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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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politischen: "Homo sum, nil humani a me alienum puto; ich
bin ein Mensch und erachte nichts Menschliches als mir fremd!"
heutigen Tags ist es travestirt zur trotzigen Forderung der "Men¬
schenrechte", welche dem angeblichen Haupttheil der Menschheit
angeblich vorenthalten seien und die sich zu erkämpfen die Gleich¬
gesinnten aller Orte, jeder Zunge als Eine rücksichtslose Partei
zusammenstehen müssen, den Fluch der ganzen seitherigen Geschichte
mit sehnigem Arm und nerviger Faust zu brechen. Freilich "Ich
erachte nichts Menschliches als ein alienum" -- im Munde des
Kommunismus hat es eine ganz neue Bedeutung und Prägung
erhalten!

Gegen diese Legionen schaart sich auf der andern Seite,
sonstigen Hader vergessend oder doch zurückstellend, unter der Fahne
des Patriotismus, was irgend seinen Standort nicht über
der Erde haben will in hierarchischen Höhen, nicht unter der
Erde bei den Maulwürfen der Geschichte und Gesellschaftsordnung,
sondern fest und klar auf der Erde, auf heimischem Boden, dessen
lange von den Besten ersehnte Einheit und Macht, der endlich
verwirklichte Traum der Jahrhunderte nicht sein soll "wie ge¬
wonnen, so zerronnen", eine kurze Blüthe, sogleich wieder von
den Würmern zernagt und zerfressen. Und wie nach der sinnigen
alten Sage Antäus, schwach in freier Luft, durch die Berührung
mit seiner Mutter Erde stets neue Kraft gewann, so gibt in
unserem Kampf die Vaterlandsliebe ihren treuen Streitern Muth
und Siegeszuversicht selbst gegen die Heeresmassen der Welt¬
bürgerlichen.

Diese beiden Losungen, welche als Sinnesweisen zwar im
Hintergrund der greifbaren Bestrebungen stehen, aber doch ein so
mächtiges Wort in unseren Tagen mitreden, haben wir gegen
einander zu prüfen und zu messen an den Naturgesetzen der Seele,
sowie an den Grundlinien der Moral, indem wir uns immer

politiſchen: »Homo sum, nil humani a me alienum puto; ich
bin ein Menſch und erachte nichts Menſchliches als mir fremd!“
heutigen Tags iſt es traveſtirt zur trotzigen Forderung der „Men¬
ſchenrechte“, welche dem angeblichen Haupttheil der Menſchheit
angeblich vorenthalten ſeien und die ſich zu erkämpfen die Gleich¬
geſinnten aller Orte, jeder Zunge als Eine rückſichtsloſe Partei
zuſammenſtehen müſſen, den Fluch der ganzen ſeitherigen Geſchichte
mit ſehnigem Arm und nerviger Fauſt zu brechen. Freilich „Ich
erachte nichts Menſchliches als ein alienum“ — im Munde des
Kommunismus hat es eine ganz neue Bedeutung und Prägung
erhalten!

Gegen dieſe Legionen ſchaart ſich auf der andern Seite,
ſonſtigen Hader vergeſſend oder doch zurückſtellend, unter der Fahne
des Patriotismus, was irgend ſeinen Standort nicht über
der Erde haben will in hierarchiſchen Höhen, nicht unter der
Erde bei den Maulwürfen der Geſchichte und Geſellſchaftsordnung,
ſondern feſt und klar auf der Erde, auf heimiſchem Boden, deſſen
lange von den Beſten erſehnte Einheit und Macht, der endlich
verwirklichte Traum der Jahrhunderte nicht ſein ſoll „wie ge¬
wonnen, ſo zerronnen“, eine kurze Blüthe, ſogleich wieder von
den Würmern zernagt und zerfreſſen. Und wie nach der ſinnigen
alten Sage Antäus, ſchwach in freier Luft, durch die Berührung
mit ſeiner Mutter Erde ſtets neue Kraft gewann, ſo gibt in
unſerem Kampf die Vaterlandsliebe ihren treuen Streitern Muth
und Siegeszuverſicht ſelbſt gegen die Heeresmaſſen der Welt¬
bürgerlichen.

Dieſe beiden Loſungen, welche als Sinnesweiſen zwar im
Hintergrund der greifbaren Beſtrebungen ſtehen, aber doch ein ſo
mächtiges Wort in unſeren Tagen mitreden, haben wir gegen
einander zu prüfen und zu meſſen an den Naturgeſetzen der Seele,
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[5/0015] politiſchen: »Homo sum, nil humani a me alienum puto; ich bin ein Menſch und erachte nichts Menſchliches als mir fremd!“ heutigen Tags iſt es traveſtirt zur trotzigen Forderung der „Men¬ ſchenrechte“, welche dem angeblichen Haupttheil der Menſchheit angeblich vorenthalten ſeien und die ſich zu erkämpfen die Gleich¬ geſinnten aller Orte, jeder Zunge als Eine rückſichtsloſe Partei zuſammenſtehen müſſen, den Fluch der ganzen ſeitherigen Geſchichte mit ſehnigem Arm und nerviger Fauſt zu brechen. Freilich „Ich erachte nichts Menſchliches als ein alienum“ — im Munde des Kommunismus hat es eine ganz neue Bedeutung und Prägung erhalten! Gegen dieſe Legionen ſchaart ſich auf der andern Seite, ſonſtigen Hader vergeſſend oder doch zurückſtellend, unter der Fahne des Patriotismus, was irgend ſeinen Standort nicht über der Erde haben will in hierarchiſchen Höhen, nicht unter der Erde bei den Maulwürfen der Geſchichte und Geſellſchaftsordnung, ſondern feſt und klar auf der Erde, auf heimiſchem Boden, deſſen lange von den Beſten erſehnte Einheit und Macht, der endlich verwirklichte Traum der Jahrhunderte nicht ſein ſoll „wie ge¬ wonnen, ſo zerronnen“, eine kurze Blüthe, ſogleich wieder von den Würmern zernagt und zerfreſſen. Und wie nach der ſinnigen alten Sage Antäus, ſchwach in freier Luft, durch die Berührung mit ſeiner Mutter Erde ſtets neue Kraft gewann, ſo gibt in unſerem Kampf die Vaterlandsliebe ihren treuen Streitern Muth und Siegeszuverſicht ſelbſt gegen die Heeresmaſſen der Welt¬ bürgerlichen. Dieſe beiden Loſungen, welche als Sinnesweiſen zwar im Hintergrund der greifbaren Beſtrebungen ſtehen, aber doch ein ſo mächtiges Wort in unſeren Tagen mitreden, haben wir gegen einander zu prüfen und zu meſſen an den Naturgeſetzen der Seele, ſowie an den Grundlinien der Moral, indem wir uns immer

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/15>, abgerufen am 19.04.2024.