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Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874.

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gegenständlich Greifbares, keine in sich abgeschlossenen, fertigen
Ziele und Interessen, für oder wider die man sich erhitzen könnte.
Sie sind vielmehr Beide nur begleitende, eine gemeinschaftliche
Richtung Vieler ausdrückende Stimmungen für andere Bestrebungen,
von denen sie den Inhalt empfangen, während sie jenen dafür
Form und Feuer, vielleicht auch vielfach nur den Vorwand oder
den blendenden, auf die Masse berechneten Schein verleihen. Als
dieß aber sind sie dennoch der Grundton, auf welchen in dem oft
wenig harmonischen Konzert unserer Tage alle Variationen der
Melodie hüben und drüben stets wieder zurückkommen; sie sind
die Fahne, um welche sich die Kämpfer beider Lager in dem Rin¬
gen schaaren, das trotz des schon versuchten Spöttelns der Blasirten
jeder Ernstere und Einsichtige rundweg "unseren modernen Kultur¬
kampf" nennen und für Einen der Wendepunkte in der Geschichte
erklären wird.

Unter dem bauschig flatternden Banner des Kosmopoli¬
tismus kämpft die Internationale, besser Antinationale
schwarzer und rother Observanz, trotzig überzeugt, weil sie ja Massen
ins Feuer zu führen hat, "unter diesem Zeichen zu siegen", --
als stünde die Welt noch vor derselben geschichtlichen Aufgabe, an
derselben wahren Grenzscheide zweier Zeitalter, wie einst Kon¬
stantin vor den Mauern Roms im Kampfe gegen Maxentius, wo
immerhin die universale Religion gegenüber einem krampfhaft
und krankhaft zu restauriren versuchten Heidenthum ihre innere
Siegesgewißheit selbst im Spiegelbilde der Wolken schauen mochte.
-- Des alten in seiner Art kosmopolitischen Weltreichs stolze
Losung und Marke: "Civis Romanus sum", ein Bürger Roms
bin ich -- sie wird von Neuem angewandt, um die näher liegende
nationale Bürgerpflicht abzuschütteln und excentrischen Sinnes sein
Centrum, seinen Schwerpunkt "jenseits der Berge" zu finden. --
Das andere Motto eines geistigen Weltbürgersinns neben dem

gegenſtändlich Greifbares, keine in ſich abgeſchloſſenen, fertigen
Ziele und Intereſſen, für oder wider die man ſich erhitzen könnte.
Sie ſind vielmehr Beide nur begleitende, eine gemeinſchaftliche
Richtung Vieler ausdrückende Stimmungen für andere Beſtrebungen,
von denen ſie den Inhalt empfangen, während ſie jenen dafür
Form und Feuer, vielleicht auch vielfach nur den Vorwand oder
den blendenden, auf die Maſſe berechneten Schein verleihen. Als
dieß aber ſind ſie dennoch der Grundton, auf welchen in dem oft
wenig harmoniſchen Konzert unſerer Tage alle Variationen der
Melodie hüben und drüben ſtets wieder zurückkommen; ſie ſind
die Fahne, um welche ſich die Kämpfer beider Lager in dem Rin¬
gen ſchaaren, das trotz des ſchon verſuchten Spöttelns der Blaſirten
jeder Ernſtere und Einſichtige rundweg „unſeren modernen Kultur¬
kampf“ nennen und für Einen der Wendepunkte in der Geſchichte
erklären wird.

Unter dem bauſchig flatternden Banner des Kosmopoli¬
tismus kämpft die Internationale, beſſer Antinationale
ſchwarzer und rother Obſervanz, trotzig überzeugt, weil ſie ja Maſſen
ins Feuer zu führen hat, „unter dieſem Zeichen zu ſiegen“, —
als ſtünde die Welt noch vor derſelben geſchichtlichen Aufgabe, an
derſelben wahren Grenzſcheide zweier Zeitalter, wie einſt Kon¬
ſtantin vor den Mauern Roms im Kampfe gegen Maxentius, wo
immerhin die univerſale Religion gegenüber einem krampfhaft
und krankhaft zu reſtauriren verſuchten Heidenthum ihre innere
Siegesgewißheit ſelbſt im Spiegelbilde der Wolken ſchauen mochte.
— Des alten in ſeiner Art kosmopolitiſchen Weltreichs ſtolze
Loſung und Marke: »Civis Romanus sum«, ein Bürger Roms
bin ich — ſie wird von Neuem angewandt, um die näher liegende
nationale Bürgerpflicht abzuſchütteln und excentriſchen Sinnes ſein
Centrum, ſeinen Schwerpunkt „jenſeits der Berge“ zu finden. —
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[4/0014] gegenſtändlich Greifbares, keine in ſich abgeſchloſſenen, fertigen Ziele und Intereſſen, für oder wider die man ſich erhitzen könnte. Sie ſind vielmehr Beide nur begleitende, eine gemeinſchaftliche Richtung Vieler ausdrückende Stimmungen für andere Beſtrebungen, von denen ſie den Inhalt empfangen, während ſie jenen dafür Form und Feuer, vielleicht auch vielfach nur den Vorwand oder den blendenden, auf die Maſſe berechneten Schein verleihen. Als dieß aber ſind ſie dennoch der Grundton, auf welchen in dem oft wenig harmoniſchen Konzert unſerer Tage alle Variationen der Melodie hüben und drüben ſtets wieder zurückkommen; ſie ſind die Fahne, um welche ſich die Kämpfer beider Lager in dem Rin¬ gen ſchaaren, das trotz des ſchon verſuchten Spöttelns der Blaſirten jeder Ernſtere und Einſichtige rundweg „unſeren modernen Kultur¬ kampf“ nennen und für Einen der Wendepunkte in der Geſchichte erklären wird. Unter dem bauſchig flatternden Banner des Kosmopoli¬ tismus kämpft die Internationale, beſſer Antinationale ſchwarzer und rother Obſervanz, trotzig überzeugt, weil ſie ja Maſſen ins Feuer zu führen hat, „unter dieſem Zeichen zu ſiegen“, — als ſtünde die Welt noch vor derſelben geſchichtlichen Aufgabe, an derſelben wahren Grenzſcheide zweier Zeitalter, wie einſt Kon¬ ſtantin vor den Mauern Roms im Kampfe gegen Maxentius, wo immerhin die univerſale Religion gegenüber einem krampfhaft und krankhaft zu reſtauriren verſuchten Heidenthum ihre innere Siegesgewißheit ſelbſt im Spiegelbilde der Wolken ſchauen mochte. — Des alten in ſeiner Art kosmopolitiſchen Weltreichs ſtolze Loſung und Marke: »Civis Romanus sum«, ein Bürger Roms bin ich — ſie wird von Neuem angewandt, um die näher liegende nationale Bürgerpflicht abzuſchütteln und excentriſchen Sinnes ſein Centrum, ſeinen Schwerpunkt „jenſeits der Berge“ zu finden. — Das andere Motto eines geiſtigen Weltbürgerſinns neben dem

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Zitationshilfe: Pfleiderer, Edmund: Kosmopolitismus und Patriotismus. Berlin, 1874, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfleiderer_kosmopolitismus_1874/14>, abgerufen am 24.04.2024.