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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Zone der Religionsstifter.
Geburtsortes im Kreise Yentschau der Provinz Schantung, sondern
weil wir die andern Religionsstifter herabsetzen würden, wollten
wir den chinesischen Sittenlehrer ihnen beizählen.

Dass die Zone der Religionsstiftung sich fern hält von den
gemässigten Erdgürteln, könnte darin eine Erklärung finden, dass
nur wo reifere geistige Zustände bereits bestanden, die Bevölke-
rungen empfänglich dafür waren, dem menschlichen Dasein durch
Unterlegung idealer Zwecke eine höhere Würde zu verleihen, und
dass gerade in den subtropischen Klimaten die ältesten höheren
Gesellschaftsgliederungen entstanden. Doch selbst nachdem die
fortschreitende Gesittung schon entschieden von den Wendekreisen
sich entfernt hatte, blieb immer noch das subtropische Asien der
fruchtbare Schooss der Religionen. Nicht in dem überfeinerten
europäischen Reiche der Römer, sondern in Palästina trat das
Christenthum, nicht in Byzanz, sondern in Arabien trat sechs Jahr-
hunderte später der Islam auf. In der kühlen gemässigten Zone
hat von jeher der Mensch sauer kämpfen müssen um sein Dasein,
weit mehr arbeitend als betend, so dass ihn die Last der Tages-
geschäfte beständig wieder abzog von einer strengen innerlichen
Sammlung. In den warmen Ländern dagegen, wo die Natur
leicht hinweghilft über den Erwerb der Nothdurft und die heissen
Tagesstunden ohnehin körperliche Anstrengungen verhindern, sind
die Gelegenheiten zu innern Vertiefungen viel reichlicher gegeben.

Der Wohnsitz ist jedoch nicht gänzlich entscheidungslos für
die Richtung, welche das religiöse Denken einschlägt. Die drei
monotheistischen Lehren, Judenthum, Christenthum und Islam,
entstanden im Schoosse semitischer Völker, allein der Hang zum
Monotheismus war nicht ausschliesslich eine Racenbegabung, denn
andere Semiten, wie die Phönicier, Chaldäer und Assyrier, gingen
andere Wege, und selbst bei den Juden traten immer Rückschläge
zur Vielgötterei ein, in Aegypten zumal versanken sie völlig in den
Bilderdienst. Wenn der Monotheismus stets aufs neue sich ver-
jüngte, so leistete ihm dabei ein benachbarter Naturschauplatz
mächtigen Beistand.

Wer immer die Wüste betreten hat, rühmt ihren wohlthätigen
Einfluss auf das körperliche Befinden. Aloys Sprenger gesteht,
dass ihre Luft ihn mehr gestärkt habe, als die unserer Hochalpen
oder die des Himalaya, und in einem Briefe an den Verfasser heisst
es: "Die Wüste hat den Arabern ihren merkwürdigen welthistorischen

Die Zone der Religionsstifter.
Geburtsortes im Kreise Yentschau der Provinz Schantung, sondern
weil wir die andern Religionsstifter herabsetzen würden, wollten
wir den chinesischen Sittenlehrer ihnen beizählen.

Dass die Zone der Religionsstiftung sich fern hält von den
gemässigten Erdgürteln, könnte darin eine Erklärung finden, dass
nur wo reifere geistige Zustände bereits bestanden, die Bevölke-
rungen empfänglich dafür waren, dem menschlichen Dasein durch
Unterlegung idealer Zwecke eine höhere Würde zu verleihen, und
dass gerade in den subtropischen Klimaten die ältesten höheren
Gesellschaftsgliederungen entstanden. Doch selbst nachdem die
fortschreitende Gesittung schon entschieden von den Wendekreisen
sich entfernt hatte, blieb immer noch das subtropische Asien der
fruchtbare Schooss der Religionen. Nicht in dem überfeinerten
europäischen Reiche der Römer, sondern in Palästina trat das
Christenthum, nicht in Byzanz, sondern in Arabien trat sechs Jahr-
hunderte später der Islâm auf. In der kühlen gemässigten Zone
hat von jeher der Mensch sauer kämpfen müssen um sein Dasein,
weit mehr arbeitend als betend, so dass ihn die Last der Tages-
geschäfte beständig wieder abzog von einer strengen innerlichen
Sammlung. In den warmen Ländern dagegen, wo die Natur
leicht hinweghilft über den Erwerb der Nothdurft und die heissen
Tagesstunden ohnehin körperliche Anstrengungen verhindern, sind
die Gelegenheiten zu innern Vertiefungen viel reichlicher gegeben.

Der Wohnsitz ist jedoch nicht gänzlich entscheidungslos für
die Richtung, welche das religiöse Denken einschlägt. Die drei
monotheistischen Lehren, Judenthum, Christenthum und Islâm,
entstanden im Schoosse semitischer Völker, allein der Hang zum
Monotheismus war nicht ausschliesslich eine Racenbegabung, denn
andere Semiten, wie die Phönicier, Chaldäer und Assyrier, gingen
andere Wege, und selbst bei den Juden traten immer Rückschläge
zur Vielgötterei ein, in Aegypten zumal versanken sie völlig in den
Bilderdienst. Wenn der Monotheismus stets aufs neue sich ver-
jüngte, so leistete ihm dabei ein benachbarter Naturschauplatz
mächtigen Beistand.

Wer immer die Wüste betreten hat, rühmt ihren wohlthätigen
Einfluss auf das körperliche Befinden. Aloys Sprenger gesteht,
dass ihre Luft ihn mehr gestärkt habe, als die unserer Hochalpen
oder die des Himalaya, und in einem Briefe an den Verfasser heisst
es: „Die Wüste hat den Arabern ihren merkwürdigen welthistorischen

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[333/0351] Die Zone der Religionsstifter. Geburtsortes im Kreise Yentschau der Provinz Schantung, sondern weil wir die andern Religionsstifter herabsetzen würden, wollten wir den chinesischen Sittenlehrer ihnen beizählen. Dass die Zone der Religionsstiftung sich fern hält von den gemässigten Erdgürteln, könnte darin eine Erklärung finden, dass nur wo reifere geistige Zustände bereits bestanden, die Bevölke- rungen empfänglich dafür waren, dem menschlichen Dasein durch Unterlegung idealer Zwecke eine höhere Würde zu verleihen, und dass gerade in den subtropischen Klimaten die ältesten höheren Gesellschaftsgliederungen entstanden. Doch selbst nachdem die fortschreitende Gesittung schon entschieden von den Wendekreisen sich entfernt hatte, blieb immer noch das subtropische Asien der fruchtbare Schooss der Religionen. Nicht in dem überfeinerten europäischen Reiche der Römer, sondern in Palästina trat das Christenthum, nicht in Byzanz, sondern in Arabien trat sechs Jahr- hunderte später der Islâm auf. In der kühlen gemässigten Zone hat von jeher der Mensch sauer kämpfen müssen um sein Dasein, weit mehr arbeitend als betend, so dass ihn die Last der Tages- geschäfte beständig wieder abzog von einer strengen innerlichen Sammlung. In den warmen Ländern dagegen, wo die Natur leicht hinweghilft über den Erwerb der Nothdurft und die heissen Tagesstunden ohnehin körperliche Anstrengungen verhindern, sind die Gelegenheiten zu innern Vertiefungen viel reichlicher gegeben. Der Wohnsitz ist jedoch nicht gänzlich entscheidungslos für die Richtung, welche das religiöse Denken einschlägt. Die drei monotheistischen Lehren, Judenthum, Christenthum und Islâm, entstanden im Schoosse semitischer Völker, allein der Hang zum Monotheismus war nicht ausschliesslich eine Racenbegabung, denn andere Semiten, wie die Phönicier, Chaldäer und Assyrier, gingen andere Wege, und selbst bei den Juden traten immer Rückschläge zur Vielgötterei ein, in Aegypten zumal versanken sie völlig in den Bilderdienst. Wenn der Monotheismus stets aufs neue sich ver- jüngte, so leistete ihm dabei ein benachbarter Naturschauplatz mächtigen Beistand. Wer immer die Wüste betreten hat, rühmt ihren wohlthätigen Einfluss auf das körperliche Befinden. Aloys Sprenger gesteht, dass ihre Luft ihn mehr gestärkt habe, als die unserer Hochalpen oder die des Himalaya, und in einem Briefe an den Verfasser heisst es: „Die Wüste hat den Arabern ihren merkwürdigen welthistorischen

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/351>, abgerufen am 28.03.2024.