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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Der malayische Stamm.
eingetroffen sein und die Kumara oder süsse Kartoffel nach
Neuseeland eingeführt haben 1).

Für die kleineren Inselgruppen sind ebenfalls frühere oder
spätere Besiedelungen nachgewiesen worden, und wenn man auch
auf obige Zeitberechnungen kein grosses Gewicht legen darf, so
ist doch die Thatsache vor jedem Zweifel gesichert, dass die
Inselwelt des stillen Meeres von Samoa oder den Schifferinseln
nach und nach bevölkert wurde und dass dies nicht in einer allzu
entfernten Zeit geschehen sein kann, da Ueberlieferungen von
einer Einwanderung nirgends völlig verklungen waren.

Die Polynesier konnten keine Jagd betreiben 2), wohl aber
Fischfang. Sonst lebten sie vom Ertrage der Cocoshaine, der
Brotfrucht und einiger Knollengewächse, wie des Taro und der
süssen Kartoffel. Hund und Schwein waren ihre Hausthiere und
fehlten auf Neuseeland wahrscheinlich nur deswegen, weil bei der
langen Ueberfahrt die mitgeführten Zuchtthiere schon an Bord
aufgezehrt werden mussten, sonst nämlich wurde die Besiedelung
neuer Inseln stets vorbedächtig ins Werk gesetzt. Die Vertheilung
des Flüssigen und Festen im Südosten Asiens enthielt an sich
schon den Antrieb zum Aufsuchen überseeischer Wohnplätze, denn
nirgends auf Erden haben sich ehemalige Festlande zunächst in
geräumigere, dann in immer mehr verkleinerte Inseln auf-
gelöst. Die niedrigen Korallenketten sind nur ungenügend gegen
Sturm und Brandung gesichert, bald wird dieses, bald jenes Atoll
zerstört und sein Bewohner genöthigt, eine neue Heimat aufzu-
suchen. Wie alle Malayen sind die Polynesier geschickte See-
fahrer und ihrem Scharfsinn verdanken sie die Erfindung der
einfachen oder doppelten Ausleger, welche ihre schmalen Segel-
fahrzeuge vor dem Umschlagen bei heranrollenden Wogen sichern.

Ihre gewerblichen Leistungen gehörten der Stufe geschliffener
aber undurchbohrter Steingeräthe an. Speer und Keule sind die
gewöhnlichen Kriegswerkzeuge. Thongeschirre fehlten, daher die
Nahrungsmittel mit glühenden Steinen gekocht wurden. Die Woh-
nungen bestanden aus Pfählen mit einem Blätterdache und die
Kleidung aus der Rinde des Maulbeerbaumes, obgleich die Baum-
wollenstaude auf den Inseln heimisch ist.

1) Hale, Ethnography. p. 146.
2) S. oben S. 190.

Der malayische Stamm.
eingetroffen sein und die Kumara oder süsse Kartoffel nach
Neuseeland eingeführt haben 1).

Für die kleineren Inselgruppen sind ebenfalls frühere oder
spätere Besiedelungen nachgewiesen worden, und wenn man auch
auf obige Zeitberechnungen kein grosses Gewicht legen darf, so
ist doch die Thatsache vor jedem Zweifel gesichert, dass die
Inselwelt des stillen Meeres von Samoa oder den Schifferinseln
nach und nach bevölkert wurde und dass dies nicht in einer allzu
entfernten Zeit geschehen sein kann, da Ueberlieferungen von
einer Einwanderung nirgends völlig verklungen waren.

Die Polynesier konnten keine Jagd betreiben 2), wohl aber
Fischfang. Sonst lebten sie vom Ertrage der Cocoshaine, der
Brotfrucht und einiger Knollengewächse, wie des Taro und der
süssen Kartoffel. Hund und Schwein waren ihre Hausthiere und
fehlten auf Neuseeland wahrscheinlich nur deswegen, weil bei der
langen Ueberfahrt die mitgeführten Zuchtthiere schon an Bord
aufgezehrt werden mussten, sonst nämlich wurde die Besiedelung
neuer Inseln stets vorbedächtig ins Werk gesetzt. Die Vertheilung
des Flüssigen und Festen im Südosten Asiens enthielt an sich
schon den Antrieb zum Aufsuchen überseeischer Wohnplätze, denn
nirgends auf Erden haben sich ehemalige Festlande zunächst in
geräumigere, dann in immer mehr verkleinerte Inseln auf-
gelöst. Die niedrigen Korallenketten sind nur ungenügend gegen
Sturm und Brandung gesichert, bald wird dieses, bald jenes Atoll
zerstört und sein Bewohner genöthigt, eine neue Heimat aufzu-
suchen. Wie alle Malayen sind die Polynesier geschickte See-
fahrer und ihrem Scharfsinn verdanken sie die Erfindung der
einfachen oder doppelten Ausleger, welche ihre schmalen Segel-
fahrzeuge vor dem Umschlagen bei heranrollenden Wogen sichern.

Ihre gewerblichen Leistungen gehörten der Stufe geschliffener
aber undurchbohrter Steingeräthe an. Speer und Keule sind die
gewöhnlichen Kriegswerkzeuge. Thongeschirre fehlten, daher die
Nahrungsmittel mit glühenden Steinen gekocht wurden. Die Woh-
nungen bestanden aus Pfählen mit einem Blätterdache und die
Kleidung aus der Rinde des Maulbeerbaumes, obgleich die Baum-
wollenstaude auf den Inseln heimisch ist.

1) Hale, Ethnography. p. 146.
2) S. oben S. 190.
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[375/0393] Der malayische Stamm. eingetroffen sein und die Kumara oder süsse Kartoffel nach Neuseeland eingeführt haben 1). Für die kleineren Inselgruppen sind ebenfalls frühere oder spätere Besiedelungen nachgewiesen worden, und wenn man auch auf obige Zeitberechnungen kein grosses Gewicht legen darf, so ist doch die Thatsache vor jedem Zweifel gesichert, dass die Inselwelt des stillen Meeres von Samoa oder den Schifferinseln nach und nach bevölkert wurde und dass dies nicht in einer allzu entfernten Zeit geschehen sein kann, da Ueberlieferungen von einer Einwanderung nirgends völlig verklungen waren. Die Polynesier konnten keine Jagd betreiben 2), wohl aber Fischfang. Sonst lebten sie vom Ertrage der Cocoshaine, der Brotfrucht und einiger Knollengewächse, wie des Taro und der süssen Kartoffel. Hund und Schwein waren ihre Hausthiere und fehlten auf Neuseeland wahrscheinlich nur deswegen, weil bei der langen Ueberfahrt die mitgeführten Zuchtthiere schon an Bord aufgezehrt werden mussten, sonst nämlich wurde die Besiedelung neuer Inseln stets vorbedächtig ins Werk gesetzt. Die Vertheilung des Flüssigen und Festen im Südosten Asiens enthielt an sich schon den Antrieb zum Aufsuchen überseeischer Wohnplätze, denn nirgends auf Erden haben sich ehemalige Festlande zunächst in geräumigere, dann in immer mehr verkleinerte Inseln auf- gelöst. Die niedrigen Korallenketten sind nur ungenügend gegen Sturm und Brandung gesichert, bald wird dieses, bald jenes Atoll zerstört und sein Bewohner genöthigt, eine neue Heimat aufzu- suchen. Wie alle Malayen sind die Polynesier geschickte See- fahrer und ihrem Scharfsinn verdanken sie die Erfindung der einfachen oder doppelten Ausleger, welche ihre schmalen Segel- fahrzeuge vor dem Umschlagen bei heranrollenden Wogen sichern. Ihre gewerblichen Leistungen gehörten der Stufe geschliffener aber undurchbohrter Steingeräthe an. Speer und Keule sind die gewöhnlichen Kriegswerkzeuge. Thongeschirre fehlten, daher die Nahrungsmittel mit glühenden Steinen gekocht wurden. Die Woh- nungen bestanden aus Pfählen mit einem Blätterdache und die Kleidung aus der Rinde des Maulbeerbaumes, obgleich die Baum- wollenstaude auf den Inseln heimisch ist. 1) Hale, Ethnography. p. 146. 2) S. oben S. 190.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/393>, abgerufen am 24.04.2024.