Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Die mittelländische Race.
Sie sind es gewesen, die den Kreis in 360 Grade und jeden von
diesen in 60 Bruchtheile zerlegten. Ihre Ziffern reichten zwar bis
hundert, doch besassen sie auch besondere Zeichen für 60 oder einen
Sossos, sowie für das Quadrat des Sossos oder den Saros. Thontäfel-
chen, die bei Senkareh gefunden worden sind, enthalten sogar die
Anleitung, Einer und Sossos durch die Stellung von rechts nach
links zu unterscheiden, also die Erfindung des Stellenwerthes der
Zahlen, ja die Chaldäer besassen sogar eine Schreibweise, die
wesentlich unsern Ausdrücken für Decimalbrüche glich. Fügen
wir noch hinzu, dass die Babylonier mit ihrer Sexagesimaltheilung
die Talente, Minen und Seckel, also die Valuta Vorderasiens ge-
schaffen haben. Freilich waren es nur Barren aus Silber und
Gold, die beim Verkehr abgewogen und auf Feinheit geprüft wer-
den mussten. Dem Gelde einen leicht erkennbaren Werth gege-
ben, Silber und Gold in Münzen ausgeprägt zu haben, blieb da-
gegen den kleinasiatischen Griechen vorbehalten, während die
Semiten und ihre Töchtervölker noch lange nach dieser Erfindung
beim Barrenverkehr ausharrten.

Anderen semitischen Völkern als den Chaldäern verdankt
das Abendland seine religiöse Erziehung. Haben diese Schöpfungen
bereits früher ihre Würdigung gefunden, so bleibt uns nur zu
untersuchen übrig, welcher Antheil dem Sprachentypus an der
Begründung des Monotheismus zukomme. Die alten Arier be-
nannten Naturerscheinungen oder Naturkräfte nach den sinnlichen
Eindrücken, die sie hinterliessen und da sehr bald die radicalen
und bedeutsamen Lautbestandtheile in jenen Sprachen sich ver-
wischten, so geschah es, wie wir bereits früher zeigten1), dass der
Name unverständlich und dadurch der Keim zu endlosen Mythen
geweckt wurde. Die Semiten dagegen gaben ihren Göttern Namen,
die sich auf abstracte Eigenschaften bezogen, wie El der Starke,
Bel oder Baal der Herrscher, Belsamin Herr des Himmels, Moloch
König, Eliun der Höchste, Ram oder Rimmon der Erhabne2).
Im Typus der dreiconsonantischen Sprachen lag es, dass die ent-
scheidenden Laute unversehrt von der Abschleifung blieben und
sie mahnten daher den Semiten unaufhörlich an die Ableitung

1) S. oben S. 266 ff.
2) Max Müller, Essays. Leipzig 1869. Bd. 1. S. 310--318.

Die mittelländische Race.
Sie sind es gewesen, die den Kreis in 360 Grade und jeden von
diesen in 60 Bruchtheile zerlegten. Ihre Ziffern reichten zwar bis
hundert, doch besassen sie auch besondere Zeichen für 60 oder einen
Sossos, sowie für das Quadrat des Sossos oder den Saros. Thontäfel-
chen, die bei Senkareh gefunden worden sind, enthalten sogar die
Anleitung, Einer und Sossos durch die Stellung von rechts nach
links zu unterscheiden, also die Erfindung des Stellenwerthes der
Zahlen, ja die Chaldäer besassen sogar eine Schreibweise, die
wesentlich unsern Ausdrücken für Decimalbrüche glich. Fügen
wir noch hinzu, dass die Babylonier mit ihrer Sexagesimaltheilung
die Talente, Minen und Seckel, also die Valuta Vorderasiens ge-
schaffen haben. Freilich waren es nur Barren aus Silber und
Gold, die beim Verkehr abgewogen und auf Feinheit geprüft wer-
den mussten. Dem Gelde einen leicht erkennbaren Werth gege-
ben, Silber und Gold in Münzen ausgeprägt zu haben, blieb da-
gegen den kleinasiatischen Griechen vorbehalten, während die
Semiten und ihre Töchtervölker noch lange nach dieser Erfindung
beim Barrenverkehr ausharrten.

Anderen semitischen Völkern als den Chaldäern verdankt
das Abendland seine religiöse Erziehung. Haben diese Schöpfungen
bereits früher ihre Würdigung gefunden, so bleibt uns nur zu
untersuchen übrig, welcher Antheil dem Sprachentypus an der
Begründung des Monotheismus zukomme. Die alten Arier be-
nannten Naturerscheinungen oder Naturkräfte nach den sinnlichen
Eindrücken, die sie hinterliessen und da sehr bald die radicalen
und bedeutsamen Lautbestandtheile in jenen Sprachen sich ver-
wischten, so geschah es, wie wir bereits früher zeigten1), dass der
Name unverständlich und dadurch der Keim zu endlosen Mythen
geweckt wurde. Die Semiten dagegen gaben ihren Göttern Namen,
die sich auf abstracte Eigenschaften bezogen, wie El der Starke,
Bel oder Baal der Herrscher, Belsamin Herr des Himmels, Moloch
König, Eliun der Höchste, Ram oder Rimmon der Erhabne2).
Im Typus der dreiconsonantischen Sprachen lag es, dass die ent-
scheidenden Laute unversehrt von der Abschleifung blieben und
sie mahnten daher den Semiten unaufhörlich an die Ableitung

1) S. oben S. 266 ff.
2) Max Müller, Essays. Leipzig 1869. Bd. 1. S. 310—318.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0555" n="537"/><fw place="top" type="header">Die mittelländische Race.</fw><lb/>
Sie sind es gewesen, die den Kreis in 360 Grade und jeden von<lb/>
diesen in 60 Bruchtheile zerlegten. Ihre Ziffern reichten zwar bis<lb/>
hundert, doch besassen sie auch besondere Zeichen für 60 oder einen<lb/>
Sossos, sowie für das Quadrat des Sossos oder den Saros. Thontäfel-<lb/>
chen, die bei Senkareh gefunden worden sind, enthalten sogar die<lb/>
Anleitung, Einer und Sossos durch die Stellung von rechts nach<lb/>
links zu unterscheiden, also die Erfindung des Stellenwerthes der<lb/>
Zahlen, ja die Chaldäer besassen sogar eine Schreibweise, die<lb/>
wesentlich unsern Ausdrücken für Decimalbrüche glich. Fügen<lb/>
wir noch hinzu, dass die Babylonier mit ihrer Sexagesimaltheilung<lb/>
die Talente, Minen und Seckel, also die Valuta Vorderasiens ge-<lb/>
schaffen haben. Freilich waren es nur Barren aus Silber und<lb/>
Gold, die beim Verkehr abgewogen und auf Feinheit geprüft wer-<lb/>
den mussten. Dem Gelde einen leicht erkennbaren Werth gege-<lb/>
ben, Silber und Gold in Münzen ausgeprägt zu haben, blieb da-<lb/>
gegen den kleinasiatischen Griechen vorbehalten, während die<lb/>
Semiten und ihre Töchtervölker noch lange nach dieser Erfindung<lb/>
beim Barrenverkehr ausharrten.</p><lb/>
            <p>Anderen semitischen Völkern als den Chaldäern verdankt<lb/>
das Abendland seine religiöse Erziehung. Haben diese Schöpfungen<lb/>
bereits früher ihre Würdigung gefunden, so bleibt uns nur zu<lb/>
untersuchen übrig, welcher Antheil dem Sprachentypus an der<lb/>
Begründung des Monotheismus zukomme. Die alten Arier be-<lb/>
nannten Naturerscheinungen oder Naturkräfte nach den sinnlichen<lb/>
Eindrücken, die sie hinterliessen und da sehr bald die radicalen<lb/>
und bedeutsamen Lautbestandtheile in jenen Sprachen sich ver-<lb/>
wischten, so geschah es, wie wir bereits früher zeigten<note place="foot" n="1)">S. oben S. 266 ff.</note>, dass der<lb/>
Name unverständlich und dadurch der Keim zu endlosen Mythen<lb/>
geweckt wurde. Die Semiten dagegen gaben ihren Göttern Namen,<lb/>
die sich auf abstracte Eigenschaften bezogen, wie El der Starke,<lb/>
Bel oder Baal der Herrscher, Belsamin Herr des Himmels, Moloch<lb/>
König, Eliun der Höchste, Ram oder Rimmon der Erhabne<note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Max Müller</hi>, Essays. Leipzig 1869. Bd. 1. S. 310&#x2014;318.</note>.<lb/>
Im Typus der dreiconsonantischen Sprachen lag es, dass die ent-<lb/>
scheidenden Laute unversehrt von der Abschleifung blieben und<lb/>
sie mahnten daher den Semiten unaufhörlich an die Ableitung<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[537/0555] Die mittelländische Race. Sie sind es gewesen, die den Kreis in 360 Grade und jeden von diesen in 60 Bruchtheile zerlegten. Ihre Ziffern reichten zwar bis hundert, doch besassen sie auch besondere Zeichen für 60 oder einen Sossos, sowie für das Quadrat des Sossos oder den Saros. Thontäfel- chen, die bei Senkareh gefunden worden sind, enthalten sogar die Anleitung, Einer und Sossos durch die Stellung von rechts nach links zu unterscheiden, also die Erfindung des Stellenwerthes der Zahlen, ja die Chaldäer besassen sogar eine Schreibweise, die wesentlich unsern Ausdrücken für Decimalbrüche glich. Fügen wir noch hinzu, dass die Babylonier mit ihrer Sexagesimaltheilung die Talente, Minen und Seckel, also die Valuta Vorderasiens ge- schaffen haben. Freilich waren es nur Barren aus Silber und Gold, die beim Verkehr abgewogen und auf Feinheit geprüft wer- den mussten. Dem Gelde einen leicht erkennbaren Werth gege- ben, Silber und Gold in Münzen ausgeprägt zu haben, blieb da- gegen den kleinasiatischen Griechen vorbehalten, während die Semiten und ihre Töchtervölker noch lange nach dieser Erfindung beim Barrenverkehr ausharrten. Anderen semitischen Völkern als den Chaldäern verdankt das Abendland seine religiöse Erziehung. Haben diese Schöpfungen bereits früher ihre Würdigung gefunden, so bleibt uns nur zu untersuchen übrig, welcher Antheil dem Sprachentypus an der Begründung des Monotheismus zukomme. Die alten Arier be- nannten Naturerscheinungen oder Naturkräfte nach den sinnlichen Eindrücken, die sie hinterliessen und da sehr bald die radicalen und bedeutsamen Lautbestandtheile in jenen Sprachen sich ver- wischten, so geschah es, wie wir bereits früher zeigten 1), dass der Name unverständlich und dadurch der Keim zu endlosen Mythen geweckt wurde. Die Semiten dagegen gaben ihren Göttern Namen, die sich auf abstracte Eigenschaften bezogen, wie El der Starke, Bel oder Baal der Herrscher, Belsamin Herr des Himmels, Moloch König, Eliun der Höchste, Ram oder Rimmon der Erhabne 2). Im Typus der dreiconsonantischen Sprachen lag es, dass die ent- scheidenden Laute unversehrt von der Abschleifung blieben und sie mahnten daher den Semiten unaufhörlich an die Ableitung 1) S. oben S. 266 ff. 2) Max Müller, Essays. Leipzig 1869. Bd. 1. S. 310—318.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/555
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/555>, abgerufen am 19.04.2024.