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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Australier.
historische Wichtigkeit beigemessen haben, da sie das einzige Organ
war, womit das australische Festland seine jetzt vielfach zerstückte
Verbindung mit der alten Welt einigermassen noch aufrecht zu
erhalten strebt. Hat es von dorther seine ersten menschlichen
Bewohner aufgenommen, so empfing es noch bis zur Gegenwart
auf jenem Weg etliche Schätze einer rohen Civilisation. Denn
die Papuanen Neu-Guinea's sind, unbeschadet ihrer Blutgier und
Menschenfresserei, im Vergleich zu den Australiern verfeinerte
Völkerschaften, deren geräumige Wohnungen neben den Laub-
hütten der Australier als stattliche Paläste erscheinen, und von
denen einige Ueberläufer die Stämme am Cap York bereits mit
dem Gebrauche von Bogen und Pfeil vertraut gemacht haben,
also mit Wurfmaschinen, welche die Sicherheit des Treffens be-
trächtlich steigern. Gleichzeitig hat durch sie ein wesentlicher
Aufschwung im Schiffbau stattgefunden, denn die alten Rinden-
kähne sind jetzt durch lange ausgehöhlte Piroguen mit Auslegern
nach papuanischem Muster verdrängt worden, endlich haben sich
bereits die ersten Anfänge von Feldbau, wenn sie sich auch vor-
läufig nur auf die Anpflanzung von Knollen- und Wurzelgewächsen
erstrecken, von Neu-Guinea auf die Inseln nördlich von Cap York
verbreitet1). Wären daher die Europäer um etwa 500 Jahre
später im indischen Ocean erschienen und den Australiern noch
länger ihre Inselruhe gegönnt gewesen, so würden sehr leicht durch
die Einwirkung der papuanischen Stämme die Bewohner des Fest-
landes auf eine Stufe gehoben worden sein, die sie etwa gleich-
stellen möchte den edlern Jägerstämmen Südamerika's.

Nach der Vermuthung eines unserer besten Kenner Australiens
würde ein Steigen des Meeresspiegels von wenigen Hunderten von
Fussen genügen, um jenes Festland in Gruppen zahlreicher Inseln
aufzulösen, denn die Bergländer, welche vorzugsweise am Rande
um den Kern herumlagern, sind durch Einsenkungen oder Arme
der Tiefländer vielfach getrennt2). Doch sollte damit nicht der
völlige Mangel von inneren Hochebenen behauptet werden3).

1) Jardine, Journal of the R. Geographical Society. London 1866.
vol. XLVI. p. 76--86.
2) Meinicke, Australien. Ergänzungshefte zu Petermann's Mit-
theilungen. No. 29. Gotha 1871. S. 21.
3) Vergl. die Beobachtungen von Forrest im Innern Westaustraliens.
Peterm. Mitth. 1870. S. 151.

Die Australier.
historische Wichtigkeit beigemessen haben, da sie das einzige Organ
war, womit das australische Festland seine jetzt vielfach zerstückte
Verbindung mit der alten Welt einigermassen noch aufrecht zu
erhalten strebt. Hat es von dorther seine ersten menschlichen
Bewohner aufgenommen, so empfing es noch bis zur Gegenwart
auf jenem Weg etliche Schätze einer rohen Civilisation. Denn
die Papuanen Neu-Guinea’s sind, unbeschadet ihrer Blutgier und
Menschenfresserei, im Vergleich zu den Australiern verfeinerte
Völkerschaften, deren geräumige Wohnungen neben den Laub-
hütten der Australier als stattliche Paläste erscheinen, und von
denen einige Ueberläufer die Stämme am Cap York bereits mit
dem Gebrauche von Bogen und Pfeil vertraut gemacht haben,
also mit Wurfmaschinen, welche die Sicherheit des Treffens be-
trächtlich steigern. Gleichzeitig hat durch sie ein wesentlicher
Aufschwung im Schiffbau stattgefunden, denn die alten Rinden-
kähne sind jetzt durch lange ausgehöhlte Piroguen mit Auslegern
nach papuanischem Muster verdrängt worden, endlich haben sich
bereits die ersten Anfänge von Feldbau, wenn sie sich auch vor-
läufig nur auf die Anpflanzung von Knollen- und Wurzelgewächsen
erstrecken, von Neu-Guinea auf die Inseln nördlich von Cap York
verbreitet1). Wären daher die Europäer um etwa 500 Jahre
später im indischen Ocean erschienen und den Australiern noch
länger ihre Inselruhe gegönnt gewesen, so würden sehr leicht durch
die Einwirkung der papuanischen Stämme die Bewohner des Fest-
landes auf eine Stufe gehoben worden sein, die sie etwa gleich-
stellen möchte den edlern Jägerstämmen Südamerika’s.

Nach der Vermuthung eines unserer besten Kenner Australiens
würde ein Steigen des Meeresspiegels von wenigen Hunderten von
Fussen genügen, um jenes Festland in Gruppen zahlreicher Inseln
aufzulösen, denn die Bergländer, welche vorzugsweise am Rande
um den Kern herumlagern, sind durch Einsenkungen oder Arme
der Tiefländer vielfach getrennt2). Doch sollte damit nicht der
völlige Mangel von inneren Hochebenen behauptet werden3).

1) Jardine, Journal of the R. Geographical Society. London 1866.
vol. XLVI. p. 76—86.
2) Meinicke, Australien. Ergänzungshefte zu Petermann’s Mit-
theilungen. No. 29. Gotha 1871. S. 21.
3) Vergl. die Beobachtungen von Forrest im Innern Westaustraliens.
Peterm. Mitth. 1870. S. 151.
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[343/0361] Die Australier. historische Wichtigkeit beigemessen haben, da sie das einzige Organ war, womit das australische Festland seine jetzt vielfach zerstückte Verbindung mit der alten Welt einigermassen noch aufrecht zu erhalten strebt. Hat es von dorther seine ersten menschlichen Bewohner aufgenommen, so empfing es noch bis zur Gegenwart auf jenem Weg etliche Schätze einer rohen Civilisation. Denn die Papuanen Neu-Guinea’s sind, unbeschadet ihrer Blutgier und Menschenfresserei, im Vergleich zu den Australiern verfeinerte Völkerschaften, deren geräumige Wohnungen neben den Laub- hütten der Australier als stattliche Paläste erscheinen, und von denen einige Ueberläufer die Stämme am Cap York bereits mit dem Gebrauche von Bogen und Pfeil vertraut gemacht haben, also mit Wurfmaschinen, welche die Sicherheit des Treffens be- trächtlich steigern. Gleichzeitig hat durch sie ein wesentlicher Aufschwung im Schiffbau stattgefunden, denn die alten Rinden- kähne sind jetzt durch lange ausgehöhlte Piroguen mit Auslegern nach papuanischem Muster verdrängt worden, endlich haben sich bereits die ersten Anfänge von Feldbau, wenn sie sich auch vor- läufig nur auf die Anpflanzung von Knollen- und Wurzelgewächsen erstrecken, von Neu-Guinea auf die Inseln nördlich von Cap York verbreitet 1). Wären daher die Europäer um etwa 500 Jahre später im indischen Ocean erschienen und den Australiern noch länger ihre Inselruhe gegönnt gewesen, so würden sehr leicht durch die Einwirkung der papuanischen Stämme die Bewohner des Fest- landes auf eine Stufe gehoben worden sein, die sie etwa gleich- stellen möchte den edlern Jägerstämmen Südamerika’s. Nach der Vermuthung eines unserer besten Kenner Australiens würde ein Steigen des Meeresspiegels von wenigen Hunderten von Fussen genügen, um jenes Festland in Gruppen zahlreicher Inseln aufzulösen, denn die Bergländer, welche vorzugsweise am Rande um den Kern herumlagern, sind durch Einsenkungen oder Arme der Tiefländer vielfach getrennt 2). Doch sollte damit nicht der völlige Mangel von inneren Hochebenen behauptet werden 3). 1) Jardine, Journal of the R. Geographical Society. London 1866. vol. XLVI. p. 76—86. 2) Meinicke, Australien. Ergänzungshefte zu Petermann’s Mit- theilungen. No. 29. Gotha 1871. S. 21. 3) Vergl. die Beobachtungen von Forrest im Innern Westaustraliens. Peterm. Mitth. 1870. S. 151.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/361>, abgerufen am 23.04.2024.