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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die mittelländische Race.
fuhren1). Ob sie Metalle schon ausgeschmolzen haben, ist mehr
als zweifelhaft, zumal der Name für Blasebalg2) nicht aus der Ur-
heimat stammt. Da sie dort altafrikanische Hausthiere, den Esel
und die Katze3) nicht kannten, so hatten sie mit Aegyptern noch
keine Culturschätze ausgetauscht. Dass sie ferner den Namen für
das Kamel später aus semitischen Sprachen entlehnten, spricht
entschieden gegen Ursitze in Bactrien. Da gemeinsame Worte für
Schnee und Winter vorhanden waren, die anderen Jahreszeiten
aber später verschiedene Namen empfingen, so wechselten in Alt-
arien sicherlich heisse mit rauhen Monaten. In jenen Ursitzen
hausten Bären, Wölfe und Ottern4), dagegen fehlten Löwen und
Tiger5). Nach diesen Andeutungen können wir sehr genau die
Heimat der Indoeuropäer begrenzen. Sie lag östlich vom Nestus,
jetzt Karasu in Macedonien, wo zu Xerxes' Zeiten das Verbreitungs-
gebiet des europäischen Löwen auf hörte6). Sie lag auch nörd-
licher als Chuzistan, Irak Arabi, ja selbst als Assyrien7), wo Löwen
noch jetzt vorkommen. Ferner konnte sie die Hochlande West-
irans und die Südgestade des kaspischen Meeres nicht umfasst
haben, weil dorthin noch die Tiger gegenwärtig ihre Raubzüge
erstrecken8). Nach allen angeführten Thatsachen wird wohl jeder
Erdkundige sich dahin entscheiden, dass die Indoeuropäer beide
Abhänge des Kaukasus, auch die merkwürdige Darielschlucht be-
wohnten und den Pontus oder das kaspische Meer, wenn
nicht beide gleichzeitig kannten. Gegen diese Schlussfolgerung
wird gewöhnlich eingewendet, dass die europäischen Stämme
auf ihren Wanderungen sich aus dem Gebiete des Löwen
oder des Tigers entfernten und mit den Thieren auch ihre
Namen vergassen. Dies bedarf jedoch erst noch einer strengen

1) Adolphe Pictet, Les origines indo-europeennes. Paris 1859 und
1863. tom. I, p. 271. p. 333. tom. II, p. 25. p. 75. p. 94. p. 108 ff. p. 179.
2) Pictet l. c. tom. II, p. 142.
3) Pictet, l. c. tom. I. p. 356. p. 381.
4) Pictet, l. c. tom. I, p. 427. p. 431. p. 443.
5) Pictet l. c. tom. I, p. 425. p. 426.
6) Herodot. lib. VII, cap. 125--126.
7) Ueber die Verbreitung der Löwen in Vorderasien vgl. Layard, Ni-
neveh and its remains. 2d. ed. tom. II, p. 48.
8) Carl Ritter, über die Verbreitung des Tigers, in der Zeitschrift für
Erdkunde. Berlin 1856. Neue Folge. Bd. 1. S. 99.
Peschel, Völkerkunde. 35

Die mittelländische Race.
fuhren1). Ob sie Metalle schon ausgeschmolzen haben, ist mehr
als zweifelhaft, zumal der Name für Blasebalg2) nicht aus der Ur-
heimat stammt. Da sie dort altafrikanische Hausthiere, den Esel
und die Katze3) nicht kannten, so hatten sie mit Aegyptern noch
keine Culturschätze ausgetauscht. Dass sie ferner den Namen für
das Kamel später aus semitischen Sprachen entlehnten, spricht
entschieden gegen Ursitze in Bactrien. Da gemeinsame Worte für
Schnee und Winter vorhanden waren, die anderen Jahreszeiten
aber später verschiedene Namen empfingen, so wechselten in Alt-
arien sicherlich heisse mit rauhen Monaten. In jenen Ursitzen
hausten Bären, Wölfe und Ottern4), dagegen fehlten Löwen und
Tiger5). Nach diesen Andeutungen können wir sehr genau die
Heimat der Indoeuropäer begrenzen. Sie lag östlich vom Nestus,
jetzt Karasu in Macedonien, wo zu Xerxes’ Zeiten das Verbreitungs-
gebiet des europäischen Löwen auf hörte6). Sie lag auch nörd-
licher als Chuzistan, Irak Arabi, ja selbst als Assyrien7), wo Löwen
noch jetzt vorkommen. Ferner konnte sie die Hochlande West-
irans und die Südgestade des kaspischen Meeres nicht umfasst
haben, weil dorthin noch die Tiger gegenwärtig ihre Raubzüge
erstrecken8). Nach allen angeführten Thatsachen wird wohl jeder
Erdkundige sich dahin entscheiden, dass die Indoeuropäer beide
Abhänge des Kaukasus, auch die merkwürdige Darielschlucht be-
wohnten und den Pontus oder das kaspische Meer, wenn
nicht beide gleichzeitig kannten. Gegen diese Schlussfolgerung
wird gewöhnlich eingewendet, dass die europäischen Stämme
auf ihren Wanderungen sich aus dem Gebiete des Löwen
oder des Tigers entfernten und mit den Thieren auch ihre
Namen vergassen. Dies bedarf jedoch erst noch einer strengen

1) Adolphe Pictet, Les origines indo-européennes. Paris 1859 und
1863. tom. I, p. 271. p. 333. tom. II, p. 25. p. 75. p. 94. p. 108 ff. p. 179.
2) Pictet l. c. tom. II, p. 142.
3) Pictet, l. c. tom. I. p. 356. p. 381.
4) Pictet, l. c. tom. I, p. 427. p. 431. p. 443.
5) Pictet l. c. tom. I, p. 425. p. 426.
6) Herodot. lib. VII, cap. 125—126.
7) Ueber die Verbreitung der Löwen in Vorderasien vgl. Layard, Ni-
neveh and its remains. 2d. ed. tom. II, p. 48.
8) Carl Ritter, über die Verbreitung des Tigers, in der Zeitschrift für
Erdkunde. Berlin 1856. Neue Folge. Bd. 1. S. 99.
Peschel, Völkerkunde. 35
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[545/0563] Die mittelländische Race. fuhren 1). Ob sie Metalle schon ausgeschmolzen haben, ist mehr als zweifelhaft, zumal der Name für Blasebalg 2) nicht aus der Ur- heimat stammt. Da sie dort altafrikanische Hausthiere, den Esel und die Katze 3) nicht kannten, so hatten sie mit Aegyptern noch keine Culturschätze ausgetauscht. Dass sie ferner den Namen für das Kamel später aus semitischen Sprachen entlehnten, spricht entschieden gegen Ursitze in Bactrien. Da gemeinsame Worte für Schnee und Winter vorhanden waren, die anderen Jahreszeiten aber später verschiedene Namen empfingen, so wechselten in Alt- arien sicherlich heisse mit rauhen Monaten. In jenen Ursitzen hausten Bären, Wölfe und Ottern 4), dagegen fehlten Löwen und Tiger 5). Nach diesen Andeutungen können wir sehr genau die Heimat der Indoeuropäer begrenzen. Sie lag östlich vom Nestus, jetzt Karasu in Macedonien, wo zu Xerxes’ Zeiten das Verbreitungs- gebiet des europäischen Löwen auf hörte 6). Sie lag auch nörd- licher als Chuzistan, Irak Arabi, ja selbst als Assyrien 7), wo Löwen noch jetzt vorkommen. Ferner konnte sie die Hochlande West- irans und die Südgestade des kaspischen Meeres nicht umfasst haben, weil dorthin noch die Tiger gegenwärtig ihre Raubzüge erstrecken 8). Nach allen angeführten Thatsachen wird wohl jeder Erdkundige sich dahin entscheiden, dass die Indoeuropäer beide Abhänge des Kaukasus, auch die merkwürdige Darielschlucht be- wohnten und den Pontus oder das kaspische Meer, wenn nicht beide gleichzeitig kannten. Gegen diese Schlussfolgerung wird gewöhnlich eingewendet, dass die europäischen Stämme auf ihren Wanderungen sich aus dem Gebiete des Löwen oder des Tigers entfernten und mit den Thieren auch ihre Namen vergassen. Dies bedarf jedoch erst noch einer strengen 1) Adolphe Pictet, Les origines indo-européennes. Paris 1859 und 1863. tom. I, p. 271. p. 333. tom. II, p. 25. p. 75. p. 94. p. 108 ff. p. 179. 2) Pictet l. c. tom. II, p. 142. 3) Pictet, l. c. tom. I. p. 356. p. 381. 4) Pictet, l. c. tom. I, p. 427. p. 431. p. 443. 5) Pictet l. c. tom. I, p. 425. p. 426. 6) Herodot. lib. VII, cap. 125—126. 7) Ueber die Verbreitung der Löwen in Vorderasien vgl. Layard, Ni- neveh and its remains. 2d. ed. tom. II, p. 48. 8) Carl Ritter, über die Verbreitung des Tigers, in der Zeitschrift für Erdkunde. Berlin 1856. Neue Folge. Bd. 1. S. 99. Peschel, Völkerkunde. 35

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/563>, abgerufen am 19.04.2024.