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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die mittelländische Race.
theilung der Bevölkerung Europa's es offenbart hat, in unserem Fest-
lande mit Ausnahme der Landes, der Maremmen und der "eisernen
Küste" Jütlands stets die Bewohnerzahl am Meeresgestade im Ver-
gleich zu den rückwärts liegenden Binnenstrichen. Jene Karte lehrt
uns weiter, dass jede Bodenerhebung der Bevölkerungsdichtigkeit
entgegenwirkt oder sie gleichsam auflockert. Es ist demnach von
tiefer Bedeutung, dass von allen Welttheilen Europa wiederum die
geringste mittlere Höhe besitzt1). Eine räumliche Annäherung der
Menschen an die Menschen ist aber die unerlässliche Vorbedingung
zur Erhöhung der Culturstufen.

Zu unsern glücklichen Uferumrissen gesellen sich meteoro-
logische Begünstigungen, wie sie von Sachverständigen kaum besser
hätten ausbedungen werden können. Durch das tiefe Eindringen
des Meeres werden alle schroffen Gegensätze abgestumpft und die
Wärme über die Jahreszeiten so gleichmässig vertheilt, dass er-
trägliche Sommer auf milde Winter folgen, und noch im Süden
Irlands Myrten, Lorbeeren, Camellien und Orangen das ganze Jahr
im Freien ausharren. Die rasche Musterung von Weltkarten mit
Dove'schen Isanomalen genügt auch vollständig, um uns zu über-
zeugen, dass von allen Welttheilen Europa allein wärmere Sommer
und mildere Winter geniesst, als den jeweilig entsprechenden
Erdräumen unter gleicher Polhöhe zukommen. Auch einer gleich-
mässigen Vertheilung der Niederschläge ist die peninsulare Schlank-
heit und die Richtung der grossen Axe unsres Welttheils auf's
höchste förderlich. Wo sich Küsten von Süden nach Norden er-
strecken und die regenbringenden Seewinde unmittelbar an den
Abhängen hoher Gebirge wie an der Ostküste Australiens oder
an der Westküste Nordamerika's ihre Feuchtigkeit absetzen, da
folgt hinter ihren Kämmen ein regenarmer Gürtel wie in den an-
gegebenen Fällen. Nichts derartiges kann sich in Europa zu-
tragen, wo die atlantischen Regenwolken oft zu unserm Verdruss
ganz Nordeuropa bis nach Russland einhüllen, ohne dass quer
vorliegende Bodenerhebungen die gleichmässige Vertheilung zum
Schaden der Binnenräume störten. Unsere Hauptgebirgszüge, die
Alpen mit ihren östlichen Verlängerungen, verschärfen vielmehr
die Absonderung unsres Welttheiles in zwei klimatische Hälften:
in Nordeuropa und in Südeuropa, in einen Gürtel, wo im Herbste

1) A. v. Humboldt, Kleine Schriften. Bd. 1. S. 438.

Die mittelländische Race.
theilung der Bevölkerung Europa’s es offenbart hat, in unserem Fest-
lande mit Ausnahme der Landes, der Maremmen und der „eisernen
Küste“ Jütlands stets die Bewohnerzahl am Meeresgestade im Ver-
gleich zu den rückwärts liegenden Binnenstrichen. Jene Karte lehrt
uns weiter, dass jede Bodenerhebung der Bevölkerungsdichtigkeit
entgegenwirkt oder sie gleichsam auflockert. Es ist demnach von
tiefer Bedeutung, dass von allen Welttheilen Europa wiederum die
geringste mittlere Höhe besitzt1). Eine räumliche Annäherung der
Menschen an die Menschen ist aber die unerlässliche Vorbedingung
zur Erhöhung der Culturstufen.

Zu unsern glücklichen Uferumrissen gesellen sich meteoro-
logische Begünstigungen, wie sie von Sachverständigen kaum besser
hätten ausbedungen werden können. Durch das tiefe Eindringen
des Meeres werden alle schroffen Gegensätze abgestumpft und die
Wärme über die Jahreszeiten so gleichmässig vertheilt, dass er-
trägliche Sommer auf milde Winter folgen, und noch im Süden
Irlands Myrten, Lorbeeren, Camellien und Orangen das ganze Jahr
im Freien ausharren. Die rasche Musterung von Weltkarten mit
Dove’schen Isanomalen genügt auch vollständig, um uns zu über-
zeugen, dass von allen Welttheilen Europa allein wärmere Sommer
und mildere Winter geniesst, als den jeweilig entsprechenden
Erdräumen unter gleicher Polhöhe zukommen. Auch einer gleich-
mässigen Vertheilung der Niederschläge ist die peninsulare Schlank-
heit und die Richtung der grossen Axe unsres Welttheils auf’s
höchste förderlich. Wo sich Küsten von Süden nach Norden er-
strecken und die regenbringenden Seewinde unmittelbar an den
Abhängen hoher Gebirge wie an der Ostküste Australiens oder
an der Westküste Nordamerika’s ihre Feuchtigkeit absetzen, da
folgt hinter ihren Kämmen ein regenarmer Gürtel wie in den an-
gegebenen Fällen. Nichts derartiges kann sich in Europa zu-
tragen, wo die atlantischen Regenwolken oft zu unserm Verdruss
ganz Nordeuropa bis nach Russland einhüllen, ohne dass quer
vorliegende Bodenerhebungen die gleichmässige Vertheilung zum
Schaden der Binnenräume störten. Unsere Hauptgebirgszüge, die
Alpen mit ihren östlichen Verlängerungen, verschärfen vielmehr
die Absonderung unsres Welttheiles in zwei klimatische Hälften:
in Nordeuropa und in Südeuropa, in einen Gürtel, wo im Herbste

1) A. v. Humboldt, Kleine Schriften. Bd. 1. S. 438.
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[548/0566] Die mittelländische Race. theilung der Bevölkerung Europa’s es offenbart hat, in unserem Fest- lande mit Ausnahme der Landes, der Maremmen und der „eisernen Küste“ Jütlands stets die Bewohnerzahl am Meeresgestade im Ver- gleich zu den rückwärts liegenden Binnenstrichen. Jene Karte lehrt uns weiter, dass jede Bodenerhebung der Bevölkerungsdichtigkeit entgegenwirkt oder sie gleichsam auflockert. Es ist demnach von tiefer Bedeutung, dass von allen Welttheilen Europa wiederum die geringste mittlere Höhe besitzt 1). Eine räumliche Annäherung der Menschen an die Menschen ist aber die unerlässliche Vorbedingung zur Erhöhung der Culturstufen. Zu unsern glücklichen Uferumrissen gesellen sich meteoro- logische Begünstigungen, wie sie von Sachverständigen kaum besser hätten ausbedungen werden können. Durch das tiefe Eindringen des Meeres werden alle schroffen Gegensätze abgestumpft und die Wärme über die Jahreszeiten so gleichmässig vertheilt, dass er- trägliche Sommer auf milde Winter folgen, und noch im Süden Irlands Myrten, Lorbeeren, Camellien und Orangen das ganze Jahr im Freien ausharren. Die rasche Musterung von Weltkarten mit Dove’schen Isanomalen genügt auch vollständig, um uns zu über- zeugen, dass von allen Welttheilen Europa allein wärmere Sommer und mildere Winter geniesst, als den jeweilig entsprechenden Erdräumen unter gleicher Polhöhe zukommen. Auch einer gleich- mässigen Vertheilung der Niederschläge ist die peninsulare Schlank- heit und die Richtung der grossen Axe unsres Welttheils auf’s höchste förderlich. Wo sich Küsten von Süden nach Norden er- strecken und die regenbringenden Seewinde unmittelbar an den Abhängen hoher Gebirge wie an der Ostküste Australiens oder an der Westküste Nordamerika’s ihre Feuchtigkeit absetzen, da folgt hinter ihren Kämmen ein regenarmer Gürtel wie in den an- gegebenen Fällen. Nichts derartiges kann sich in Europa zu- tragen, wo die atlantischen Regenwolken oft zu unserm Verdruss ganz Nordeuropa bis nach Russland einhüllen, ohne dass quer vorliegende Bodenerhebungen die gleichmässige Vertheilung zum Schaden der Binnenräume störten. Unsere Hauptgebirgszüge, die Alpen mit ihren östlichen Verlängerungen, verschärfen vielmehr die Absonderung unsres Welttheiles in zwei klimatische Hälften: in Nordeuropa und in Südeuropa, in einen Gürtel, wo im Herbste 1) A. v. Humboldt, Kleine Schriften. Bd. 1. S. 438.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 548. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/566>, abgerufen am 19.04.2024.