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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Zone der Religionsstifter.
in die Irre, wenn er behauptet, dass die alten Aegypter dactylo-
phag gewesen seien. Dass sie die Dattelpalme kannten und an-
bauten, sind wir weit entfernt zu bestreiten, denn eine erste
Musterung ihrer Denkmäler, die uns wie Bilderbücher den Lauf
ihres täglichen Lebens vorführen, müsste uns schon beschämen.
Wir läugnen aber, dass die Dattel ein beständiges oder nur ein
wichtiges, wir behaupten vielmehr, dass sie nur ein aushelfendes
oder ergänzendes Nahrungsmittel des pharaonischen Volkes ge-
wesen sei1). Oder dachte Buckle etwa, dass der biblische Joseph
während der sieben fetten Jahre in den Speichern des Königs
Datteln aufgehäuft hätte? Meint er vielleicht, dass Jakob seine
Söhne zur Zeit der sieben magern Jahre nach Aegypten gesendet
hätte, um Datteln zu kaufen? Als in Mose's Tagen göttliche
Plagen über Aegypten verhängt wurden, zerstörte ein Hagelschlag
nicht die Dattelhaine, sondern die Gerste und den Leinen gänz-
lich, verschonte aber die andern Saaten, weil sie noch nicht hoch
standen. Nur in den Datteloasen Arabiens, aber noch weit mehr
in denen Nordafrika's, im Fezzan und im Süden Algeriens, also
am Rande und im Schoosse der Sahara, ist die Dattel die täg-
liche Nahrung, und gerade dort zieht sie unabhängige und streit-
bare Wüstenstämme gross, die nicht die entfernteste geistige
Verwandtschaft und eine völlig veränderte Sinnesart wie die reis-
essenden Hindu zeigen.

Wir vermögen sogar auf einem Umwege zu ermitteln, dass
die religiösen Schöpfungen in keiner Abhängigkeit stehen von der
Ernährungsweise der Bevölkerung. Dieselben Indier nämlich,
welche durch ihre ungezügelte Phantasie die Schaudergottheiten in
der epischen Zeit erschufen, waren auch die grössten Märchen-
dichter, die es jemals gegeben hat. Es ist längst ergründet worden,
dass der Schatz von Erzählungen der unter dem Namen Tausend
und eine Nacht durch die Araber ins Abendland gekommen ist,
in Indien ersonnen worden sei, und dass es ausser dieser Samm-
lung ganze Reihen von Erzählungen gibt, die bald aus dem Munde
eines Todtengerippes, bald aus dem eines klugen Papageien, bald

1) Erst die arabischen Eroberer haben sich anerkannte Verdienste um die
Hebung und Ausbreitung der Dattelcultur in Aegypten erworben. H. Ste-
phan
, das heutige Aegypten. Leipzig 1872. S. 82.

Die Zone der Religionsstifter.
in die Irre, wenn er behauptet, dass die alten Aegypter dactylo-
phag gewesen seien. Dass sie die Dattelpalme kannten und an-
bauten, sind wir weit entfernt zu bestreiten, denn eine erste
Musterung ihrer Denkmäler, die uns wie Bilderbücher den Lauf
ihres täglichen Lebens vorführen, müsste uns schon beschämen.
Wir läugnen aber, dass die Dattel ein beständiges oder nur ein
wichtiges, wir behaupten vielmehr, dass sie nur ein aushelfendes
oder ergänzendes Nahrungsmittel des pharaonischen Volkes ge-
wesen sei1). Oder dachte Buckle etwa, dass der biblische Joseph
während der sieben fetten Jahre in den Speichern des Königs
Datteln aufgehäuft hätte? Meint er vielleicht, dass Jakob seine
Söhne zur Zeit der sieben magern Jahre nach Aegypten gesendet
hätte, um Datteln zu kaufen? Als in Mose’s Tagen göttliche
Plagen über Aegypten verhängt wurden, zerstörte ein Hagelschlag
nicht die Dattelhaine, sondern die Gerste und den Leinen gänz-
lich, verschonte aber die andern Saaten, weil sie noch nicht hoch
standen. Nur in den Datteloasen Arabiens, aber noch weit mehr
in denen Nordafrika’s, im Fezzan und im Süden Algeriens, also
am Rande und im Schoosse der Sahara, ist die Dattel die täg-
liche Nahrung, und gerade dort zieht sie unabhängige und streit-
bare Wüstenstämme gross, die nicht die entfernteste geistige
Verwandtschaft und eine völlig veränderte Sinnesart wie die reis-
essenden Hindu zeigen.

Wir vermögen sogar auf einem Umwege zu ermitteln, dass
die religiösen Schöpfungen in keiner Abhängigkeit stehen von der
Ernährungsweise der Bevölkerung. Dieselben Indier nämlich,
welche durch ihre ungezügelte Phantasie die Schaudergottheiten in
der epischen Zeit erschufen, waren auch die grössten Märchen-
dichter, die es jemals gegeben hat. Es ist längst ergründet worden,
dass der Schatz von Erzählungen der unter dem Namen Tausend
und eine Nacht durch die Araber ins Abendland gekommen ist,
in Indien ersonnen worden sei, und dass es ausser dieser Samm-
lung ganze Reihen von Erzählungen gibt, die bald aus dem Munde
eines Todtengerippes, bald aus dem eines klugen Papageien, bald

1) Erst die arabischen Eroberer haben sich anerkannte Verdienste um die
Hebung und Ausbreitung der Dattelcultur in Aegypten erworben. H. Ste-
phan
, das heutige Aegypten. Leipzig 1872. S. 82.
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[330/0348] Die Zone der Religionsstifter. in die Irre, wenn er behauptet, dass die alten Aegypter dactylo- phag gewesen seien. Dass sie die Dattelpalme kannten und an- bauten, sind wir weit entfernt zu bestreiten, denn eine erste Musterung ihrer Denkmäler, die uns wie Bilderbücher den Lauf ihres täglichen Lebens vorführen, müsste uns schon beschämen. Wir läugnen aber, dass die Dattel ein beständiges oder nur ein wichtiges, wir behaupten vielmehr, dass sie nur ein aushelfendes oder ergänzendes Nahrungsmittel des pharaonischen Volkes ge- wesen sei 1). Oder dachte Buckle etwa, dass der biblische Joseph während der sieben fetten Jahre in den Speichern des Königs Datteln aufgehäuft hätte? Meint er vielleicht, dass Jakob seine Söhne zur Zeit der sieben magern Jahre nach Aegypten gesendet hätte, um Datteln zu kaufen? Als in Mose’s Tagen göttliche Plagen über Aegypten verhängt wurden, zerstörte ein Hagelschlag nicht die Dattelhaine, sondern die Gerste und den Leinen gänz- lich, verschonte aber die andern Saaten, weil sie noch nicht hoch standen. Nur in den Datteloasen Arabiens, aber noch weit mehr in denen Nordafrika’s, im Fezzan und im Süden Algeriens, also am Rande und im Schoosse der Sahara, ist die Dattel die täg- liche Nahrung, und gerade dort zieht sie unabhängige und streit- bare Wüstenstämme gross, die nicht die entfernteste geistige Verwandtschaft und eine völlig veränderte Sinnesart wie die reis- essenden Hindu zeigen. Wir vermögen sogar auf einem Umwege zu ermitteln, dass die religiösen Schöpfungen in keiner Abhängigkeit stehen von der Ernährungsweise der Bevölkerung. Dieselben Indier nämlich, welche durch ihre ungezügelte Phantasie die Schaudergottheiten in der epischen Zeit erschufen, waren auch die grössten Märchen- dichter, die es jemals gegeben hat. Es ist längst ergründet worden, dass der Schatz von Erzählungen der unter dem Namen Tausend und eine Nacht durch die Araber ins Abendland gekommen ist, in Indien ersonnen worden sei, und dass es ausser dieser Samm- lung ganze Reihen von Erzählungen gibt, die bald aus dem Munde eines Todtengerippes, bald aus dem eines klugen Papageien, bald 1) Erst die arabischen Eroberer haben sich anerkannte Verdienste um die Hebung und Ausbreitung der Dattelcultur in Aegypten erworben. H. Ste- phan, das heutige Aegypten. Leipzig 1872. S. 82.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/348>, abgerufen am 19.04.2024.