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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die mittelländische Race.
frachtung zu Lande dem Seewege vorgezogen werden. Mit jenem
nautischen Fortschritt wurden die Schiffer hinausgeführt in den
atlantischen Ocean. Fast unmittelbar erfolgte darauf die Wieder-
entdeckung der Canarien und das Auffinden der Azoren, letztere
auf zwei Fünfteln des Weges nach Amerika gelegen. Nicht unbe-
merkt zogen Mittelmeer-Seefahrer an Portugal vorüber, welches
für oceanische Verbindungen unvergleichlich günstig gelegen war.
Lissabon erhob sich zu einem Seeplatz ersten Ranges; die anfangs
verzagten Portugiesen und Spanier übten sich an den afrikanischen
Küsten für Fahrten auf der hohen See; eine neue Welt im Westen,
ein oceanischer Weg nach Indien wurden gefunden und während
das Mittelmeer erst langsam, dann immer rascher hinabsank zum
Charakter eines Binnensee's, genossen die höchsten geographischen
Vergünstigungen fortan diejenigen Völker, welche an den Welt-
meerufern Europa's sassen und deren nautische Anlagen nur eines
Weckers bedurft hatten. Je wichtiger seitdem mit jedem Jahr-
hundert die überseeischen Gebiete, als ein verjüngtes und ver-
doppeltes Europa, wurden, desto höher stieg der Rang der oceani-
schen Küsten.

So oft wir diese Lehren der Geschichte fest in's Auge fassen,
vermögen sie uns immer auf's neue in Staunen zu versetzen. Wir
erkannten zuvor, dass zur Renthierzeit die Umrisse unseres Welt-
theils noch todte Vergünstigungen für seine Bewohner waren, wir
überzeugten uns später, dass der älteste Aufschwung zu höherer
Gesittung sich dort zutrug, wo unweit der Berührung von Afrika
und Asien der Nil strömte, dass ferner zur Aufnahme morgen-
ländischer Cultur der Südrand Europa's durch seine geographischen
Gliedmaassen und Gefässe gleichsam vorsorglich ausgestattet wor-
den war, dass aber diese Verrichtungen aufhörten, als durch eine
Steigerung menschlicher Leistungen der Werth der gegebenen
Naturverhältnisse sich änderte. Höher demnach als alle Umrisse
von Land und Meer, als das höchste sogar, müssen wir die That
verehren.

Diese geschichtlichen Erkenntnisse predigen uns den Satz
von der Vergänglichkeit aller geographischen Vergünstigungen.
In der Kette der Gesittungsgeschichte war das Mittelmeer bloss
ein Glied, welches der stärkste Glanz nur eine begrenzte Zeit um-
floss. So wird auch Europa selbst nur vorübergehend der Schau-
platz der höchsten Leistungen des Menschengeschlechts bleiben

Die mittelländische Race.
frachtung zu Lande dem Seewege vorgezogen werden. Mit jenem
nautischen Fortschritt wurden die Schiffer hinausgeführt in den
atlantischen Ocean. Fast unmittelbar erfolgte darauf die Wieder-
entdeckung der Canarien und das Auffinden der Azoren, letztere
auf zwei Fünfteln des Weges nach Amerika gelegen. Nicht unbe-
merkt zogen Mittelmeer-Seefahrer an Portugal vorüber, welches
für oceanische Verbindungen unvergleichlich günstig gelegen war.
Lissabon erhob sich zu einem Seeplatz ersten Ranges; die anfangs
verzagten Portugiesen und Spanier übten sich an den afrikanischen
Küsten für Fahrten auf der hohen See; eine neue Welt im Westen,
ein oceanischer Weg nach Indien wurden gefunden und während
das Mittelmeer erst langsam, dann immer rascher hinabsank zum
Charakter eines Binnensee’s, genossen die höchsten geographischen
Vergünstigungen fortan diejenigen Völker, welche an den Welt-
meerufern Europa’s sassen und deren nautische Anlagen nur eines
Weckers bedurft hatten. Je wichtiger seitdem mit jedem Jahr-
hundert die überseeischen Gebiete, als ein verjüngtes und ver-
doppeltes Europa, wurden, desto höher stieg der Rang der oceani-
schen Küsten.

So oft wir diese Lehren der Geschichte fest in’s Auge fassen,
vermögen sie uns immer auf’s neue in Staunen zu versetzen. Wir
erkannten zuvor, dass zur Renthierzeit die Umrisse unseres Welt-
theils noch todte Vergünstigungen für seine Bewohner waren, wir
überzeugten uns später, dass der älteste Aufschwung zu höherer
Gesittung sich dort zutrug, wo unweit der Berührung von Afrika
und Asien der Nil strömte, dass ferner zur Aufnahme morgen-
ländischer Cultur der Südrand Europa’s durch seine geographischen
Gliedmaassen und Gefässe gleichsam vorsorglich ausgestattet wor-
den war, dass aber diese Verrichtungen aufhörten, als durch eine
Steigerung menschlicher Leistungen der Werth der gegebenen
Naturverhältnisse sich änderte. Höher demnach als alle Umrisse
von Land und Meer, als das höchste sogar, müssen wir die That
verehren.

Diese geschichtlichen Erkenntnisse predigen uns den Satz
von der Vergänglichkeit aller geographischen Vergünstigungen.
In der Kette der Gesittungsgeschichte war das Mittelmeer bloss
ein Glied, welches der stärkste Glanz nur eine begrenzte Zeit um-
floss. So wird auch Europa selbst nur vorübergehend der Schau-
platz der höchsten Leistungen des Menschengeschlechts bleiben

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[556/0574] Die mittelländische Race. frachtung zu Lande dem Seewege vorgezogen werden. Mit jenem nautischen Fortschritt wurden die Schiffer hinausgeführt in den atlantischen Ocean. Fast unmittelbar erfolgte darauf die Wieder- entdeckung der Canarien und das Auffinden der Azoren, letztere auf zwei Fünfteln des Weges nach Amerika gelegen. Nicht unbe- merkt zogen Mittelmeer-Seefahrer an Portugal vorüber, welches für oceanische Verbindungen unvergleichlich günstig gelegen war. Lissabon erhob sich zu einem Seeplatz ersten Ranges; die anfangs verzagten Portugiesen und Spanier übten sich an den afrikanischen Küsten für Fahrten auf der hohen See; eine neue Welt im Westen, ein oceanischer Weg nach Indien wurden gefunden und während das Mittelmeer erst langsam, dann immer rascher hinabsank zum Charakter eines Binnensee’s, genossen die höchsten geographischen Vergünstigungen fortan diejenigen Völker, welche an den Welt- meerufern Europa’s sassen und deren nautische Anlagen nur eines Weckers bedurft hatten. Je wichtiger seitdem mit jedem Jahr- hundert die überseeischen Gebiete, als ein verjüngtes und ver- doppeltes Europa, wurden, desto höher stieg der Rang der oceani- schen Küsten. So oft wir diese Lehren der Geschichte fest in’s Auge fassen, vermögen sie uns immer auf’s neue in Staunen zu versetzen. Wir erkannten zuvor, dass zur Renthierzeit die Umrisse unseres Welt- theils noch todte Vergünstigungen für seine Bewohner waren, wir überzeugten uns später, dass der älteste Aufschwung zu höherer Gesittung sich dort zutrug, wo unweit der Berührung von Afrika und Asien der Nil strömte, dass ferner zur Aufnahme morgen- ländischer Cultur der Südrand Europa’s durch seine geographischen Gliedmaassen und Gefässe gleichsam vorsorglich ausgestattet wor- den war, dass aber diese Verrichtungen aufhörten, als durch eine Steigerung menschlicher Leistungen der Werth der gegebenen Naturverhältnisse sich änderte. Höher demnach als alle Umrisse von Land und Meer, als das höchste sogar, müssen wir die That verehren. Diese geschichtlichen Erkenntnisse predigen uns den Satz von der Vergänglichkeit aller geographischen Vergünstigungen. In der Kette der Gesittungsgeschichte war das Mittelmeer bloss ein Glied, welches der stärkste Glanz nur eine begrenzte Zeit um- floss. So wird auch Europa selbst nur vorübergehend der Schau- platz der höchsten Leistungen des Menschengeschlechts bleiben

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/574>, abgerufen am 19.04.2024.