Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Australier.
träglich gewesen, wenn nicht Australien zugleich seinen ehemaligen
trockenen Zusammenhang mit dem grossen Länderbau der alten
Welt eingebüsst hätte. Die Trennung oder das Selbständigwerden
Australiens erfolgte aber in einem unreifen Zeitpunkte, nämlich
schon damals, als die Entwickelung der Fauna erst bis zu den
Beutel- und Nagethieren, noch nicht aber bis zu den Hufthieren
fortgeschritten war. Während in der alten Welt und in Amerika
durch den fortdauernden Kampf um das Dasein immer höhere
Geschöpfe hervorgerufen wurden, denen die alterthümlichen Mar-
supialgestalten beinahe gänzlich weichen mussten, bewegte sich in
Australien der Kampf in einem viel engeren Kreise, und daher
blieb seine Thierschöpfung mit geringen Aenderungen auf der
Stufe stehen, die sie erreicht hatte, als die Abtrennung als Insel
erfolgte. Das älteste Festland der Erde ernährt auch die ältesten
Säugethierformen. Vor allem vermissen wir die reissenden Thiere,
denn der Dingo oder australische Hund wanderte wahrscheinlich
erst mit den Menschen ein, wenn er auch jetzt verwildert in Jagd-
genossenschaften angetroffen wird. Sollte er aber auch, wie man
aus den Funden von Dingoresten in alten Knochenhöhlen1)
schliessen möchte, schon vor den Menschen Australien betreten ha-
ben, so ist dies doch wohl immer nur in einer, geologisch gesprochen,
kurzen Vergangenheit geschehen. Da die Raubthiere als grosse
Gegner günstig auf die Erziehung des Menschen einwirken, so
gehört ihr Mangel unter die Nachtheile des Wohnortes. Noch
bedauerlicher aber erscheint die Abwesenheit aller Hufthiere, wo-
durch von vornherein für die Menschen die Möglichkeit ausge-
schlossen war, sich zu den höchsten Gesittungen zu erheben, denn
mit Ausnahme des Hundes hätte sich wohl kein australisches
Säugethier zähmen lassen, da ein gewisses Mass von Intelligenz
nöthig scheint, wenn die Thiere als Ernährer oder Gehilfen von
dem Menschen in seine Gesellschaft aufgenommen werden sollen,
die Beutelthiere aber wegen ihrer Geistesarmuth dieses Mass nicht
besitzen. Wie wir alle wissen, ist Australien zur Zucht von
Schafen, Rindern, Pferden, Kamelen wie auserlesen, aber alle
diese wichtigen Culturgeschöpfe konnten das Festland nicht mehr
erreichen, seitdem es keine Brücke mit der alten Welt mehr ver-
knüpfte. So kann man denn füglich von Australien behaupten,

1) Pagenstecher, in Petermann's Mittheilungen. 1866. S. 133.

Die Australier.
träglich gewesen, wenn nicht Australien zugleich seinen ehemaligen
trockenen Zusammenhang mit dem grossen Länderbau der alten
Welt eingebüsst hätte. Die Trennung oder das Selbständigwerden
Australiens erfolgte aber in einem unreifen Zeitpunkte, nämlich
schon damals, als die Entwickelung der Fauna erst bis zu den
Beutel- und Nagethieren, noch nicht aber bis zu den Hufthieren
fortgeschritten war. Während in der alten Welt und in Amerika
durch den fortdauernden Kampf um das Dasein immer höhere
Geschöpfe hervorgerufen wurden, denen die alterthümlichen Mar-
supialgestalten beinahe gänzlich weichen mussten, bewegte sich in
Australien der Kampf in einem viel engeren Kreise, und daher
blieb seine Thierschöpfung mit geringen Aenderungen auf der
Stufe stehen, die sie erreicht hatte, als die Abtrennung als Insel
erfolgte. Das älteste Festland der Erde ernährt auch die ältesten
Säugethierformen. Vor allem vermissen wir die reissenden Thiere,
denn der Dingo oder australische Hund wanderte wahrscheinlich
erst mit den Menschen ein, wenn er auch jetzt verwildert in Jagd-
genossenschaften angetroffen wird. Sollte er aber auch, wie man
aus den Funden von Dingoresten in alten Knochenhöhlen1)
schliessen möchte, schon vor den Menschen Australien betreten ha-
ben, so ist dies doch wohl immer nur in einer, geologisch gesprochen,
kurzen Vergangenheit geschehen. Da die Raubthiere als grosse
Gegner günstig auf die Erziehung des Menschen einwirken, so
gehört ihr Mangel unter die Nachtheile des Wohnortes. Noch
bedauerlicher aber erscheint die Abwesenheit aller Hufthiere, wo-
durch von vornherein für die Menschen die Möglichkeit ausge-
schlossen war, sich zu den höchsten Gesittungen zu erheben, denn
mit Ausnahme des Hundes hätte sich wohl kein australisches
Säugethier zähmen lassen, da ein gewisses Mass von Intelligenz
nöthig scheint, wenn die Thiere als Ernährer oder Gehilfen von
dem Menschen in seine Gesellschaft aufgenommen werden sollen,
die Beutelthiere aber wegen ihrer Geistesarmuth dieses Mass nicht
besitzen. Wie wir alle wissen, ist Australien zur Zucht von
Schafen, Rindern, Pferden, Kamelen wie auserlesen, aber alle
diese wichtigen Culturgeschöpfe konnten das Festland nicht mehr
erreichen, seitdem es keine Brücke mit der alten Welt mehr ver-
knüpfte. So kann man denn füglich von Australien behaupten,

1) Pagenstecher, in Petermann’s Mittheilungen. 1866. S. 133.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0364" n="346"/><fw place="top" type="header">Die Australier.</fw><lb/>
träglich gewesen, wenn nicht Australien zugleich seinen ehemaligen<lb/>
trockenen Zusammenhang mit dem grossen Länderbau der alten<lb/>
Welt eingebüsst hätte. Die Trennung oder das Selbständigwerden<lb/>
Australiens erfolgte aber in einem unreifen Zeitpunkte, nämlich<lb/>
schon damals, als die Entwickelung der Fauna erst bis zu den<lb/>
Beutel- und Nagethieren, noch nicht aber bis zu den Hufthieren<lb/>
fortgeschritten war. Während in der alten Welt und in Amerika<lb/>
durch den fortdauernden Kampf um das Dasein immer höhere<lb/>
Geschöpfe hervorgerufen wurden, denen die alterthümlichen Mar-<lb/>
supialgestalten beinahe gänzlich weichen mussten, bewegte sich in<lb/>
Australien der Kampf in einem viel engeren Kreise, und daher<lb/>
blieb seine Thierschöpfung mit geringen Aenderungen auf der<lb/>
Stufe stehen, die sie erreicht hatte, als die Abtrennung als Insel<lb/>
erfolgte. Das älteste Festland der Erde ernährt auch die ältesten<lb/>
Säugethierformen. Vor allem vermissen wir die reissenden Thiere,<lb/>
denn der Dingo oder australische Hund wanderte wahrscheinlich<lb/>
erst mit den Menschen ein, wenn er auch jetzt verwildert in Jagd-<lb/>
genossenschaften angetroffen wird. Sollte er aber auch, wie man<lb/>
aus den Funden von Dingoresten in alten Knochenhöhlen<note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Pagenstecher</hi>, in Petermann&#x2019;s Mittheilungen. 1866. S. 133.</note><lb/>
schliessen möchte, schon vor den Menschen Australien betreten ha-<lb/>
ben, so ist dies doch wohl immer nur in einer, geologisch gesprochen,<lb/>
kurzen Vergangenheit geschehen. Da die Raubthiere als grosse<lb/>
Gegner günstig auf die Erziehung des Menschen einwirken, so<lb/>
gehört ihr Mangel unter die Nachtheile des Wohnortes. Noch<lb/>
bedauerlicher aber erscheint die Abwesenheit aller Hufthiere, wo-<lb/>
durch von vornherein für die Menschen die Möglichkeit ausge-<lb/>
schlossen war, sich zu den höchsten Gesittungen zu erheben, denn<lb/>
mit Ausnahme des Hundes hätte sich wohl kein australisches<lb/>
Säugethier zähmen lassen, da ein gewisses Mass von Intelligenz<lb/>
nöthig scheint, wenn die Thiere als Ernährer oder Gehilfen von<lb/>
dem Menschen in seine Gesellschaft aufgenommen werden sollen,<lb/>
die Beutelthiere aber wegen ihrer Geistesarmuth dieses Mass nicht<lb/>
besitzen. Wie wir alle wissen, ist Australien zur Zucht von<lb/>
Schafen, Rindern, Pferden, Kamelen wie auserlesen, aber alle<lb/>
diese wichtigen Culturgeschöpfe konnten das Festland nicht mehr<lb/>
erreichen, seitdem es keine Brücke mit der alten Welt mehr ver-<lb/>
knüpfte. So kann man denn füglich von Australien behaupten,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[346/0364] Die Australier. träglich gewesen, wenn nicht Australien zugleich seinen ehemaligen trockenen Zusammenhang mit dem grossen Länderbau der alten Welt eingebüsst hätte. Die Trennung oder das Selbständigwerden Australiens erfolgte aber in einem unreifen Zeitpunkte, nämlich schon damals, als die Entwickelung der Fauna erst bis zu den Beutel- und Nagethieren, noch nicht aber bis zu den Hufthieren fortgeschritten war. Während in der alten Welt und in Amerika durch den fortdauernden Kampf um das Dasein immer höhere Geschöpfe hervorgerufen wurden, denen die alterthümlichen Mar- supialgestalten beinahe gänzlich weichen mussten, bewegte sich in Australien der Kampf in einem viel engeren Kreise, und daher blieb seine Thierschöpfung mit geringen Aenderungen auf der Stufe stehen, die sie erreicht hatte, als die Abtrennung als Insel erfolgte. Das älteste Festland der Erde ernährt auch die ältesten Säugethierformen. Vor allem vermissen wir die reissenden Thiere, denn der Dingo oder australische Hund wanderte wahrscheinlich erst mit den Menschen ein, wenn er auch jetzt verwildert in Jagd- genossenschaften angetroffen wird. Sollte er aber auch, wie man aus den Funden von Dingoresten in alten Knochenhöhlen 1) schliessen möchte, schon vor den Menschen Australien betreten ha- ben, so ist dies doch wohl immer nur in einer, geologisch gesprochen, kurzen Vergangenheit geschehen. Da die Raubthiere als grosse Gegner günstig auf die Erziehung des Menschen einwirken, so gehört ihr Mangel unter die Nachtheile des Wohnortes. Noch bedauerlicher aber erscheint die Abwesenheit aller Hufthiere, wo- durch von vornherein für die Menschen die Möglichkeit ausge- schlossen war, sich zu den höchsten Gesittungen zu erheben, denn mit Ausnahme des Hundes hätte sich wohl kein australisches Säugethier zähmen lassen, da ein gewisses Mass von Intelligenz nöthig scheint, wenn die Thiere als Ernährer oder Gehilfen von dem Menschen in seine Gesellschaft aufgenommen werden sollen, die Beutelthiere aber wegen ihrer Geistesarmuth dieses Mass nicht besitzen. Wie wir alle wissen, ist Australien zur Zucht von Schafen, Rindern, Pferden, Kamelen wie auserlesen, aber alle diese wichtigen Culturgeschöpfe konnten das Festland nicht mehr erreichen, seitdem es keine Brücke mit der alten Welt mehr ver- knüpfte. So kann man denn füglich von Australien behaupten, 1) Pagenstecher, in Petermann’s Mittheilungen. 1866. S. 133.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/364
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/364>, abgerufen am 25.04.2024.