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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Das Alter des Menschengeschlechtes.
in Vorzeiten unter der Ramsesstatue geflossen, andere, dass jener
Scherben aus einem ehemaligen Brunnen oder einem ehemaligen
Teiche hervorgezogen worden sei, als ob es sich um ein vereinzeltes
Fundstück, nicht blos um das am tiefsten gelegne unter unzähligen
andern handele. Oder man sagt, dass durch Wasserbauten an einem
beliebigen Punkte in kurzer Zeit sich Sedimente von grosser Mäch-
tigkeit anhäufen lassen, übersieht aber dabei gänzlich, dass dieses
Verfahren dann auf dem Gebiete aller vier Reihen von Bohrlöchern
stattgefunden haben müsse, so wie, dass die Sohle der Ramsesstatue
nur 78' 3" über dem Meeresspiegel liegt 1), der Scherben also nur
auf 39' 3" absoluter Höhe gefunden wurde. Selbst das Bedenken
Sir Charles Lyells, dass die alten Aegypter nach Herodot ihre
Tempel und Denkmäler mit einem Walle gegen den Andrang der
Nilfluthen zu schützen pflegten 2), erscheint nicht stichhaltig, denn
wurden diese Schutzwehren einmal durchbrochen, dann wuchsen
die Niederschläge in der Bodensenkung um so rascher und der
Strom konnte in wenig Jahren einholen, woran er im letzten Jahr-
tausend verhindert worden war. Wohl aber ist gegen die obige
Berechnung einzuwenden, dass uns die Mächtigkeit des Nilschlammes
seit 1361 vor Chr. deswegen nicht als zuverlässiger Massstab dienen
kann, weil die Stromgefilde keineswegs in einer glatten Ebene
liegen. Horner selbst bemerkt, dass wenn der Nil das 24. Ellen-
zeichen am Pegel auf der Insel Rhoda erreicht, er bald Tiefen von
20', bald nur von weniger als einem Zoll bilde, so gross seien die
Unebenheiten des Bodens 3). Daraus folgt, dass die Schlamm-
schichten in den Vertiefungen viel rascher wachsen müssen als an
den erhöhten Stellen, und dass wenn die Aegypter ihren steinernen
Ramses, wie fast vermuthet werden darf, auf einer Anschwellung
errichteten, die sich rasch neben einer Vertiefung abgesetzt hatte,
der spätere Zuwachs an Nilschlamm nur langsam den Boden er-
höhte. Wer hätte aber trotzdem den Muth noch zu bestreiten,
dass jener Scherben aus 39 Fuss Tiefe mindestens um 4000 Jahre
älter sein müsse, als das Denkmal des grossen Ramses?


1) Horner l. c. p. 56.
2) Sir Charles Lyell, Antiquity. p. 38.
3) Horner l. c. p. 56.

Das Alter des Menschengeschlechtes.
in Vorzeiten unter der Ramsesstatue geflossen, andere, dass jener
Scherben aus einem ehemaligen Brunnen oder einem ehemaligen
Teiche hervorgezogen worden sei, als ob es sich um ein vereinzeltes
Fundstück, nicht blos um das am tiefsten gelegne unter unzähligen
andern handele. Oder man sagt, dass durch Wasserbauten an einem
beliebigen Punkte in kurzer Zeit sich Sedimente von grosser Mäch-
tigkeit anhäufen lassen, übersieht aber dabei gänzlich, dass dieses
Verfahren dann auf dem Gebiete aller vier Reihen von Bohrlöchern
stattgefunden haben müsse, so wie, dass die Sohle der Ramsesstatue
nur 78′ 3″ über dem Meeresspiegel liegt 1), der Scherben also nur
auf 39′ 3″ absoluter Höhe gefunden wurde. Selbst das Bedenken
Sir Charles Lyells, dass die alten Aegypter nach Herodot ihre
Tempel und Denkmäler mit einem Walle gegen den Andrang der
Nilfluthen zu schützen pflegten 2), erscheint nicht stichhaltig, denn
wurden diese Schutzwehren einmal durchbrochen, dann wuchsen
die Niederschläge in der Bodensenkung um so rascher und der
Strom konnte in wenig Jahren einholen, woran er im letzten Jahr-
tausend verhindert worden war. Wohl aber ist gegen die obige
Berechnung einzuwenden, dass uns die Mächtigkeit des Nilschlammes
seit 1361 vor Chr. deswegen nicht als zuverlässiger Massstab dienen
kann, weil die Stromgefilde keineswegs in einer glatten Ebene
liegen. Horner selbst bemerkt, dass wenn der Nil das 24. Ellen-
zeichen am Pegel auf der Insel Rhoda erreicht, er bald Tiefen von
20′, bald nur von weniger als einem Zoll bilde, so gross seien die
Unebenheiten des Bodens 3). Daraus folgt, dass die Schlamm-
schichten in den Vertiefungen viel rascher wachsen müssen als an
den erhöhten Stellen, und dass wenn die Aegypter ihren steinernen
Ramses, wie fast vermuthet werden darf, auf einer Anschwellung
errichteten, die sich rasch neben einer Vertiefung abgesetzt hatte,
der spätere Zuwachs an Nilschlamm nur langsam den Boden er-
höhte. Wer hätte aber trotzdem den Muth noch zu bestreiten,
dass jener Scherben aus 39 Fuss Tiefe mindestens um 4000 Jahre
älter sein müsse, als das Denkmal des grossen Ramses?


1) Horner l. c. p. 56.
2) Sir Charles Lyell, Antiquity. p. 38.
3) Horner l. c. p. 56.
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[47/0065] Das Alter des Menschengeschlechtes. in Vorzeiten unter der Ramsesstatue geflossen, andere, dass jener Scherben aus einem ehemaligen Brunnen oder einem ehemaligen Teiche hervorgezogen worden sei, als ob es sich um ein vereinzeltes Fundstück, nicht blos um das am tiefsten gelegne unter unzähligen andern handele. Oder man sagt, dass durch Wasserbauten an einem beliebigen Punkte in kurzer Zeit sich Sedimente von grosser Mäch- tigkeit anhäufen lassen, übersieht aber dabei gänzlich, dass dieses Verfahren dann auf dem Gebiete aller vier Reihen von Bohrlöchern stattgefunden haben müsse, so wie, dass die Sohle der Ramsesstatue nur 78′ 3″ über dem Meeresspiegel liegt 1), der Scherben also nur auf 39′ 3″ absoluter Höhe gefunden wurde. Selbst das Bedenken Sir Charles Lyells, dass die alten Aegypter nach Herodot ihre Tempel und Denkmäler mit einem Walle gegen den Andrang der Nilfluthen zu schützen pflegten 2), erscheint nicht stichhaltig, denn wurden diese Schutzwehren einmal durchbrochen, dann wuchsen die Niederschläge in der Bodensenkung um so rascher und der Strom konnte in wenig Jahren einholen, woran er im letzten Jahr- tausend verhindert worden war. Wohl aber ist gegen die obige Berechnung einzuwenden, dass uns die Mächtigkeit des Nilschlammes seit 1361 vor Chr. deswegen nicht als zuverlässiger Massstab dienen kann, weil die Stromgefilde keineswegs in einer glatten Ebene liegen. Horner selbst bemerkt, dass wenn der Nil das 24. Ellen- zeichen am Pegel auf der Insel Rhoda erreicht, er bald Tiefen von 20′, bald nur von weniger als einem Zoll bilde, so gross seien die Unebenheiten des Bodens 3). Daraus folgt, dass die Schlamm- schichten in den Vertiefungen viel rascher wachsen müssen als an den erhöhten Stellen, und dass wenn die Aegypter ihren steinernen Ramses, wie fast vermuthet werden darf, auf einer Anschwellung errichteten, die sich rasch neben einer Vertiefung abgesetzt hatte, der spätere Zuwachs an Nilschlamm nur langsam den Boden er- höhte. Wer hätte aber trotzdem den Muth noch zu bestreiten, dass jener Scherben aus 39 Fuss Tiefe mindestens um 4000 Jahre älter sein müsse, als das Denkmal des grossen Ramses? 1) Horner l. c. p. 56. 2) Sir Charles Lyell, Antiquity. p. 38. 3) Horner l. c. p. 56.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/65>, abgerufen am 28.03.2024.