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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die australischen und asiatischen Papuanen.
Die Schauderscenen die Williams 1) bei der lebendigen Beerdigung
eines Fidschihäuptlings beschreibt, dessen Frauen gleichzeitig er-
drosselt wurden, erklären sich nicht ungünstig aus jenem Wahn,
wird doch auch rührender Weise auf den Loyalitätsinseln beim
Tode eines geliebten Kindes, damit es nicht ganz im Jenseits
verlassen sei, die Mutter oder die Tante getödtet 2). Damit verknüpft
sich eng ein Dienst der Abgeschiednen, deren Schädel als Hausgötzen
aufgestellt, um Wahrzeichen befragt und um Unterstützung in
schwierigen Unternehmungen angerufen werden. Da diese Sitte
bei den Papuanen Neu-Guineas beobachtet worden ist 3), so kann
sie nicht von den Polynesiern entlehnt worden sein. Man trifft
ebendaselbst grosse hohe leere Gebäude auf Pfahlrosten, die als
Andachtstätten oder Tempel dienen. Die Papuanen huldigen da-
bei dualistischen Ansichten, denn sie schreiben einem bösen
Wesen Manuwel alles Unheil zu, verehren und opfern aber nur
dem guten Schutzgeist unter dem Namen Narvoje 4). Berufsscha-
manen fehlen den unvermischten Völkerschaften, ein jeder verlegt
sich vielmehr auf das Errathen der Zukunft. Die Unschuld eines
Angeklagten wird gottesgerichtlich, entweder durch die Probe mit
siedendem Wasser oder durch langes Untertauchen ermittelt 5).
Auf Neu-Guinea und überall dort wo die polynesischen Eindring-
linge nicht ihre Gebräuche und gesellschaftlichen Anschauungen
eingebürgert haben, herrscht Freiheit und Gleichheit, die Macht
der Häuptlinge ist daher schattenhaft.

Die höchste geistige und gesellige Entwickelung hat die papu-
anische Race auf den Fidschiinseln sich erworben, freilich indem
sie durch den innigen Verkehr mit den Tonganern polynesische
Erfindungen und Satzungen gelehrig sich aneignete. Dahin gehört
das Trinken der Yakona oder des Kawa, die Eintheilung in
Zünfte und in Kasten, endlich die Tabusatzung, welche die Häupt-
linge zur Mehrung ihrer Macht eifrig verbreitet haben. Jetzt
brauchen sie nur ihr Gewand über die Fluren schleppen zu lassen,
um alle berührten Feldfrüchte für ihren eignen Genuss zu heiligen.

1) Fiji and the Fijians. tom. I, p. 193.
2) Waitz, (Gerland) Anthropologie. Bd. 6. S. 641.
3) Finsch, l. c. S. 105.
4) Finsch, l. c. S. 107.
5) Finsch, l. c. S. 113.

Die australischen und asiatischen Papuanen.
Die Schauderscenen die Williams 1) bei der lebendigen Beerdigung
eines Fidschihäuptlings beschreibt, dessen Frauen gleichzeitig er-
drosselt wurden, erklären sich nicht ungünstig aus jenem Wahn,
wird doch auch rührender Weise auf den Loyalitätsinseln beim
Tode eines geliebten Kindes, damit es nicht ganz im Jenseits
verlassen sei, die Mutter oder die Tante getödtet 2). Damit verknüpft
sich eng ein Dienst der Abgeschiednen, deren Schädel als Hausgötzen
aufgestellt, um Wahrzeichen befragt und um Unterstützung in
schwierigen Unternehmungen angerufen werden. Da diese Sitte
bei den Papuanen Neu-Guineas beobachtet worden ist 3), so kann
sie nicht von den Polynesiern entlehnt worden sein. Man trifft
ebendaselbst grosse hohe leere Gebäude auf Pfahlrosten, die als
Andachtstätten oder Tempel dienen. Die Papuanen huldigen da-
bei dualistischen Ansichten, denn sie schreiben einem bösen
Wesen Manuwel alles Unheil zu, verehren und opfern aber nur
dem guten Schutzgeist unter dem Namen Narvojé 4). Berufsscha-
manen fehlen den unvermischten Völkerschaften, ein jeder verlegt
sich vielmehr auf das Errathen der Zukunft. Die Unschuld eines
Angeklagten wird gottesgerichtlich, entweder durch die Probe mit
siedendem Wasser oder durch langes Untertauchen ermittelt 5).
Auf Neu-Guinea und überall dort wo die polynesischen Eindring-
linge nicht ihre Gebräuche und gesellschaftlichen Anschauungen
eingebürgert haben, herrscht Freiheit und Gleichheit, die Macht
der Häuptlinge ist daher schattenhaft.

Die höchste geistige und gesellige Entwickelung hat die papu-
anische Race auf den Fidschiinseln sich erworben, freilich indem
sie durch den innigen Verkehr mit den Tonganern polynesische
Erfindungen und Satzungen gelehrig sich aneignete. Dahin gehört
das Trinken der Yakona oder des Kawa, die Eintheilung in
Zünfte und in Kasten, endlich die Tabusatzung, welche die Häupt-
linge zur Mehrung ihrer Macht eifrig verbreitet haben. Jetzt
brauchen sie nur ihr Gewand über die Fluren schleppen zu lassen,
um alle berührten Feldfrüchte für ihren eignen Genuss zu heiligen.

1) Fiji and the Fijians. tom. I, p. 193.
2) Waitz, (Gerland) Anthropologie. Bd. 6. S. 641.
3) Finsch, l. c. S. 105.
4) Finsch, l. c. S. 107.
5) Finsch, l. c. S. 113.
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[366/0384] Die australischen und asiatischen Papuanen. Die Schauderscenen die Williams 1) bei der lebendigen Beerdigung eines Fidschihäuptlings beschreibt, dessen Frauen gleichzeitig er- drosselt wurden, erklären sich nicht ungünstig aus jenem Wahn, wird doch auch rührender Weise auf den Loyalitätsinseln beim Tode eines geliebten Kindes, damit es nicht ganz im Jenseits verlassen sei, die Mutter oder die Tante getödtet 2). Damit verknüpft sich eng ein Dienst der Abgeschiednen, deren Schädel als Hausgötzen aufgestellt, um Wahrzeichen befragt und um Unterstützung in schwierigen Unternehmungen angerufen werden. Da diese Sitte bei den Papuanen Neu-Guineas beobachtet worden ist 3), so kann sie nicht von den Polynesiern entlehnt worden sein. Man trifft ebendaselbst grosse hohe leere Gebäude auf Pfahlrosten, die als Andachtstätten oder Tempel dienen. Die Papuanen huldigen da- bei dualistischen Ansichten, denn sie schreiben einem bösen Wesen Manuwel alles Unheil zu, verehren und opfern aber nur dem guten Schutzgeist unter dem Namen Narvojé 4). Berufsscha- manen fehlen den unvermischten Völkerschaften, ein jeder verlegt sich vielmehr auf das Errathen der Zukunft. Die Unschuld eines Angeklagten wird gottesgerichtlich, entweder durch die Probe mit siedendem Wasser oder durch langes Untertauchen ermittelt 5). Auf Neu-Guinea und überall dort wo die polynesischen Eindring- linge nicht ihre Gebräuche und gesellschaftlichen Anschauungen eingebürgert haben, herrscht Freiheit und Gleichheit, die Macht der Häuptlinge ist daher schattenhaft. Die höchste geistige und gesellige Entwickelung hat die papu- anische Race auf den Fidschiinseln sich erworben, freilich indem sie durch den innigen Verkehr mit den Tonganern polynesische Erfindungen und Satzungen gelehrig sich aneignete. Dahin gehört das Trinken der Yakona oder des Kawa, die Eintheilung in Zünfte und in Kasten, endlich die Tabusatzung, welche die Häupt- linge zur Mehrung ihrer Macht eifrig verbreitet haben. Jetzt brauchen sie nur ihr Gewand über die Fluren schleppen zu lassen, um alle berührten Feldfrüchte für ihren eignen Genuss zu heiligen. 1) Fiji and the Fijians. tom. I, p. 193. 2) Waitz, (Gerland) Anthropologie. Bd. 6. S. 641. 3) Finsch, l. c. S. 105. 4) Finsch, l. c. S. 107. 5) Finsch, l. c. S. 113.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/384>, abgerufen am 28.03.2024.