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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.
in der Mitte durch schwammartige Blasenräume auseinander ge-
trieben und der Schädel erreicht dann in dem einen und andern
Falle Mächtigkeiten von 20 und 15 Millimetern oder darüber. Da
nun diese inneren Aufblähungen der Knochen sicherlich in keiner
Beziehung zu den Verrichtungen des Gehirns stehen und bei den
Angehörigen desselben Stammes sehr schwanken, auch mit dem
Lebensalter sich steigern, so schien es unangemessen bei Bestim-
mung des Längsdurchmessers die Zirkelspitzen gerade über diesen
Knochenanschwellungen anzusetzen. Barnard Davis misst daher
von der Stirnglatze (glabella) nach dem am meisten hervorragenden
Punkt des Hinterhauptes. Welcker wiederum setzt die eine Spitze
des Tastercirkels ebenfalls an der Stirnglatze ein, die andre aber
etwa einen Zoll über dem Hinterhauptstachel. Beide vermeiden
also die Stellen, wo sich die Knochen der Hirnschale am stärksten
verdicken. Vielleicht wäre das scheinbar roheste Verfahren, näm-
lich die grösste Achse da zu suchen, wo man sie findet, die rich-
tigste gewesen, denn die Entwicklung der Stirnhöhlen, so unwesent-
lich sie sonst sein mag, trägt doch ohne Zweifel dazu bei, den
Schädel zu verlängern und der Betrag dieser Verlängerung soll ja
mit Hilfe des Cirkels gefunden werden. Da sich aber ein jedes
Messverfahren rechtfertigen lässt, keines bis jetzt durch allgemeine
Zustimmung zur Herrschaft gelangt ist, so müssen wir heutigen
Tages denjenigen Schädelkennern folgen, welche die grösste Zahl
von Messungen geliefert haben, die einen Vergleich unter sich zu-
lassen. Es sind diess Barnard Davis und Hermann Welcker 1).
Wenn wir die Ergebnisse dieses Letzteren vorzugsweise beachten, so
muss noch ein Vorbehalt hinzugefügt werden. Die Breite des
Schädels wird jetzt übereinstimmend an keiner anatomisch streng
befestigten Stelle gemessen, sondern überhaupt die Stelle auf-
gesucht, wo der Schädel am breitesten ist. Welcker dagegen misst
die Breite an einer Ebene, die durch die Hinterhauptöffnung ge-
richtet, den Schädel in eine vordere und hintere Hälfte zerlegt. Da
sich nun alle nicht genau elliptischen Schädel, also die überwäl-
tigende Mehrzahl hinter dieser Theilungsebne verbreitern, so lassen
Welckers Messungen alle Schädel durchschnittlich um etwa zwei
Procent länglicher erscheinen, als sie sich dem Auge darbieten.

Man pflegt nämlich den Längendurchmesser 100 gleichzusetzen

1) Vgl. Appendix A. und B.

Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.
in der Mitte durch schwammartige Blasenräume auseinander ge-
trieben und der Schädel erreicht dann in dem einen und andern
Falle Mächtigkeiten von 20 und 15 Millimetern oder darüber. Da
nun diese inneren Aufblähungen der Knochen sicherlich in keiner
Beziehung zu den Verrichtungen des Gehirns stehen und bei den
Angehörigen desselben Stammes sehr schwanken, auch mit dem
Lebensalter sich steigern, so schien es unangemessen bei Bestim-
mung des Längsdurchmessers die Zirkelspitzen gerade über diesen
Knochenanschwellungen anzusetzen. Barnard Davis misst daher
von der Stirnglatze (glabella) nach dem am meisten hervorragenden
Punkt des Hinterhauptes. Welcker wiederum setzt die eine Spitze
des Tastercirkels ebenfalls an der Stirnglatze ein, die andre aber
etwa einen Zoll über dem Hinterhauptstachel. Beide vermeiden
also die Stellen, wo sich die Knochen der Hirnschale am stärksten
verdicken. Vielleicht wäre das scheinbar roheste Verfahren, näm-
lich die grösste Achse da zu suchen, wo man sie findet, die rich-
tigste gewesen, denn die Entwicklung der Stirnhöhlen, so unwesent-
lich sie sonst sein mag, trägt doch ohne Zweifel dazu bei, den
Schädel zu verlängern und der Betrag dieser Verlängerung soll ja
mit Hilfe des Cirkels gefunden werden. Da sich aber ein jedes
Messverfahren rechtfertigen lässt, keines bis jetzt durch allgemeine
Zustimmung zur Herrschaft gelangt ist, so müssen wir heutigen
Tages denjenigen Schädelkennern folgen, welche die grösste Zahl
von Messungen geliefert haben, die einen Vergleich unter sich zu-
lassen. Es sind diess Barnard Davis und Hermann Welcker 1).
Wenn wir die Ergebnisse dieses Letzteren vorzugsweise beachten, so
muss noch ein Vorbehalt hinzugefügt werden. Die Breite des
Schädels wird jetzt übereinstimmend an keiner anatomisch streng
befestigten Stelle gemessen, sondern überhaupt die Stelle auf-
gesucht, wo der Schädel am breitesten ist. Welcker dagegen misst
die Breite an einer Ebene, die durch die Hinterhauptöffnung ge-
richtet, den Schädel in eine vordere und hintere Hälfte zerlegt. Da
sich nun alle nicht genau elliptischen Schädel, also die überwäl-
tigende Mehrzahl hinter dieser Theilungsebne verbreitern, so lassen
Welckers Messungen alle Schädel durchschnittlich um etwa zwei
Procent länglicher erscheinen, als sie sich dem Auge darbieten.

Man pflegt nämlich den Längendurchmesser 100 gleichzusetzen

1) Vgl. Appendix A. und B.
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[55/0073] Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels. in der Mitte durch schwammartige Blasenräume auseinander ge- trieben und der Schädel erreicht dann in dem einen und andern Falle Mächtigkeiten von 20 und 15 Millimetern oder darüber. Da nun diese inneren Aufblähungen der Knochen sicherlich in keiner Beziehung zu den Verrichtungen des Gehirns stehen und bei den Angehörigen desselben Stammes sehr schwanken, auch mit dem Lebensalter sich steigern, so schien es unangemessen bei Bestim- mung des Längsdurchmessers die Zirkelspitzen gerade über diesen Knochenanschwellungen anzusetzen. Barnard Davis misst daher von der Stirnglatze (glabella) nach dem am meisten hervorragenden Punkt des Hinterhauptes. Welcker wiederum setzt die eine Spitze des Tastercirkels ebenfalls an der Stirnglatze ein, die andre aber etwa einen Zoll über dem Hinterhauptstachel. Beide vermeiden also die Stellen, wo sich die Knochen der Hirnschale am stärksten verdicken. Vielleicht wäre das scheinbar roheste Verfahren, näm- lich die grösste Achse da zu suchen, wo man sie findet, die rich- tigste gewesen, denn die Entwicklung der Stirnhöhlen, so unwesent- lich sie sonst sein mag, trägt doch ohne Zweifel dazu bei, den Schädel zu verlängern und der Betrag dieser Verlängerung soll ja mit Hilfe des Cirkels gefunden werden. Da sich aber ein jedes Messverfahren rechtfertigen lässt, keines bis jetzt durch allgemeine Zustimmung zur Herrschaft gelangt ist, so müssen wir heutigen Tages denjenigen Schädelkennern folgen, welche die grösste Zahl von Messungen geliefert haben, die einen Vergleich unter sich zu- lassen. Es sind diess Barnard Davis und Hermann Welcker 1). Wenn wir die Ergebnisse dieses Letzteren vorzugsweise beachten, so muss noch ein Vorbehalt hinzugefügt werden. Die Breite des Schädels wird jetzt übereinstimmend an keiner anatomisch streng befestigten Stelle gemessen, sondern überhaupt die Stelle auf- gesucht, wo der Schädel am breitesten ist. Welcker dagegen misst die Breite an einer Ebene, die durch die Hinterhauptöffnung ge- richtet, den Schädel in eine vordere und hintere Hälfte zerlegt. Da sich nun alle nicht genau elliptischen Schädel, also die überwäl- tigende Mehrzahl hinter dieser Theilungsebne verbreitern, so lassen Welckers Messungen alle Schädel durchschnittlich um etwa zwei Procent länglicher erscheinen, als sie sich dem Auge darbieten. Man pflegt nämlich den Längendurchmesser 100 gleichzusetzen 1) Vgl. Appendix A. und B.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/73>, abgerufen am 19.04.2024.