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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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wenn ich das sehen müßte -- so sagte Gertrud --
und Thränen flossen von ihren Wangen --

Und Lienhard weinte nicht minder -- Was soll
ich thun? -- ich Unglücklicher! was kann ich ma-
chen? -- ich bin noch elender als du weissest -- O
Gertrud! Gertrud! Dann schwieg er wieder, rang
seine Hände und weinte lautes Entsetzen --

O Lieber! verzage nicht an Gottes Erbarmen --
o Theurer! was es auch seyn mag -- rede -- daß
wir uns helfen und rathen --


§. 2.
Eine Frau, die Entschlüsse nimmt, aus-
führt, und einen Herrn findet, der ein
Vaterherz hat --

O Gertrud, Gertrud! es bricht mir das Herz,
dir mein Elend zu sagen -- und deine Sorgen zu
vergrößern -- und doch muß ich es thun.

Ich bin Hummel, dem Vogt *), noch dreyßig
Gulden schuldig -- und der ist ein Hund, und kein

Mensch
*) Vogt ist in der Schweiz, was in Deutschland
der Schulz im Dorfe ist.
A 5

wenn ich das ſehen muͤßte — ſo ſagte Gertrud —
und Thraͤnen floſſen von ihren Wangen —

Und Lienhard weinte nicht minder — Was ſoll
ich thun? — ich Ungluͤcklicher! was kann ich ma-
chen? — ich bin noch elender als du weiſſeſt — O
Gertrud! Gertrud! Dann ſchwieg er wieder, rang
ſeine Haͤnde und weinte lautes Entſetzen —

O Lieber! verzage nicht an Gottes Erbarmen —
o Theurer! was es auch ſeyn mag — rede — daß
wir uns helfen und rathen —


§. 2.
Eine Frau, die Entſchluͤſſe nimmt, aus-
fuͤhrt, und einen Herrn findet, der ein
Vaterherz hat —

O Gertrud, Gertrud! es bricht mir das Herz,
dir mein Elend zu ſagen — und deine Sorgen zu
vergroͤßern — und doch muß ich es thun.

Ich bin Hummel, dem Vogt *), noch dreyßig
Gulden ſchuldig — und der iſt ein Hund, und kein

Menſch
*) Vogt iſt in der Schweiz, was in Deutſchland
der Schulz im Dorfe iſt.
A 5
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[9/0032] wenn ich das ſehen muͤßte — ſo ſagte Gertrud — und Thraͤnen floſſen von ihren Wangen — Und Lienhard weinte nicht minder — Was ſoll ich thun? — ich Ungluͤcklicher! was kann ich ma- chen? — ich bin noch elender als du weiſſeſt — O Gertrud! Gertrud! Dann ſchwieg er wieder, rang ſeine Haͤnde und weinte lautes Entſetzen — O Lieber! verzage nicht an Gottes Erbarmen — o Theurer! was es auch ſeyn mag — rede — daß wir uns helfen und rathen — §. 2. Eine Frau, die Entſchluͤſſe nimmt, aus- fuͤhrt, und einen Herrn findet, der ein Vaterherz hat — O Gertrud, Gertrud! es bricht mir das Herz, dir mein Elend zu ſagen — und deine Sorgen zu vergroͤßern — und doch muß ich es thun. Ich bin Hummel, dem Vogt *), noch dreyßig Gulden ſchuldig — und der iſt ein Hund, und kein Menſch *) Vogt iſt in der Schweiz, was in Deutſchland der Schulz im Dorfe iſt. A 5

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/32>, abgerufen am 28.03.2024.