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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die mittelländische Race.
bei den Ariern die Fähigkeit schlummerte, der menschlichen Ge-
sellschaft eine bessere und würdigere Gliederung zu verleihen, früher
oder später nothwendig die höchsten Entwicklungen ihren Sitz ver-
legen mussten.

Unter allen arischen Völkern leuchteten unbedingt die Römer
durch staatsmännische Begabung am hellsten. Wie ein Gemein-
wesen durch Gesetze zu ordnen, wie ein Heer zu schulen, wie
im friedlichen Verkehr die Zweifel über Eigenthum und Leistungen
nach gesunder Auffassung des Rechten und Billigen zu schlichten
seien, verstand niemand besser wie sie. Im Orient entstanden
nur Despotien auf den Trümmern von Despotien, bei den Ariern
des Abendlandes entwickelten sich die ersten Keime einer bürger-
lichen Gesellschaft. Zum Heil für die Menschheit hatten aber
gerade die Römer auf einer mittleren Halbinsel ihre Heimath ge-
funden, denn wie schon Strabo einsah, beruhte auf der centralen
Lage Italiens die lateinische Weltherrschaft. So kam es, dass
kurz vor dem Beginn unserer Zeitrechnung zum erstenmale der
Schwerpunkt der Gesittung von den Südufern des Mittelmeeres
nach dem nördlichen Rande, von seinem äussersten Osten nach
der Mitte und obendrein vom levantischen Becken in das abend-
ländische verlegt wurde.

Würdigen wir den Gang der Geschichte von dem entlegenen
Abstande der Erd- und Völkerkunde, so gilt uns als die höchste
Verrichtung des Römerreichs die langsame Bekämpfung Spaniens,
die rasche Eroberung Galliens sowie der britischen Inseln und das
theilweise Vordringen nach Deutschland. Unscheinbare und all-
tägliche Leistungen der Römer sind es, die wir in diesem Sinne
am höchsten stellen müssen: sie errichteten Strassen, Meilensteine
und Posten, sie lehrten, wie unsere Sprache es bezeugt, die ersten
steinernen Häuser erbauen und vereinigten sie durch Gräben und
Brustwehr zu einem Ring. Durch ihre Städtegründungen wurden
zum erstenmal die Bewohner in eine bürgerliche und eine länd-
liche Bevölkerung geschieden und gleichzeitig die erste Anleitung
ertheilt, wie solche Gemeinden sich verwalten lassen. Bei den
gallischen und britischen Kelten war dieser Umschwung schon
vorbereitet, aber der längere Genuss der Römerherrschaft musste
dort mit dem Verluste der einheimischen Sprache gebüsst werden,
so dass sich nur in den unzugänglichen Gebirgen, in den abge-
legenen Landschaften Aquitaniens das Baskische, in der Bretagne,

Die mittelländische Race.
bei den Ariern die Fähigkeit schlummerte, der menschlichen Ge-
sellschaft eine bessere und würdigere Gliederung zu verleihen, früher
oder später nothwendig die höchsten Entwicklungen ihren Sitz ver-
legen mussten.

Unter allen arischen Völkern leuchteten unbedingt die Römer
durch staatsmännische Begabung am hellsten. Wie ein Gemein-
wesen durch Gesetze zu ordnen, wie ein Heer zu schulen, wie
im friedlichen Verkehr die Zweifel über Eigenthum und Leistungen
nach gesunder Auffassung des Rechten und Billigen zu schlichten
seien, verstand niemand besser wie sie. Im Orient entstanden
nur Despotien auf den Trümmern von Despotien, bei den Ariern
des Abendlandes entwickelten sich die ersten Keime einer bürger-
lichen Gesellschaft. Zum Heil für die Menschheit hatten aber
gerade die Römer auf einer mittleren Halbinsel ihre Heimath ge-
funden, denn wie schon Strabo einsah, beruhte auf der centralen
Lage Italiens die lateinische Weltherrschaft. So kam es, dass
kurz vor dem Beginn unserer Zeitrechnung zum erstenmale der
Schwerpunkt der Gesittung von den Südufern des Mittelmeeres
nach dem nördlichen Rande, von seinem äussersten Osten nach
der Mitte und obendrein vom levantischen Becken in das abend-
ländische verlegt wurde.

Würdigen wir den Gang der Geschichte von dem entlegenen
Abstande der Erd- und Völkerkunde, so gilt uns als die höchste
Verrichtung des Römerreichs die langsame Bekämpfung Spaniens,
die rasche Eroberung Galliens sowie der britischen Inseln und das
theilweise Vordringen nach Deutschland. Unscheinbare und all-
tägliche Leistungen der Römer sind es, die wir in diesem Sinne
am höchsten stellen müssen: sie errichteten Strassen, Meilensteine
und Posten, sie lehrten, wie unsere Sprache es bezeugt, die ersten
steinernen Häuser erbauen und vereinigten sie durch Gräben und
Brustwehr zu einem Ring. Durch ihre Städtegründungen wurden
zum erstenmal die Bewohner in eine bürgerliche und eine länd-
liche Bevölkerung geschieden und gleichzeitig die erste Anleitung
ertheilt, wie solche Gemeinden sich verwalten lassen. Bei den
gallischen und britischen Kelten war dieser Umschwung schon
vorbereitet, aber der längere Genuss der Römerherrschaft musste
dort mit dem Verluste der einheimischen Sprache gebüsst werden,
so dass sich nur in den unzugänglichen Gebirgen, in den abge-
legenen Landschaften Aquitaniens das Baskische, in der Bretagne,

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[554/0572] Die mittelländische Race. bei den Ariern die Fähigkeit schlummerte, der menschlichen Ge- sellschaft eine bessere und würdigere Gliederung zu verleihen, früher oder später nothwendig die höchsten Entwicklungen ihren Sitz ver- legen mussten. Unter allen arischen Völkern leuchteten unbedingt die Römer durch staatsmännische Begabung am hellsten. Wie ein Gemein- wesen durch Gesetze zu ordnen, wie ein Heer zu schulen, wie im friedlichen Verkehr die Zweifel über Eigenthum und Leistungen nach gesunder Auffassung des Rechten und Billigen zu schlichten seien, verstand niemand besser wie sie. Im Orient entstanden nur Despotien auf den Trümmern von Despotien, bei den Ariern des Abendlandes entwickelten sich die ersten Keime einer bürger- lichen Gesellschaft. Zum Heil für die Menschheit hatten aber gerade die Römer auf einer mittleren Halbinsel ihre Heimath ge- funden, denn wie schon Strabo einsah, beruhte auf der centralen Lage Italiens die lateinische Weltherrschaft. So kam es, dass kurz vor dem Beginn unserer Zeitrechnung zum erstenmale der Schwerpunkt der Gesittung von den Südufern des Mittelmeeres nach dem nördlichen Rande, von seinem äussersten Osten nach der Mitte und obendrein vom levantischen Becken in das abend- ländische verlegt wurde. Würdigen wir den Gang der Geschichte von dem entlegenen Abstande der Erd- und Völkerkunde, so gilt uns als die höchste Verrichtung des Römerreichs die langsame Bekämpfung Spaniens, die rasche Eroberung Galliens sowie der britischen Inseln und das theilweise Vordringen nach Deutschland. Unscheinbare und all- tägliche Leistungen der Römer sind es, die wir in diesem Sinne am höchsten stellen müssen: sie errichteten Strassen, Meilensteine und Posten, sie lehrten, wie unsere Sprache es bezeugt, die ersten steinernen Häuser erbauen und vereinigten sie durch Gräben und Brustwehr zu einem Ring. Durch ihre Städtegründungen wurden zum erstenmal die Bewohner in eine bürgerliche und eine länd- liche Bevölkerung geschieden und gleichzeitig die erste Anleitung ertheilt, wie solche Gemeinden sich verwalten lassen. Bei den gallischen und britischen Kelten war dieser Umschwung schon vorbereitet, aber der längere Genuss der Römerherrschaft musste dort mit dem Verluste der einheimischen Sprache gebüsst werden, so dass sich nur in den unzugänglichen Gebirgen, in den abge- legenen Landschaften Aquitaniens das Baskische, in der Bretagne,

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/572>, abgerufen am 25.04.2024.