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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Der Islam.
schrift seiner dichterischen Sprache zu statten und er versäumte
keine Gelegenheit an die bereits vollstreckten Strafgerichte bibli-
scher und altarabischer Legenden zu mahnen. Andrerseits ver-
hiess er in ermüdenden Wiederholungen den Gläubigen und den
Gerechten einen Wonneaufenthalt nach volksthümlichem Geschmack,
einen schattigen Garten mit sprudelndem Wasser, köstlichen
Früchten, schwellenden Ruhekissen und einem Frauengeschlecht,
das alle geforderten Reize vereinigte, um ewige Begierden ewig
zu stillen. Allerdings enthält der Qoran Stellen, welche jene be-
rauschenden Schilderungen nur auf Gleichnisse für menschliches
Verständniss herabsetzen1), andre bezeichnen das Anschauen der
Herrlichkeit Gottes als den Lohn des Frommen2), aber die un-
heimliche Anziehungskraft des Islam gründete sich auf das buch-
stäbliche Verständniss jener sinnlichen Verheissungen und die
späteren Ueberlieferungen haben nicht gesäumt, die gierigen Er-
wartungen der Gläubigen mit märchenhaften Schilderungen des
Paradieses zu sättigen3).

Der bedenklichste Inhalt des Qoran betrifft die Läugnung
der menschlichen Willensfreiheit. Das Schicksal eines jeden Men-
schen ist vorher bestimmt und aufgezeichnet, so dass der Lebens-
wandel sich zu dieser Schrift verhält wie das Schauspiel zu dem
Texte einer dramatischen Dichtung4). Die Verdammniss ist nach
einem unwiderruflichen Rathschluss Gottes über diejenigen ver-
hängt die sie treffen wird; denn, fährt der Qoran fort, hätte
Allah gewollt, so würden alle Menschen geglaubt haben, ohne
seinen Willen aber gelange keine Seele zum Glauben5). Die
Lehre von der Gnadenwahl wurde von den Rechtgläubigen
immer festgehalten und wenn auch die freieren Secten die Un-
vereinbarkeit der Schicksalsbestimmung und des Strafgerichtes
mit der göttlichen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit klar erkannten
und mildere Ansichten vertraten6), so blieb wie anderwärts die

1) Wahl, Qoran, Sure II, S. 7.
2) Sure LXXV. Wahl, Qoran. S. 649.
3) vgl. die Beschreibung des Paradieses bei M. Wolff, Muhammedanische
Eschatologie. Leipzig 1872. cap. 45--49. S. 185--207.
4) Sprenger, Mohammad. Bd. 2. S. 307.
5) Qoran, Sure X, übers. v. Wahl. S. 168--169. vgl. auch Sure LXXVI,
30 u. v. Kremer, Ideen des Islams. S. 9.
6) v. Kremer, Herrschende Ideen des Islams. S. 280.
Peschel, Völkerkunde. 21

Der Islâm.
schrift seiner dichterischen Sprache zu statten und er versäumte
keine Gelegenheit an die bereits vollstreckten Strafgerichte bibli-
scher und altarabischer Legenden zu mahnen. Andrerseits ver-
hiess er in ermüdenden Wiederholungen den Gläubigen und den
Gerechten einen Wonneaufenthalt nach volksthümlichem Geschmack,
einen schattigen Garten mit sprudelndem Wasser, köstlichen
Früchten, schwellenden Ruhekissen und einem Frauengeschlecht,
das alle geforderten Reize vereinigte, um ewige Begierden ewig
zu stillen. Allerdings enthält der Qorân Stellen, welche jene be-
rauschenden Schilderungen nur auf Gleichnisse für menschliches
Verständniss herabsetzen1), andre bezeichnen das Anschauen der
Herrlichkeit Gottes als den Lohn des Frommen2), aber die un-
heimliche Anziehungskraft des Islâm gründete sich auf das buch-
stäbliche Verständniss jener sinnlichen Verheissungen und die
späteren Ueberlieferungen haben nicht gesäumt, die gierigen Er-
wartungen der Gläubigen mit märchenhaften Schilderungen des
Paradieses zu sättigen3).

Der bedenklichste Inhalt des Qorân betrifft die Läugnung
der menschlichen Willensfreiheit. Das Schicksal eines jeden Men-
schen ist vorher bestimmt und aufgezeichnet, so dass der Lebens-
wandel sich zu dieser Schrift verhält wie das Schauspiel zu dem
Texte einer dramatischen Dichtung4). Die Verdammniss ist nach
einem unwiderruflichen Rathschluss Gottes über diejenigen ver-
hängt die sie treffen wird; denn, fährt der Qorân fort, hätte
Allah gewollt, so würden alle Menschen geglaubt haben, ohne
seinen Willen aber gelange keine Seele zum Glauben5). Die
Lehre von der Gnadenwahl wurde von den Rechtgläubigen
immer festgehalten und wenn auch die freieren Secten die Un-
vereinbarkeit der Schicksalsbestimmung und des Strafgerichtes
mit der göttlichen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit klar erkannten
und mildere Ansichten vertraten6), so blieb wie anderwärts die

1) Wahl, Qorân, Sure II, S. 7.
2) Sure LXXV. Wahl, Qorân. S. 649.
3) vgl. die Beschreibung des Paradieses bei M. Wolff, Muhammedanische
Eschatologie. Leipzig 1872. cap. 45—49. S. 185—207.
4) Sprenger, Mohammad. Bd. 2. S. 307.
5) Qorân, Sure X, übers. v. Wahl. S. 168—169. vgl. auch Sure LXXVI,
30 u. v. Kremer, Ideen des Islâms. S. 9.
6) v. Kremer, Herrschende Ideen des Islâms. S. 280.
Peschel, Völkerkunde. 21
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[321/0339] Der Islâm. schrift seiner dichterischen Sprache zu statten und er versäumte keine Gelegenheit an die bereits vollstreckten Strafgerichte bibli- scher und altarabischer Legenden zu mahnen. Andrerseits ver- hiess er in ermüdenden Wiederholungen den Gläubigen und den Gerechten einen Wonneaufenthalt nach volksthümlichem Geschmack, einen schattigen Garten mit sprudelndem Wasser, köstlichen Früchten, schwellenden Ruhekissen und einem Frauengeschlecht, das alle geforderten Reize vereinigte, um ewige Begierden ewig zu stillen. Allerdings enthält der Qorân Stellen, welche jene be- rauschenden Schilderungen nur auf Gleichnisse für menschliches Verständniss herabsetzen 1), andre bezeichnen das Anschauen der Herrlichkeit Gottes als den Lohn des Frommen 2), aber die un- heimliche Anziehungskraft des Islâm gründete sich auf das buch- stäbliche Verständniss jener sinnlichen Verheissungen und die späteren Ueberlieferungen haben nicht gesäumt, die gierigen Er- wartungen der Gläubigen mit märchenhaften Schilderungen des Paradieses zu sättigen 3). Der bedenklichste Inhalt des Qorân betrifft die Läugnung der menschlichen Willensfreiheit. Das Schicksal eines jeden Men- schen ist vorher bestimmt und aufgezeichnet, so dass der Lebens- wandel sich zu dieser Schrift verhält wie das Schauspiel zu dem Texte einer dramatischen Dichtung 4). Die Verdammniss ist nach einem unwiderruflichen Rathschluss Gottes über diejenigen ver- hängt die sie treffen wird; denn, fährt der Qorân fort, hätte Allah gewollt, so würden alle Menschen geglaubt haben, ohne seinen Willen aber gelange keine Seele zum Glauben 5). Die Lehre von der Gnadenwahl wurde von den Rechtgläubigen immer festgehalten und wenn auch die freieren Secten die Un- vereinbarkeit der Schicksalsbestimmung und des Strafgerichtes mit der göttlichen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit klar erkannten und mildere Ansichten vertraten 6), so blieb wie anderwärts die 1) Wahl, Qorân, Sure II, S. 7. 2) Sure LXXV. Wahl, Qorân. S. 649. 3) vgl. die Beschreibung des Paradieses bei M. Wolff, Muhammedanische Eschatologie. Leipzig 1872. cap. 45—49. S. 185—207. 4) Sprenger, Mohammad. Bd. 2. S. 307. 5) Qorân, Sure X, übers. v. Wahl. S. 168—169. vgl. auch Sure LXXVI, 30 u. v. Kremer, Ideen des Islâms. S. 9. 6) v. Kremer, Herrschende Ideen des Islâms. S. 280. Peschel, Völkerkunde. 21

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/339>, abgerufen am 18.04.2024.