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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Der malayische Stamm.
meintlichen schnöden Undankbarkeit einen tiefen Groll gegen alle
Neuseeländer nährte. Den Störungen im täglichen Verkehr,
welche jene wunderliche Einrichtung nach sich ziehen musste,
wurde dadurch abgeholfen, dass kriegsgefangene Sklaven von
Tabusatzungen befreit galten.

Die polynesische Gesellschaft zerfiel in Fürsten, Adelige und
Plebejer. Nach diesen Abstufungen richteten sich die Umgangs-
formen und durch strenge Etikette war für die Befriedigung
aristokratischer Eitelkeit hinreichend gesorgt. Auf den Gesell-
schaftsinseln treffen wir ausserdem den Bund der Areoi, halb
Ordens-, halb Künstlerbrüderschaft zur Aufführung dramatischer
Tänze. Zu ihnen gehörten, in sieben Stufen abgetheilt und durch
Tätowirung kenntlich, Fürsten, Adelige und Gemeine, Männer wie
Frauen, deren Kinder nach der Geburt getödtet werden mussten.
Die Areoi zogen zur Aufführung ihrer Festspiele von Insel zu Insel
und wurden überall mit Gelagen bewirthet. Gewiss wird ihnen mit
Recht nachgerühmt, dass sie als Pfleger der Kunst höhere Bildung
und geselligen Schliff verbreitet haben 1).

Die asiatischen Malayen, welche den Ursitzen näher blieben,
sind noch auf der Halbinsel Malaka anzutreffen oder dorthin zu-
rückgewandert. Sie bewohnen die grossen Inseln, welche jetzt
unter holländischer Herrschaft stehen, ebenso die Philippinen, ja
selbst Formosa. In Bezug auf letztere Insel war schon längst
bekannt, dass die gesitteten ackerbauenden Strandbewohner eine
malayische Sprache redeten 2). Es gibt aber in den inneren Ge-
birgen einen unbezähmten streitbaren Stamm, den die Chinesen
als Chinwan oder "rohe Wilde" bezeichnen. Man vermuthete bis-
her in ihnen Verwandte der Philippinenbevölkerung. A. Schetelig
der zuerst ihre Sprache untersucht hat, gelangte jedoch zu dem
Ergebniss, dass jene Chinwan nur den sechsten Theil ihres Wort-
schatzes von ihren malayischen Nachbarn entlehnt haben, sonst aber
durch ihre Sprache sich von ihnen trennen und der Bevölkerung
des nahegelegenen chinesischen Festlandes körperlich sehr nahe
stehen 3).

1) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 363.
2) Latham, Opuscula. London 1860. p. 193.
3) Schetelig in der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissen-
schaft. Berlin 1868. Bd. 5. S. 436--450.

Der malayische Stamm.
meintlichen schnöden Undankbarkeit einen tiefen Groll gegen alle
Neuseeländer nährte. Den Störungen im täglichen Verkehr,
welche jene wunderliche Einrichtung nach sich ziehen musste,
wurde dadurch abgeholfen, dass kriegsgefangene Sklaven von
Tabusatzungen befreit galten.

Die polynesische Gesellschaft zerfiel in Fürsten, Adelige und
Plebejer. Nach diesen Abstufungen richteten sich die Umgangs-
formen und durch strenge Etikette war für die Befriedigung
aristokratischer Eitelkeit hinreichend gesorgt. Auf den Gesell-
schaftsinseln treffen wir ausserdem den Bund der Areoi, halb
Ordens-, halb Künstlerbrüderschaft zur Aufführung dramatischer
Tänze. Zu ihnen gehörten, in sieben Stufen abgetheilt und durch
Tätowirung kenntlich, Fürsten, Adelige und Gemeine, Männer wie
Frauen, deren Kinder nach der Geburt getödtet werden mussten.
Die Areoi zogen zur Aufführung ihrer Festspiele von Insel zu Insel
und wurden überall mit Gelagen bewirthet. Gewiss wird ihnen mit
Recht nachgerühmt, dass sie als Pfleger der Kunst höhere Bildung
und geselligen Schliff verbreitet haben 1).

Die asiatischen Malayen, welche den Ursitzen näher blieben,
sind noch auf der Halbinsel Malaka anzutreffen oder dorthin zu-
rückgewandert. Sie bewohnen die grossen Inseln, welche jetzt
unter holländischer Herrschaft stehen, ebenso die Philippinen, ja
selbst Formosa. In Bezug auf letztere Insel war schon längst
bekannt, dass die gesitteten ackerbauenden Strandbewohner eine
malayische Sprache redeten 2). Es gibt aber in den inneren Ge-
birgen einen unbezähmten streitbaren Stamm, den die Chinesen
als Chinwan oder „rohe Wilde“ bezeichnen. Man vermuthete bis-
her in ihnen Verwandte der Philippinenbevölkerung. A. Schetelig
der zuerst ihre Sprache untersucht hat, gelangte jedoch zu dem
Ergebniss, dass jene Chinwan nur den sechsten Theil ihres Wort-
schatzes von ihren malayischen Nachbarn entlehnt haben, sonst aber
durch ihre Sprache sich von ihnen trennen und der Bevölkerung
des nahegelegenen chinesischen Festlandes körperlich sehr nahe
stehen 3).

1) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 363.
2) Latham, Opuscula. London 1860. p. 193.
3) Schetelig in der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissen-
schaft. Berlin 1868. Bd. 5. S. 436—450.
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[377/0395] Der malayische Stamm. meintlichen schnöden Undankbarkeit einen tiefen Groll gegen alle Neuseeländer nährte. Den Störungen im täglichen Verkehr, welche jene wunderliche Einrichtung nach sich ziehen musste, wurde dadurch abgeholfen, dass kriegsgefangene Sklaven von Tabusatzungen befreit galten. Die polynesische Gesellschaft zerfiel in Fürsten, Adelige und Plebejer. Nach diesen Abstufungen richteten sich die Umgangs- formen und durch strenge Etikette war für die Befriedigung aristokratischer Eitelkeit hinreichend gesorgt. Auf den Gesell- schaftsinseln treffen wir ausserdem den Bund der Areoi, halb Ordens-, halb Künstlerbrüderschaft zur Aufführung dramatischer Tänze. Zu ihnen gehörten, in sieben Stufen abgetheilt und durch Tätowirung kenntlich, Fürsten, Adelige und Gemeine, Männer wie Frauen, deren Kinder nach der Geburt getödtet werden mussten. Die Areoi zogen zur Aufführung ihrer Festspiele von Insel zu Insel und wurden überall mit Gelagen bewirthet. Gewiss wird ihnen mit Recht nachgerühmt, dass sie als Pfleger der Kunst höhere Bildung und geselligen Schliff verbreitet haben 1). Die asiatischen Malayen, welche den Ursitzen näher blieben, sind noch auf der Halbinsel Malaka anzutreffen oder dorthin zu- rückgewandert. Sie bewohnen die grossen Inseln, welche jetzt unter holländischer Herrschaft stehen, ebenso die Philippinen, ja selbst Formosa. In Bezug auf letztere Insel war schon längst bekannt, dass die gesitteten ackerbauenden Strandbewohner eine malayische Sprache redeten 2). Es gibt aber in den inneren Ge- birgen einen unbezähmten streitbaren Stamm, den die Chinesen als Chinwan oder „rohe Wilde“ bezeichnen. Man vermuthete bis- her in ihnen Verwandte der Philippinenbevölkerung. A. Schetelig der zuerst ihre Sprache untersucht hat, gelangte jedoch zu dem Ergebniss, dass jene Chinwan nur den sechsten Theil ihres Wort- schatzes von ihren malayischen Nachbarn entlehnt haben, sonst aber durch ihre Sprache sich von ihnen trennen und der Bevölkerung des nahegelegenen chinesischen Festlandes körperlich sehr nahe stehen 3). 1) Waitz (Gerland), Anthropologie. Bd. 6. S. 363. 2) Latham, Opuscula. London 1860. p. 193. 3) Schetelig in der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissen- schaft. Berlin 1868. Bd. 5. S. 436—450.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/395>, abgerufen am 20.04.2024.