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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.
bei den Völkern, welche der Zahl nach die Hälfte der Menschheit
umfassen von 74 bis 78 und diese nennt er Rechtschädel (Ortho-
cephalen), wofür mit Broca aber besser Mittelschädel (Mesocephalen)
gesagt wird. Sinkt der Index unter 74, so sprechen wir von Schmal-
oder Langschädeln (Dolichocephalen), und erreicht er 79 oder mehr,
von Breit- oder Kurzschädeln. Statistisch hat sich nun ergeben,
dass die Mehrzahl der Bewohner eines bestimmten Gebietes sich
um eine mittlere Schädelform schaare, sowie dass, je weiter die
Abirrungsstufen sich von der mittleren Form entfernen, sie durch
eine sich rasch vermindernde Schädelzahl vertreten werden. Das
ist nun genau dasjenige, was jeder erwarten wird, der Arten- und
Racenmerkmale als etwas flüssiges betrachtet, der in der belebten
Schöpfung nur Einzelwesen erkennt, und der mit Goethe annimmt,
dass die Arten nur im Lehrbuche der Systematiker existiren. Selbst
die Mittel der Schädelproportionen schwanken innerhalb der ein-
zelnen Racen. Ueberraschend sind namentlich die Ziffern, welche
Welcker für den Stamm der malayischen Völker gefunden hat. Be-
achten wir dabei zunächst nur den Breitenindex und beseitigen wir
die stark dolichocephalen Schädel (68) der Carolinenbewohner, weil
sie als Mikronesier von dem Verdacht einer Blutmischung nicht
frei sind, so erhalten wir, noch an der Gränze der Dolichocephalie,
mit einem Breitenindex von 73 die Maori Neu-Seelands. Es folgen
dann in der Indexscala aufwärts steigend als Mesocephalen die
Schädel der Marquesasinsulaner (74), der Tahitier (75), der Chatham-
insulaner (76), der Kanaken auf dem Sandwicharchipel (77). Auf
den grossen Inseln zwischen Australien und Asien finden wir die
Dayaken Borneo's mit 75, die Balinesen mit 76, die Amboinesen
mit 77, Schädel Sumatra's mit 77 und Mankassaren mit 78 ange-
geben. An diese Mesocephalen schliessen sich noch als Breit-
schädel an: die Javanen und die Buginesen mit 79, die Mena-
daresen mit 80 und die Maduresen mit 82.

Von den 19 Theilstrichen der Breitenverhältnisse nehmen nun,
wie wir eben sahen, die Schädel der Malayenfamilie nicht weniger
als neun ein, von 73 bis 82. Man kann hier nicht sagen, dass die
malayischen Schädel etwa Mischformen darstellen, denn rings um-
geben von Schmalschädeln konnten sie nie ihre hohe Brachycephalie
der Kreuzung verdanken. Wären sie aber ursprünglich brachyce-
phal gewesen, so müsste sich diess vorzugsweise bei den Dayaken
zeigen, da wir sie als die reinsten Vertreter des alten Malayen-

Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.
bei den Völkern, welche der Zahl nach die Hälfte der Menschheit
umfassen von 74 bis 78 und diese nennt er Rechtschädel (Ortho-
cephalen), wofür mit Broca aber besser Mittelschädel (Mesocephalen)
gesagt wird. Sinkt der Index unter 74, so sprechen wir von Schmal-
oder Langschädeln (Dolichocephalen), und erreicht er 79 oder mehr,
von Breit- oder Kurzschädeln. Statistisch hat sich nun ergeben,
dass die Mehrzahl der Bewohner eines bestimmten Gebietes sich
um eine mittlere Schädelform schaare, sowie dass, je weiter die
Abirrungsstufen sich von der mittleren Form entfernen, sie durch
eine sich rasch vermindernde Schädelzahl vertreten werden. Das
ist nun genau dasjenige, was jeder erwarten wird, der Arten- und
Racenmerkmale als etwas flüssiges betrachtet, der in der belebten
Schöpfung nur Einzelwesen erkennt, und der mit Goethe annimmt,
dass die Arten nur im Lehrbuche der Systematiker existiren. Selbst
die Mittel der Schädelproportionen schwanken innerhalb der ein-
zelnen Racen. Ueberraschend sind namentlich die Ziffern, welche
Welcker für den Stamm der malayischen Völker gefunden hat. Be-
achten wir dabei zunächst nur den Breitenindex und beseitigen wir
die stark dolichocephalen Schädel (68) der Carolinenbewohner, weil
sie als Mikronesier von dem Verdacht einer Blutmischung nicht
frei sind, so erhalten wir, noch an der Gränze der Dolichocephalie,
mit einem Breitenindex von 73 die Maori Neu-Seelands. Es folgen
dann in der Indexscala aufwärts steigend als Mesocephalen die
Schädel der Marquesasinsulaner (74), der Tahitier (75), der Chatham-
insulaner (76), der Kanaken auf dem Sandwicharchipel (77). Auf
den grossen Inseln zwischen Australien und Asien finden wir die
Dayaken Borneo’s mit 75, die Balinesen mit 76, die Amboinesen
mit 77, Schädel Sumatra’s mit 77 und Mankassaren mit 78 ange-
geben. An diese Mesocephalen schliessen sich noch als Breit-
schädel an: die Javanen und die Buginesen mit 79, die Mena-
daresen mit 80 und die Maduresen mit 82.

Von den 19 Theilstrichen der Breitenverhältnisse nehmen nun,
wie wir eben sahen, die Schädel der Malayenfamilie nicht weniger
als neun ein, von 73 bis 82. Man kann hier nicht sagen, dass die
malayischen Schädel etwa Mischformen darstellen, denn rings um-
geben von Schmalschädeln konnten sie nie ihre hohe Brachycephalie
der Kreuzung verdanken. Wären sie aber ursprünglich brachyce-
phal gewesen, so müsste sich diess vorzugsweise bei den Dayaken
zeigen, da wir sie als die reinsten Vertreter des alten Malayen-

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[57/0075] Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels. bei den Völkern, welche der Zahl nach die Hälfte der Menschheit umfassen von 74 bis 78 und diese nennt er Rechtschädel (Ortho- cephalen), wofür mit Broca aber besser Mittelschädel (Mesocephalen) gesagt wird. Sinkt der Index unter 74, so sprechen wir von Schmal- oder Langschädeln (Dolichocephalen), und erreicht er 79 oder mehr, von Breit- oder Kurzschädeln. Statistisch hat sich nun ergeben, dass die Mehrzahl der Bewohner eines bestimmten Gebietes sich um eine mittlere Schädelform schaare, sowie dass, je weiter die Abirrungsstufen sich von der mittleren Form entfernen, sie durch eine sich rasch vermindernde Schädelzahl vertreten werden. Das ist nun genau dasjenige, was jeder erwarten wird, der Arten- und Racenmerkmale als etwas flüssiges betrachtet, der in der belebten Schöpfung nur Einzelwesen erkennt, und der mit Goethe annimmt, dass die Arten nur im Lehrbuche der Systematiker existiren. Selbst die Mittel der Schädelproportionen schwanken innerhalb der ein- zelnen Racen. Ueberraschend sind namentlich die Ziffern, welche Welcker für den Stamm der malayischen Völker gefunden hat. Be- achten wir dabei zunächst nur den Breitenindex und beseitigen wir die stark dolichocephalen Schädel (68) der Carolinenbewohner, weil sie als Mikronesier von dem Verdacht einer Blutmischung nicht frei sind, so erhalten wir, noch an der Gränze der Dolichocephalie, mit einem Breitenindex von 73 die Maori Neu-Seelands. Es folgen dann in der Indexscala aufwärts steigend als Mesocephalen die Schädel der Marquesasinsulaner (74), der Tahitier (75), der Chatham- insulaner (76), der Kanaken auf dem Sandwicharchipel (77). Auf den grossen Inseln zwischen Australien und Asien finden wir die Dayaken Borneo’s mit 75, die Balinesen mit 76, die Amboinesen mit 77, Schädel Sumatra’s mit 77 und Mankassaren mit 78 ange- geben. An diese Mesocephalen schliessen sich noch als Breit- schädel an: die Javanen und die Buginesen mit 79, die Mena- daresen mit 80 und die Maduresen mit 82. Von den 19 Theilstrichen der Breitenverhältnisse nehmen nun, wie wir eben sahen, die Schädel der Malayenfamilie nicht weniger als neun ein, von 73 bis 82. Man kann hier nicht sagen, dass die malayischen Schädel etwa Mischformen darstellen, denn rings um- geben von Schmalschädeln konnten sie nie ihre hohe Brachycephalie der Kreuzung verdanken. Wären sie aber ursprünglich brachyce- phal gewesen, so müsste sich diess vorzugsweise bei den Dayaken zeigen, da wir sie als die reinsten Vertreter des alten Malayen-

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/75>, abgerufen am 28.03.2024.