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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Das Alter des Menschengeschlechtes.
errichteten Bühnen Hütten zu bauen, muss sich durch lange Zeiten
erhalten haben, denn in den älteren Pfahlbauten finden sich wohl
geschliffne, aber nicht durchbohrte, das heisst zur Aufnahme eines
Stieles vorbereitete Steinklingen, an jüngeren Fundstätten dagegen
sind die geschärften Steine durchbohrt und in den neuesten mi-
schen sich unter sie bereits Geräthe aus Bronze. Wenn eine Mehr-
zahl von Pfahlbauten durch Feuersbrünste zerstört wurden, so
braucht man nicht immer an feindliche Ueberfälle zu denken, denn
wir werden später Menschenstämme kennen lernen, die aus einem
schamanistischen Aberglauben ihre eignen Behausungen anzünden,
wenn sie zur Wanderung sich anschicken. Nichts hindert uns bis
jetzt die schweizerischen Pfahlbauern für einen arischen Volksstamm
zu halten. So gehört der Schädel, welcher bei Meilen gefunden
wurde einem etwa 13jährigen Kinde und wie der Schädel bei Au-
vernier aus der Bronzezeit dem sogenannten Siontypus an, welcher
die keltischen Helvetier vertreten soll 1). Die schweizerischen See-
bewohner trieben Ackerbau und assen Brod, pflanzten Obstbäume
und dörrten Aepfel. Rinder, Schafe und Ziegen bewohnten gemein-
schaftlich mit ihnen die Pfahlbauten und für ihre Fütterung zur
Winterszeit musste also gesorgt werden, ja auch Katzen und Hunde
waren bereits zu Gesellschaftern herangezogen worden. Nur das
Schwein befand sich wenigstens zur Zeit der ältesten Ansiedelungen
noch im wilden Zustande und der Ur, der Bison und das Elen-
thier gehörten noch immer, wenn auch selten, zur Jagdbeute. Ab-
gesehen von diesen in den historischen Zeiten vertilgten Geschöpfen
erlitt die Thierwelt keine Verluste und innerhalb des Pflanzen-
reiches beschränkt sich alles auf das Verschwinden einer Nadel-
holzart und zweier Wasserpflanzen, die sich aus den Ebnen hin-
weggezogen haben 2). Solche Pfahlbauten sind theils unter Torf-
schichten begraben, theils durch Verschüttungen der Seen vom
Ufer landeinwärts gerückt worden oder es lagen die Steingeräthe
unter den Schuttkegeln von Wildwassern wie im Delta der Ti-
niere bei Villeneuve am Genfer See. Aus der Mächtigkeit oder
der Ausdehnung solcher Neubildungen wurde versucht das Alter
der Hinterlassenschaften um 5--7000 Jahre zurückzuverlegen.

1) His u. Rütimeyer, Crania helvetica. p. 36--37.
2) Rütimeyer, Die Fauna der Pfahlbauten in der Schweiz. Basel
1861. S. 8. S. 228--29.

Das Alter des Menschengeschlechtes.
errichteten Bühnen Hütten zu bauen, muss sich durch lange Zeiten
erhalten haben, denn in den älteren Pfahlbauten finden sich wohl
geschliffne, aber nicht durchbohrte, das heisst zur Aufnahme eines
Stieles vorbereitete Steinklingen, an jüngeren Fundstätten dagegen
sind die geschärften Steine durchbohrt und in den neuesten mi-
schen sich unter sie bereits Geräthe aus Bronze. Wenn eine Mehr-
zahl von Pfahlbauten durch Feuersbrünste zerstört wurden, so
braucht man nicht immer an feindliche Ueberfälle zu denken, denn
wir werden später Menschenstämme kennen lernen, die aus einem
schamanistischen Aberglauben ihre eignen Behausungen anzünden,
wenn sie zur Wanderung sich anschicken. Nichts hindert uns bis
jetzt die schweizerischen Pfahlbauern für einen arischen Volksstamm
zu halten. So gehört der Schädel, welcher bei Meilen gefunden
wurde einem etwa 13jährigen Kinde und wie der Schädel bei Au-
vernier aus der Bronzezeit dem sogenannten Siontypus an, welcher
die keltischen Helvetier vertreten soll 1). Die schweizerischen See-
bewohner trieben Ackerbau und assen Brod, pflanzten Obstbäume
und dörrten Aepfel. Rinder, Schafe und Ziegen bewohnten gemein-
schaftlich mit ihnen die Pfahlbauten und für ihre Fütterung zur
Winterszeit musste also gesorgt werden, ja auch Katzen und Hunde
waren bereits zu Gesellschaftern herangezogen worden. Nur das
Schwein befand sich wenigstens zur Zeit der ältesten Ansiedelungen
noch im wilden Zustande und der Ur, der Bison und das Elen-
thier gehörten noch immer, wenn auch selten, zur Jagdbeute. Ab-
gesehen von diesen in den historischen Zeiten vertilgten Geschöpfen
erlitt die Thierwelt keine Verluste und innerhalb des Pflanzen-
reiches beschränkt sich alles auf das Verschwinden einer Nadel-
holzart und zweier Wasserpflanzen, die sich aus den Ebnen hin-
weggezogen haben 2). Solche Pfahlbauten sind theils unter Torf-
schichten begraben, theils durch Verschüttungen der Seen vom
Ufer landeinwärts gerückt worden oder es lagen die Steingeräthe
unter den Schuttkegeln von Wildwassern wie im Delta der Ti-
nière bei Villeneuve am Genfer See. Aus der Mächtigkeit oder
der Ausdehnung solcher Neubildungen wurde versucht das Alter
der Hinterlassenschaften um 5—7000 Jahre zurückzuverlegen.

1) His u. Rütimeyer, Crania helvetica. p. 36—37.
2) Rütimeyer, Die Fauna der Pfahlbauten in der Schweiz. Basel
1861. S. 8. S. 228—29.
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[45/0063] Das Alter des Menschengeschlechtes. errichteten Bühnen Hütten zu bauen, muss sich durch lange Zeiten erhalten haben, denn in den älteren Pfahlbauten finden sich wohl geschliffne, aber nicht durchbohrte, das heisst zur Aufnahme eines Stieles vorbereitete Steinklingen, an jüngeren Fundstätten dagegen sind die geschärften Steine durchbohrt und in den neuesten mi- schen sich unter sie bereits Geräthe aus Bronze. Wenn eine Mehr- zahl von Pfahlbauten durch Feuersbrünste zerstört wurden, so braucht man nicht immer an feindliche Ueberfälle zu denken, denn wir werden später Menschenstämme kennen lernen, die aus einem schamanistischen Aberglauben ihre eignen Behausungen anzünden, wenn sie zur Wanderung sich anschicken. Nichts hindert uns bis jetzt die schweizerischen Pfahlbauern für einen arischen Volksstamm zu halten. So gehört der Schädel, welcher bei Meilen gefunden wurde einem etwa 13jährigen Kinde und wie der Schädel bei Au- vernier aus der Bronzezeit dem sogenannten Siontypus an, welcher die keltischen Helvetier vertreten soll 1). Die schweizerischen See- bewohner trieben Ackerbau und assen Brod, pflanzten Obstbäume und dörrten Aepfel. Rinder, Schafe und Ziegen bewohnten gemein- schaftlich mit ihnen die Pfahlbauten und für ihre Fütterung zur Winterszeit musste also gesorgt werden, ja auch Katzen und Hunde waren bereits zu Gesellschaftern herangezogen worden. Nur das Schwein befand sich wenigstens zur Zeit der ältesten Ansiedelungen noch im wilden Zustande und der Ur, der Bison und das Elen- thier gehörten noch immer, wenn auch selten, zur Jagdbeute. Ab- gesehen von diesen in den historischen Zeiten vertilgten Geschöpfen erlitt die Thierwelt keine Verluste und innerhalb des Pflanzen- reiches beschränkt sich alles auf das Verschwinden einer Nadel- holzart und zweier Wasserpflanzen, die sich aus den Ebnen hin- weggezogen haben 2). Solche Pfahlbauten sind theils unter Torf- schichten begraben, theils durch Verschüttungen der Seen vom Ufer landeinwärts gerückt worden oder es lagen die Steingeräthe unter den Schuttkegeln von Wildwassern wie im Delta der Ti- nière bei Villeneuve am Genfer See. Aus der Mächtigkeit oder der Ausdehnung solcher Neubildungen wurde versucht das Alter der Hinterlassenschaften um 5—7000 Jahre zurückzuverlegen. 1) His u. Rütimeyer, Crania helvetica. p. 36—37. 2) Rütimeyer, Die Fauna der Pfahlbauten in der Schweiz. Basel 1861. S. 8. S. 228—29.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/63>, abgerufen am 16.04.2024.