Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Die mittelländische Race.
in Wales, in Schottland und in Irland das Keltische längere Zeit
behaupten konnte. Dass die germanischen Stämme ihre Sprache
retteten, verdankten sie der grösseren Rauheit ihres Klima's, der
Unwegsamkeit des Flachlandes, der kürzern Dauer der Römerherr-
schaft, ihrer mannhaften Gegenwehr, aber auch dem Schutze ihrer
mächtigen Gebirge, denn während in das offene und heitere, darum
auch einer zeitigeren Gesittung erschlossene Gallien das Lateinische
bequem einzog und sich ausbreitete, konnte es nicht auf dem
nächsten Wege, nämlich von Süden herauf, sondern es musste aus
dem Südwesten und aus dem Westen, also auf Umwegen, nach
Deutschland eindringen, so dass wir der Unzugänglichkeit der
deutschen Alpen es zu danken haben, wenn unsere Sprache sich
siegreich behaupten durfte.

Mit dem Wachsthum bürgerlicher Gesittung in Nordeuropa
veränderten sich allmählich Werth und Würde der geographischen
Gliederungen. Die Ströme wirkten städtebildend, Gewerbe und
Handel blühten und die nördlichen Mittelmeergestade erhielten jetzt,
was sie vorher nur schwach besassen, ein staatswirthschaftliches
Hinterland. In dieser Zeit erneuert sich die Blüthe von Marseille,
wird Barcelona ein Platz ersten Ranges, erhebt sich etwas später
Sevilla und entsteht die Seemacht von Genua, welche nach Ueber-
wältigung Pisa's die Herrschaft auf dem Mittelmeer anstrebt. Um
aber alle diese Schöpfungen zu verdunkeln und alle Nebenbuhler
zu überleben, war in unvergleichlicher Lage, nämlich in der Ver-
tiefung des adriatischen Golfes, als dessen verlängerte Axe wir das
Rothe Meer, den ältesten Seeweg nach Indien, betrachten dürfen,
Venedig gegründet worden, dem zuletzt das Uebergewicht zur See
verblieb.

Wenn damals der Südrand Europa's als die am meisten be-
vorzugte Gliederung des Erdkreises erschien, so sollten die italieni-
schen Seemächte selbst eine Wendung herbeiführen, welche die
culturgeschichtliche Bedeutung der Umrisse Europh's gänzlich ver-
ändern musste, ja wir können sogar die Zeit streng bezeichnen, in
welcher der Glanz der Mittelmeerufer zu erbleichen begann. Im
Jahre 1318 brachten zuerst venetianische Galeeren indische, das
heisst morgenländische Waaren auf dem Seeweg durch die Meer-
enge von Gibraltar nach dem Markte von Antwerpen. Wohl waren
einzelne Fahrzeuge früher diesen Weg gezogen, allein wegen der
See- und Piratengefahr musste bis dahin kaufmännisch die Ver-

Die mittelländische Race.
in Wales, in Schottland und in Irland das Keltische längere Zeit
behaupten konnte. Dass die germanischen Stämme ihre Sprache
retteten, verdankten sie der grösseren Rauheit ihres Klima’s, der
Unwegsamkeit des Flachlandes, der kürzern Dauer der Römerherr-
schaft, ihrer mannhaften Gegenwehr, aber auch dem Schutze ihrer
mächtigen Gebirge, denn während in das offene und heitere, darum
auch einer zeitigeren Gesittung erschlossene Gallien das Lateinische
bequem einzog und sich ausbreitete, konnte es nicht auf dem
nächsten Wege, nämlich von Süden herauf, sondern es musste aus
dem Südwesten und aus dem Westen, also auf Umwegen, nach
Deutschland eindringen, so dass wir der Unzugänglichkeit der
deutschen Alpen es zu danken haben, wenn unsere Sprache sich
siegreich behaupten durfte.

Mit dem Wachsthum bürgerlicher Gesittung in Nordeuropa
veränderten sich allmählich Werth und Würde der geographischen
Gliederungen. Die Ströme wirkten städtebildend, Gewerbe und
Handel blühten und die nördlichen Mittelmeergestade erhielten jetzt,
was sie vorher nur schwach besassen, ein staatswirthschaftliches
Hinterland. In dieser Zeit erneuert sich die Blüthe von Marseille,
wird Barcelona ein Platz ersten Ranges, erhebt sich etwas später
Sevilla und entsteht die Seemacht von Genua, welche nach Ueber-
wältigung Pisa’s die Herrschaft auf dem Mittelmeer anstrebt. Um
aber alle diese Schöpfungen zu verdunkeln und alle Nebenbuhler
zu überleben, war in unvergleichlicher Lage, nämlich in der Ver-
tiefung des adriatischen Golfes, als dessen verlängerte Axe wir das
Rothe Meer, den ältesten Seeweg nach Indien, betrachten dürfen,
Venedig gegründet worden, dem zuletzt das Uebergewicht zur See
verblieb.

Wenn damals der Südrand Europa’s als die am meisten be-
vorzugte Gliederung des Erdkreises erschien, so sollten die italieni-
schen Seemächte selbst eine Wendung herbeiführen, welche die
culturgeschichtliche Bedeutung der Umrisse Europh’s gänzlich ver-
ändern musste, ja wir können sogar die Zeit streng bezeichnen, in
welcher der Glanz der Mittelmeerufer zu erbleichen begann. Im
Jahre 1318 brachten zuerst venetianische Galeeren indische, das
heisst morgenländische Waaren auf dem Seeweg durch die Meer-
enge von Gibraltar nach dem Markte von Antwerpen. Wohl waren
einzelne Fahrzeuge früher diesen Weg gezogen, allein wegen der
See- und Piratengefahr musste bis dahin kaufmännisch die Ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0573" n="555"/><fw place="top" type="header">Die mittelländische Race.</fw><lb/>
in Wales, in Schottland und in Irland das Keltische längere Zeit<lb/>
behaupten konnte. Dass die germanischen Stämme ihre Sprache<lb/>
retteten, verdankten sie der grösseren Rauheit ihres Klima&#x2019;s, der<lb/>
Unwegsamkeit des Flachlandes, der kürzern Dauer der Römerherr-<lb/>
schaft, ihrer mannhaften Gegenwehr, aber auch dem Schutze ihrer<lb/>
mächtigen Gebirge, denn während in das offene und heitere, darum<lb/>
auch einer zeitigeren Gesittung erschlossene Gallien das Lateinische<lb/>
bequem einzog und sich ausbreitete, konnte es nicht auf dem<lb/>
nächsten Wege, nämlich von Süden herauf, sondern es musste aus<lb/>
dem Südwesten und aus dem Westen, also auf Umwegen, nach<lb/>
Deutschland eindringen, so dass wir der Unzugänglichkeit der<lb/>
deutschen Alpen es zu danken haben, wenn unsere Sprache sich<lb/>
siegreich behaupten durfte.</p><lb/>
            <p>Mit dem Wachsthum bürgerlicher Gesittung in Nordeuropa<lb/>
veränderten sich allmählich Werth und Würde der geographischen<lb/>
Gliederungen. Die Ströme wirkten städtebildend, Gewerbe und<lb/>
Handel blühten und die nördlichen Mittelmeergestade erhielten jetzt,<lb/>
was sie vorher nur schwach besassen, ein staatswirthschaftliches<lb/>
Hinterland. In dieser Zeit erneuert sich die Blüthe von Marseille,<lb/>
wird Barcelona ein Platz ersten Ranges, erhebt sich etwas später<lb/>
Sevilla und entsteht die Seemacht von Genua, welche nach Ueber-<lb/>
wältigung Pisa&#x2019;s die Herrschaft auf dem Mittelmeer anstrebt. Um<lb/>
aber alle diese Schöpfungen zu verdunkeln und alle Nebenbuhler<lb/>
zu überleben, war in unvergleichlicher Lage, nämlich in der Ver-<lb/>
tiefung des adriatischen Golfes, als dessen verlängerte Axe wir das<lb/>
Rothe Meer, den ältesten Seeweg nach Indien, betrachten dürfen,<lb/>
Venedig gegründet worden, dem zuletzt das Uebergewicht zur See<lb/>
verblieb.</p><lb/>
            <p>Wenn damals der Südrand Europa&#x2019;s als die am meisten be-<lb/>
vorzugte Gliederung des Erdkreises erschien, so sollten die italieni-<lb/>
schen Seemächte selbst eine Wendung herbeiführen, welche die<lb/>
culturgeschichtliche Bedeutung der Umrisse Europh&#x2019;s gänzlich ver-<lb/>
ändern musste, ja wir können sogar die Zeit streng bezeichnen, in<lb/>
welcher der Glanz der Mittelmeerufer zu erbleichen begann. Im<lb/>
Jahre 1318 brachten zuerst venetianische Galeeren indische, das<lb/>
heisst morgenländische Waaren auf dem Seeweg durch die Meer-<lb/>
enge von Gibraltar nach dem Markte von Antwerpen. Wohl waren<lb/>
einzelne Fahrzeuge früher diesen Weg gezogen, allein wegen der<lb/>
See- und Piratengefahr musste bis dahin kaufmännisch die Ver-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[555/0573] Die mittelländische Race. in Wales, in Schottland und in Irland das Keltische längere Zeit behaupten konnte. Dass die germanischen Stämme ihre Sprache retteten, verdankten sie der grösseren Rauheit ihres Klima’s, der Unwegsamkeit des Flachlandes, der kürzern Dauer der Römerherr- schaft, ihrer mannhaften Gegenwehr, aber auch dem Schutze ihrer mächtigen Gebirge, denn während in das offene und heitere, darum auch einer zeitigeren Gesittung erschlossene Gallien das Lateinische bequem einzog und sich ausbreitete, konnte es nicht auf dem nächsten Wege, nämlich von Süden herauf, sondern es musste aus dem Südwesten und aus dem Westen, also auf Umwegen, nach Deutschland eindringen, so dass wir der Unzugänglichkeit der deutschen Alpen es zu danken haben, wenn unsere Sprache sich siegreich behaupten durfte. Mit dem Wachsthum bürgerlicher Gesittung in Nordeuropa veränderten sich allmählich Werth und Würde der geographischen Gliederungen. Die Ströme wirkten städtebildend, Gewerbe und Handel blühten und die nördlichen Mittelmeergestade erhielten jetzt, was sie vorher nur schwach besassen, ein staatswirthschaftliches Hinterland. In dieser Zeit erneuert sich die Blüthe von Marseille, wird Barcelona ein Platz ersten Ranges, erhebt sich etwas später Sevilla und entsteht die Seemacht von Genua, welche nach Ueber- wältigung Pisa’s die Herrschaft auf dem Mittelmeer anstrebt. Um aber alle diese Schöpfungen zu verdunkeln und alle Nebenbuhler zu überleben, war in unvergleichlicher Lage, nämlich in der Ver- tiefung des adriatischen Golfes, als dessen verlängerte Axe wir das Rothe Meer, den ältesten Seeweg nach Indien, betrachten dürfen, Venedig gegründet worden, dem zuletzt das Uebergewicht zur See verblieb. Wenn damals der Südrand Europa’s als die am meisten be- vorzugte Gliederung des Erdkreises erschien, so sollten die italieni- schen Seemächte selbst eine Wendung herbeiführen, welche die culturgeschichtliche Bedeutung der Umrisse Europh’s gänzlich ver- ändern musste, ja wir können sogar die Zeit streng bezeichnen, in welcher der Glanz der Mittelmeerufer zu erbleichen begann. Im Jahre 1318 brachten zuerst venetianische Galeeren indische, das heisst morgenländische Waaren auf dem Seeweg durch die Meer- enge von Gibraltar nach dem Markte von Antwerpen. Wohl waren einzelne Fahrzeuge früher diesen Weg gezogen, allein wegen der See- und Piratengefahr musste bis dahin kaufmännisch die Ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/573
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/573>, abgerufen am 25.04.2024.