Des Kopernikus geistig großer Gedanke macht der geo¬
centrischen Selbstsucht, jenem partikularistisch eingebildeten Wahn
des Menschen ein Ende, als ob Sonne, Mond und Sterne sich
just nur höfisch um ihn und seine Selbstherrlichkeit zu drehen hätten.
Er erkennt sich und seinen Wohnort als Glied nur im Ganzen,
ja als verschwindendes Atom im unendlichen Weltraum, zu dessen
Höhe und Ferne das Telescop siegreich nebelzerstreuend dringt, wäh¬
rend das Mikroscop ungeahnte Wunder der Welt im Kleinen er¬
schließt, Kühne Reisen, nach den phantastischen Kreuzzügen nüch¬
ternen Sinnes unternommen, offenbaren eine ganz neue Geogra¬
phie; das Wiederaufleben der klassischen Wissenschaften, von der List
der Idee durch die Ueberfluthung von Byzanz durch die rohen Türken
gewirkt, zieht den Vorhang vom Theater großer vergangener Geistes¬
entwicklung und Geschichte. Expansiv und fernwirkend sind end¬
lich auch jene zwei Erfindungen, welche im Krieg und damit im
Staatswesen einerseits, im Frieden andererseits der Neuzeit kräf¬

war ſo gut wie heutigen Tags nur entweder trotziger Wahn oder
frommer Wunſch, nicht aber Wirklichkeit. Und ſoweit es dieß je
war, herrſchte bloß mechaniſch-gewaltſame Einerleiheit, nicht die
freie ſuveräne Wahl des Geiſtes oder Herzens, das ſich ſelbſt ſeine
Stätten und Formen zum Heimiſchſein beliebig ausſucht.

So iſt es trotz mancher Anſätze doch ſchließlich erſt das Werk,
die Großthat der Neuzeit, ſich auf dieſe Geiſteshöhe geſchwun¬
gen zu haben, wo die Schranken von Raum und Zeit als über¬
wundene Elemente der Anfänge, als die Windeln der Menſchenkind¬
heit erſcheinen. Die Entdeckungen und Erfindungen vom vierzehn¬
ten Jahrhundert an, vor denen das Mittelalter zuletzt morſch in
ſich zuſammenbrach und von der freieraufathmenden Bruſt der
Menſchheit jener hierarchiſche Alpdruck wich, ſie ſind eben darauf
gerichtet, die ſeitherigen Grenzen auf den verſchiedenſten Gebieten
wenn nicht ganz aufzuheben, ſo doch nach Möglichkeit hinauszu¬
rücken. Des Kopernikus geiſtig großer Gedanke macht der geo¬
centriſchen Selbſtſucht, jenem partikulariſtiſch eingebildeten Wahn
des Menſchen ein Ende, als ob Sonne, Mond und Sterne ſich
juſt nur höfiſch um ihn und ſeine Selbſtherrlichkeit zu drehen hätten.
Er erkennt ſich und ſeinen Wohnort als Glied nur im Ganzen,
ja als verſchwindendes Atom im unendlichen Weltraum, zu deſſen
Höhe und Ferne das Teleſcop ſiegreich nebelzerſtreuend dringt, wäh¬
rend das Mikroſcop ungeahnte Wunder der Welt im Kleinen er¬
ſchließt, Kühne Reiſen, nach den phantaſtiſchen Kreuzzügen nüch¬
ternen Sinnes unternommen, offenbaren eine ganz neue Geogra¬
phie; das Wiederaufleben der klaſſiſchen Wiſſenſchaften, von der Liſt
der Idee durch die Ueberfluthung von Byzanz durch die rohen Türken
gewirkt, zieht den Vorhang vom Theater großer vergangener Geiſtes¬
entwicklung und Geſchichte. Expanſiv und fernwirkend ſind end¬
lich auch jene zwei Erfindungen, welche im Krieg und damit im
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[9/0019] war ſo gut wie heutigen Tags nur entweder trotziger Wahn oder frommer Wunſch, nicht aber Wirklichkeit. Und ſoweit es dieß je war, herrſchte bloß mechaniſch-gewaltſame Einerleiheit, nicht die freie ſuveräne Wahl des Geiſtes oder Herzens, das ſich ſelbſt ſeine Stätten und Formen zum Heimiſchſein beliebig ausſucht. So iſt es trotz mancher Anſätze doch ſchließlich erſt das Werk, die Großthat der Neuzeit, ſich auf dieſe Geiſteshöhe geſchwun¬ gen zu haben, wo die Schranken von Raum und Zeit als über¬ wundene Elemente der Anfänge, als die Windeln der Menſchenkind¬ heit erſcheinen. Die Entdeckungen und Erfindungen vom vierzehn¬ ten Jahrhundert an, vor denen das Mittelalter zuletzt morſch in ſich zuſammenbrach und von der freieraufathmenden Bruſt der Menſchheit jener hierarchiſche Alpdruck wich, ſie ſind eben darauf gerichtet, die ſeitherigen Grenzen auf den verſchiedenſten Gebieten wenn nicht ganz aufzuheben, ſo doch nach Möglichkeit hinauszu¬ rücken. Des Kopernikus geiſtig großer Gedanke macht der geo¬ centriſchen Selbſtſucht, jenem partikulariſtiſch eingebildeten Wahn des Menſchen ein Ende, als ob Sonne, Mond und Sterne ſich juſt nur höfiſch um ihn und ſeine Selbſtherrlichkeit zu drehen hätten. Er erkennt ſich und ſeinen Wohnort als Glied nur im Ganzen, ja als verſchwindendes Atom im unendlichen Weltraum, zu deſſen Höhe und Ferne das Teleſcop ſiegreich nebelzerſtreuend dringt, wäh¬ rend das Mikroſcop ungeahnte Wunder der Welt im Kleinen er¬ ſchließt, Kühne Reiſen, nach den phantaſtiſchen Kreuzzügen nüch¬ ternen Sinnes unternommen, offenbaren eine ganz neue Geogra¬ phie; das Wiederaufleben der klaſſiſchen Wiſſenſchaften, von der Liſt der Idee durch die Ueberfluthung von Byzanz durch die rohen Türken gewirkt, zieht den Vorhang vom Theater großer vergangener Geiſtes¬ entwicklung und Geſchichte. Expanſiv und fernwirkend ſind end¬ lich auch jene zwei Erfindungen, welche im Krieg und damit im Staatsweſen einerſeits, im Frieden andererſeits der Neuzeit kräf¬

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/19>, abgerufen am 29.03.2024.