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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Australier.
kommen essbarer Wurzeln, die nicht wie die Cerealien einer müh-
samen Aufbewahrung bedürfen, den Fortschritt der australischen
Menschen zum Ackerbau. So erzeugt die Carpentariahalbinsel
echte Yam (Dioscorea Carpentariae), der Süden aber die Wurzeln
des Sorrel, einer Oxalis-, und des Grasbaumes, einer Xanthorrhoea-
Art, die von den Frauen mit spitzigen Hölzern ausgegraben
wurden und immer eine letzte Zuflucht gegen Misserfolge der Jagd
blieben. Am Swan River der Westküste ist übrigens die örtliche
Dichtigkeit der Känguruh so gross, dass die Eingebornen, als man
ihnen 9 Pence (71/2 Silbergr.) für das Stück versprach, so viel
einlieferten, dass die Ansiedler damit ihr Borstenvieh fütterten 1).
Ebenso versicherte der unlängst verstorbene James Morill, der
17 Jahre lang unter Küstenstämmen Queenslands, in der Nähe
von Cap Bowling Green (19° 17' s. Br.) lebte, dass es ihnen an
Nahrung nicht gefehlt hätte. Daher liesse sich mit Glück der
Satz vertheidigen, dass die australische Gesellschaft für den Ueber-
gang zum Ackerbau noch nicht reif gewesen sei, d. h. noch nicht
die erforderliche Dichtigkeit besessen hätte, denn die Bevölkerung
ist nicht höher als auf 200,000, von manchen sogar nur auf
60,000 Köpfe geschätzt worden, für welche die Jagdgründe mehr
als ausreichten.

Doch ist das Ausgraben von Wurzeln so mühsam und die
Wurzelkost so wenig nahrhaft, dass es immerhin befremden müsste,
warum die Australier, nachdem ihnen doch die Natur deutlich
durch das gesellige Wachsthum der oben aufgezählten Brodfrüchte
den Weg und die Vortheile des Ackerbaues zeigte, nie auf den
Gedanken kamen, den Boden mit Saaten zu bestellen. Aber nur
weil uns die Gewohnheit gegen das Ausserordentliche abgestumpft
hat, übersehen wir meistens, welche ungewöhnliche Begabung
dazu erforderlich gewesen sei, dass ein Mensch die ersten Samen-
körner ahnungsvoll ausstreute. Den alten Hellenen, welche den
ersten Regungen menschlicher Gesittung näher standen als wir,
und die sich die grossen Anfänge noch nicht von einem Schwarm
kleiner Neuigkeiten in den Hintergrund der gemeinen Dinge
drängen liessen, erschien ein planvolles Erdenken des Ackerbaues
für menschliche Verstandeskräfte zu unerfasslich und sie schrieben
es daher einer Gottheit zu, gerade so wie die Aegypter auf ihren

1) Ferdinand Müller. Ausland. 1859. S. 1018.

Die Australier.
kommen essbarer Wurzeln, die nicht wie die Cerealien einer müh-
samen Aufbewahrung bedürfen, den Fortschritt der australischen
Menschen zum Ackerbau. So erzeugt die Carpentariahalbinsel
echte Yam (Dioscorea Carpentariae), der Süden aber die Wurzeln
des Sorrel, einer Oxalis-, und des Grasbaumes, einer Xanthorrhoea-
Art, die von den Frauen mit spitzigen Hölzern ausgegraben
wurden und immer eine letzte Zuflucht gegen Misserfolge der Jagd
blieben. Am Swan River der Westküste ist übrigens die örtliche
Dichtigkeit der Känguruh so gross, dass die Eingebornen, als man
ihnen 9 Pence (7½ Silbergr.) für das Stück versprach, so viel
einlieferten, dass die Ansiedler damit ihr Borstenvieh fütterten 1).
Ebenso versicherte der unlängst verstorbene James Morill, der
17 Jahre lang unter Küstenstämmen Queenslands, in der Nähe
von Cap Bowling Green (19° 17′ s. Br.) lebte, dass es ihnen an
Nahrung nicht gefehlt hätte. Daher liesse sich mit Glück der
Satz vertheidigen, dass die australische Gesellschaft für den Ueber-
gang zum Ackerbau noch nicht reif gewesen sei, d. h. noch nicht
die erforderliche Dichtigkeit besessen hätte, denn die Bevölkerung
ist nicht höher als auf 200,000, von manchen sogar nur auf
60,000 Köpfe geschätzt worden, für welche die Jagdgründe mehr
als ausreichten.

Doch ist das Ausgraben von Wurzeln so mühsam und die
Wurzelkost so wenig nahrhaft, dass es immerhin befremden müsste,
warum die Australier, nachdem ihnen doch die Natur deutlich
durch das gesellige Wachsthum der oben aufgezählten Brodfrüchte
den Weg und die Vortheile des Ackerbaues zeigte, nie auf den
Gedanken kamen, den Boden mit Saaten zu bestellen. Aber nur
weil uns die Gewohnheit gegen das Ausserordentliche abgestumpft
hat, übersehen wir meistens, welche ungewöhnliche Begabung
dazu erforderlich gewesen sei, dass ein Mensch die ersten Samen-
körner ahnungsvoll ausstreute. Den alten Hellenen, welche den
ersten Regungen menschlicher Gesittung näher standen als wir,
und die sich die grossen Anfänge noch nicht von einem Schwarm
kleiner Neuigkeiten in den Hintergrund der gemeinen Dinge
drängen liessen, erschien ein planvolles Erdenken des Ackerbaues
für menschliche Verstandeskräfte zu unerfasslich und sie schrieben
es daher einer Gottheit zu, gerade so wie die Aegypter auf ihren

1) Ferdinand Müller. Ausland. 1859. S. 1018.
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[356/0374] Die Australier. kommen essbarer Wurzeln, die nicht wie die Cerealien einer müh- samen Aufbewahrung bedürfen, den Fortschritt der australischen Menschen zum Ackerbau. So erzeugt die Carpentariahalbinsel echte Yam (Dioscorea Carpentariae), der Süden aber die Wurzeln des Sorrel, einer Oxalis-, und des Grasbaumes, einer Xanthorrhoea- Art, die von den Frauen mit spitzigen Hölzern ausgegraben wurden und immer eine letzte Zuflucht gegen Misserfolge der Jagd blieben. Am Swan River der Westküste ist übrigens die örtliche Dichtigkeit der Känguruh so gross, dass die Eingebornen, als man ihnen 9 Pence (7½ Silbergr.) für das Stück versprach, so viel einlieferten, dass die Ansiedler damit ihr Borstenvieh fütterten 1). Ebenso versicherte der unlängst verstorbene James Morill, der 17 Jahre lang unter Küstenstämmen Queenslands, in der Nähe von Cap Bowling Green (19° 17′ s. Br.) lebte, dass es ihnen an Nahrung nicht gefehlt hätte. Daher liesse sich mit Glück der Satz vertheidigen, dass die australische Gesellschaft für den Ueber- gang zum Ackerbau noch nicht reif gewesen sei, d. h. noch nicht die erforderliche Dichtigkeit besessen hätte, denn die Bevölkerung ist nicht höher als auf 200,000, von manchen sogar nur auf 60,000 Köpfe geschätzt worden, für welche die Jagdgründe mehr als ausreichten. Doch ist das Ausgraben von Wurzeln so mühsam und die Wurzelkost so wenig nahrhaft, dass es immerhin befremden müsste, warum die Australier, nachdem ihnen doch die Natur deutlich durch das gesellige Wachsthum der oben aufgezählten Brodfrüchte den Weg und die Vortheile des Ackerbaues zeigte, nie auf den Gedanken kamen, den Boden mit Saaten zu bestellen. Aber nur weil uns die Gewohnheit gegen das Ausserordentliche abgestumpft hat, übersehen wir meistens, welche ungewöhnliche Begabung dazu erforderlich gewesen sei, dass ein Mensch die ersten Samen- körner ahnungsvoll ausstreute. Den alten Hellenen, welche den ersten Regungen menschlicher Gesittung näher standen als wir, und die sich die grossen Anfänge noch nicht von einem Schwarm kleiner Neuigkeiten in den Hintergrund der gemeinen Dinge drängen liessen, erschien ein planvolles Erdenken des Ackerbaues für menschliche Verstandeskräfte zu unerfasslich und sie schrieben es daher einer Gottheit zu, gerade so wie die Aegypter auf ihren 1) Ferdinand Müller. Ausland. 1859. S. 1018.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/374>, abgerufen am 19.04.2024.