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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Arteneinheit des Menschengeschlechtes.
gestaltete Menschen in Amerika und Afrika pflegen sich durch
Scheiben und Pflöcke in Lippen und Wangen zu entstellen, und
beweisen uns dadurch, dass ihr Geschmack noch unausgebildet ge-
blieben ist, so dass ihre sonstigen Körperreize gewiss nicht einer
glücklichen Wahl zu verdanken sind. Endlich finden wir Schön-
heiten auch bei Thieren, die sich selbst befruchten, und sogar im
stillen Reiche der Gewächse. Der Anblick einer Eiche im Sturm,
der elegische Ausdruck im Bau einer Deodara-Ceder, die Farben-
muster mancher Blumenkronen, die anmuthigen Linien kletternder
Reben, der Bau eines Rosenkelches vermögen uns künstlerische
Befriedigungen zu gewähren und dennoch ist jeder Gedanke an
eine geschlechtliche Auswahl bei diesen Gegenständen streng aus-
geschlossen.

Noch weniger lässt sich mit einer zweckmässigen Zuchtwahl
die Vererbung schädlicher Merkmale vereinigen. Zwar beruft sich
Darwin auf die Wechselbeziehungen aller Bestandtheile eines thie-
rischen Leibes, in Folge deren Aenderungen an der einen Stelle
von Aenderungen in abgelegnen Körperräumen begleitet werden,
aber da wir die Nothwendigkeit dieses Zusammentreffens nicht
nachweisen, nicht einmal ahnen können, so bleibt auch diese Aus-
rede unbegründet. Nach der Darwinschen Lehre dürfen wir for-
dern, dass der Vorgänger des modernen Menschen ein behaartes
Geschöpf und gegen Wärmewechsel durch einen Pelz geschützt
gewesen sei. Der Verlust des letzteren konnte in dem Kampfe
um das Dasein aber nur nachtheilig wirken 1). Das Gleiche gilt
bei Vögeln von der grellen Befiederung, welche die Nachstellungen
der Feinde begünstigt, von den kahnartigen Auswüchsen ihrer
Schnäbel, sowie den schleppenden Schweifen, welche den Flug und

fläche der Flügel von Nachtschmetterlingen glänzend gefärbt oder mit präch-
tigen Augenflecken geziert ist. Im Sitzen bleiben diese Schönheiten stets
verborgen.
1) Überzeugte Schüler Darwins erinnern daran, dass Körner fressende
Thiere, wie Pferde, wenn sie zur Fleischnahrung übergehen, die Haare ver-
lieren. Seligmann, Fortschritte der Racenlehre. Geogr. Jahrbuch. Gotha
1872. Band 4. S. 288. Die Gespenstaffen (Tarsius) sind indessen Raub-
thiere. Carl Semper war selbst Zeuge, wie ein solches Geschöpf eine Maus
durch seinen Biss tödtete und verzehrte. (Allgem. Ztg. 1873. S. 239.) Den-
noch gewahren wir nicht, dass sie sich durch diese Nahrungsmittel Kahlheit
zugezogen hätten.

Arteneinheit des Menschengeschlechtes.
gestaltete Menschen in Amerika und Afrika pflegen sich durch
Scheiben und Pflöcke in Lippen und Wangen zu entstellen, und
beweisen uns dadurch, dass ihr Geschmack noch unausgebildet ge-
blieben ist, so dass ihre sonstigen Körperreize gewiss nicht einer
glücklichen Wahl zu verdanken sind. Endlich finden wir Schön-
heiten auch bei Thieren, die sich selbst befruchten, und sogar im
stillen Reiche der Gewächse. Der Anblick einer Eiche im Sturm,
der elegische Ausdruck im Bau einer Deodara-Ceder, die Farben-
muster mancher Blumenkronen, die anmuthigen Linien kletternder
Reben, der Bau eines Rosenkelches vermögen uns künstlerische
Befriedigungen zu gewähren und dennoch ist jeder Gedanke an
eine geschlechtliche Auswahl bei diesen Gegenständen streng aus-
geschlossen.

Noch weniger lässt sich mit einer zweckmässigen Zuchtwahl
die Vererbung schädlicher Merkmale vereinigen. Zwar beruft sich
Darwin auf die Wechselbeziehungen aller Bestandtheile eines thie-
rischen Leibes, in Folge deren Aenderungen an der einen Stelle
von Aenderungen in abgelegnen Körperräumen begleitet werden,
aber da wir die Nothwendigkeit dieses Zusammentreffens nicht
nachweisen, nicht einmal ahnen können, so bleibt auch diese Aus-
rede unbegründet. Nach der Darwinschen Lehre dürfen wir for-
dern, dass der Vorgänger des modernen Menschen ein behaartes
Geschöpf und gegen Wärmewechsel durch einen Pelz geschützt
gewesen sei. Der Verlust des letzteren konnte in dem Kampfe
um das Dasein aber nur nachtheilig wirken 1). Das Gleiche gilt
bei Vögeln von der grellen Befiederung, welche die Nachstellungen
der Feinde begünstigt, von den kahnartigen Auswüchsen ihrer
Schnäbel, sowie den schleppenden Schweifen, welche den Flug und

fläche der Flügel von Nachtschmetterlingen glänzend gefärbt oder mit präch-
tigen Augenflecken geziert ist. Im Sitzen bleiben diese Schönheiten stets
verborgen.
1) Überzeugte Schüler Darwins erinnern daran, dass Körner fressende
Thiere, wie Pferde, wenn sie zur Fleischnahrung übergehen, die Haare ver-
lieren. Seligmann, Fortschritte der Racenlehre. Geogr. Jahrbuch. Gotha
1872. Band 4. S. 288. Die Gespenstaffen (Tarsius) sind indessen Raub-
thiere. Carl Semper war selbst Zeuge, wie ein solches Geschöpf eine Maus
durch seinen Biss tödtete und verzehrte. (Allgem. Ztg. 1873. S. 239.) Den-
noch gewahren wir nicht, dass sie sich durch diese Nahrungsmittel Kahlheit
zugezogen hätten.
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[18/0036] Arteneinheit des Menschengeschlechtes. gestaltete Menschen in Amerika und Afrika pflegen sich durch Scheiben und Pflöcke in Lippen und Wangen zu entstellen, und beweisen uns dadurch, dass ihr Geschmack noch unausgebildet ge- blieben ist, so dass ihre sonstigen Körperreize gewiss nicht einer glücklichen Wahl zu verdanken sind. Endlich finden wir Schön- heiten auch bei Thieren, die sich selbst befruchten, und sogar im stillen Reiche der Gewächse. Der Anblick einer Eiche im Sturm, der elegische Ausdruck im Bau einer Deodara-Ceder, die Farben- muster mancher Blumenkronen, die anmuthigen Linien kletternder Reben, der Bau eines Rosenkelches vermögen uns künstlerische Befriedigungen zu gewähren und dennoch ist jeder Gedanke an eine geschlechtliche Auswahl bei diesen Gegenständen streng aus- geschlossen. Noch weniger lässt sich mit einer zweckmässigen Zuchtwahl die Vererbung schädlicher Merkmale vereinigen. Zwar beruft sich Darwin auf die Wechselbeziehungen aller Bestandtheile eines thie- rischen Leibes, in Folge deren Aenderungen an der einen Stelle von Aenderungen in abgelegnen Körperräumen begleitet werden, aber da wir die Nothwendigkeit dieses Zusammentreffens nicht nachweisen, nicht einmal ahnen können, so bleibt auch diese Aus- rede unbegründet. Nach der Darwinschen Lehre dürfen wir for- dern, dass der Vorgänger des modernen Menschen ein behaartes Geschöpf und gegen Wärmewechsel durch einen Pelz geschützt gewesen sei. Der Verlust des letzteren konnte in dem Kampfe um das Dasein aber nur nachtheilig wirken 1). Das Gleiche gilt bei Vögeln von der grellen Befiederung, welche die Nachstellungen der Feinde begünstigt, von den kahnartigen Auswüchsen ihrer Schnäbel, sowie den schleppenden Schweifen, welche den Flug und 2) 1) Überzeugte Schüler Darwins erinnern daran, dass Körner fressende Thiere, wie Pferde, wenn sie zur Fleischnahrung übergehen, die Haare ver- lieren. Seligmann, Fortschritte der Racenlehre. Geogr. Jahrbuch. Gotha 1872. Band 4. S. 288. Die Gespenstaffen (Tarsius) sind indessen Raub- thiere. Carl Semper war selbst Zeuge, wie ein solches Geschöpf eine Maus durch seinen Biss tödtete und verzehrte. (Allgem. Ztg. 1873. S. 239.) Den- noch gewahren wir nicht, dass sie sich durch diese Nahrungsmittel Kahlheit zugezogen hätten. 2) fläche der Flügel von Nachtschmetterlingen glänzend gefärbt oder mit präch- tigen Augenflecken geziert ist. Im Sitzen bleiben diese Schönheiten stets verborgen.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/36>, abgerufen am 25.04.2024.