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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die mittelländische Race.
jedoch conventionelle, nicht bilderschreibende, endlich eine Anzahl
schwieriger, aber jetzt schon vielfach erklärter Ideogramme1), wahr-
scheinlich alte Wortbilder oder Wortsinnbilder, die durch Keil-
zeichen abgekürzt worden waren. Gegenwärtig sind alle Zweifel
geschwunden, dass die Assyrier und Babylonier eine gemeinsame
Sprache redeten und diese zu den semitischen gehörte2). Sie
stand dem Aramäischen ferner, als dem Hebräisch-kanaanäischen und
vermittelte zugleich die nord- mit der südsemitischen Gruppe3).

Wenn die Völkertafel der Genesis Nimrod, den Stifter von
Babel, Erech, Acad und Chalne als einen Sohn von Kusch bezeichnet,
so ist diese Stelle als ein späterer Zusatz längst erkannt worden4).
Dass sich in Babylonien einwandernde Semiten mit einer älteren
hamitischen Bevölkerung gemischt haben, stützt sich demnach allein
auf die Angaben der Genesis und erscheint daher vor Zweifeln
nicht gesichert. Die assyrischen Inschriften haben bezeugt, dass
mindestens schon um 900 v. Chr. die Bewohner Babyloniens
Kaldi (Chaldäer) hiessen5).

Bevor aber im 18. Jahrhundert v. Chr. die semitischen Chaldäer
in Babylon ihre Herrschaft gründeten, bestand am Mündungsgebiet
des Euphrat ein Reich mit der Hauptstadt Ur, dessen Könige
nicht semitische Namen führten6). Dort wurde die älteste Gattung
der Keilschrift erfunden, welche die einen die akkadische, andre
wieder die sumerische nennen, von der jedoch ohne Streit und
Zweifel die assyrisch-babylonische Schrift erst abgeleitet worden ist.
Die Sprache jenes ehrwürdigen Volkes wurde zuerst von J. Oppert
als eine "turanische", das heisst unzweideutiger ausgedrückt, als
eine uralaltaische bezeichnet und zwar schliesst sie sich, was die
Zahlwörter und Fürwörter betrifft, dem finnischen Aste näher an

1) Eberhard Schrader, Die assyrisch-babylonischen Keilinschriften
Leipzig 1872. S. 61. S. 83.
2) Schrader l. c. S. 24.
3) Eberhard Schrader, in Zeitschr. der D. Morgenländ. Gesellschaft.
Bd. XXVII. Leipzig. 1873. S. 406. S. 412. Ohne die Arbeit Schrader's zu
kennen, ist A. H. Sayce (An Assyrian Grammar. London. 1872. p. VII, p.
1--15) zu dem nämlichen Ergebniss gelangt.
4) A. Knobel, Die Völkertafel der Genesis. Giessen 1850. S. 339.
5) Schrader in der Zeitschr. der D. Mgld. Ges. l. c. S. 398.
6) Lenormant, Etudes accadiennes. Paris 1873. tom. I, p. 3eme p. 76.

Die mittelländische Race.
jedoch conventionelle, nicht bilderschreibende, endlich eine Anzahl
schwieriger, aber jetzt schon vielfach erklärter Ideogramme1), wahr-
scheinlich alte Wortbilder oder Wortsinnbilder, die durch Keil-
zeichen abgekürzt worden waren. Gegenwärtig sind alle Zweifel
geschwunden, dass die Assyrier und Babylonier eine gemeinsame
Sprache redeten und diese zu den semitischen gehörte2). Sie
stand dem Aramäischen ferner, als dem Hebräisch-kanaanäischen und
vermittelte zugleich die nord- mit der südsemitischen Gruppe3).

Wenn die Völkertafel der Genesis Nimrod, den Stifter von
Babel, Erech, Acad und Chalne als einen Sohn von Kusch bezeichnet,
so ist diese Stelle als ein späterer Zusatz längst erkannt worden4).
Dass sich in Babylonien einwandernde Semiten mit einer älteren
hamitischen Bevölkerung gemischt haben, stützt sich demnach allein
auf die Angaben der Genesis und erscheint daher vor Zweifeln
nicht gesichert. Die assyrischen Inschriften haben bezeugt, dass
mindestens schon um 900 v. Chr. die Bewohner Babyloniens
Kaldi (Chaldäer) hiessen5).

Bevor aber im 18. Jahrhundert v. Chr. die semitischen Chaldäer
in Babylon ihre Herrschaft gründeten, bestand am Mündungsgebiet
des Euphrat ein Reich mit der Hauptstadt Ur, dessen Könige
nicht semitische Namen führten6). Dort wurde die älteste Gattung
der Keilschrift erfunden, welche die einen die akkadische, andre
wieder die sumerische nennen, von der jedoch ohne Streit und
Zweifel die assyrisch-babylonische Schrift erst abgeleitet worden ist.
Die Sprache jenes ehrwürdigen Volkes wurde zuerst von J. Oppert
als eine „turanische“, das heisst unzweideutiger ausgedrückt, als
eine uralaltaische bezeichnet und zwar schliesst sie sich, was die
Zahlwörter und Fürwörter betrifft, dem finnischen Aste näher an

1) Eberhard Schrader, Die assyrisch-babylonischen Keilinschriften
Leipzig 1872. S. 61. S. 83.
2) Schrader l. c. S. 24.
3) Eberhard Schrader, in Zeitschr. der D. Morgenländ. Gesellschaft.
Bd. XXVII. Leipzig. 1873. S. 406. S. 412. Ohne die Arbeit Schrader’s zu
kennen, ist A. H. Sayce (An Assyrian Grammar. London. 1872. p. VII, p.
1—15) zu dem nämlichen Ergebniss gelangt.
4) A. Knobel, Die Völkertafel der Genesis. Giessen 1850. S. 339.
5) Schrader in der Zeitschr. der D. Mgld. Ges. l. c. S. 398.
6) Lenormant, Études accadiennes. Paris 1873. tom. I, p. 3ème p. 76.
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[533/0551] Die mittelländische Race. jedoch conventionelle, nicht bilderschreibende, endlich eine Anzahl schwieriger, aber jetzt schon vielfach erklärter Ideogramme 1), wahr- scheinlich alte Wortbilder oder Wortsinnbilder, die durch Keil- zeichen abgekürzt worden waren. Gegenwärtig sind alle Zweifel geschwunden, dass die Assyrier und Babylonier eine gemeinsame Sprache redeten und diese zu den semitischen gehörte 2). Sie stand dem Aramäischen ferner, als dem Hebräisch-kanaanäischen und vermittelte zugleich die nord- mit der südsemitischen Gruppe 3). Wenn die Völkertafel der Genesis Nimrod, den Stifter von Babel, Erech, Acad und Chalne als einen Sohn von Kusch bezeichnet, so ist diese Stelle als ein späterer Zusatz längst erkannt worden 4). Dass sich in Babylonien einwandernde Semiten mit einer älteren hamitischen Bevölkerung gemischt haben, stützt sich demnach allein auf die Angaben der Genesis und erscheint daher vor Zweifeln nicht gesichert. Die assyrischen Inschriften haben bezeugt, dass mindestens schon um 900 v. Chr. die Bewohner Babyloniens Kaldi (Chaldäer) hiessen 5). Bevor aber im 18. Jahrhundert v. Chr. die semitischen Chaldäer in Babylon ihre Herrschaft gründeten, bestand am Mündungsgebiet des Euphrat ein Reich mit der Hauptstadt Ur, dessen Könige nicht semitische Namen führten 6). Dort wurde die älteste Gattung der Keilschrift erfunden, welche die einen die akkadische, andre wieder die sumerische nennen, von der jedoch ohne Streit und Zweifel die assyrisch-babylonische Schrift erst abgeleitet worden ist. Die Sprache jenes ehrwürdigen Volkes wurde zuerst von J. Oppert als eine „turanische“, das heisst unzweideutiger ausgedrückt, als eine uralaltaische bezeichnet und zwar schliesst sie sich, was die Zahlwörter und Fürwörter betrifft, dem finnischen Aste näher an 1) Eberhard Schrader, Die assyrisch-babylonischen Keilinschriften Leipzig 1872. S. 61. S. 83. 2) Schrader l. c. S. 24. 3) Eberhard Schrader, in Zeitschr. der D. Morgenländ. Gesellschaft. Bd. XXVII. Leipzig. 1873. S. 406. S. 412. Ohne die Arbeit Schrader’s zu kennen, ist A. H. Sayce (An Assyrian Grammar. London. 1872. p. VII, p. 1—15) zu dem nämlichen Ergebniss gelangt. 4) A. Knobel, Die Völkertafel der Genesis. Giessen 1850. S. 339. 5) Schrader in der Zeitschr. der D. Mgld. Ges. l. c. S. 398. 6) Lenormant, Études accadiennes. Paris 1873. tom. I, p. 3ème p. 76.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/551>, abgerufen am 20.04.2024.