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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Der israelitische Monotheismus.
träglich und eure Jubelfeiern und schändlichen Gelage bis in die
Seele verhasst. Wenn ihr eure Hände aufhebt kehre ich meine
Blicke ab; mögt ihr eure Gebete noch so oft wiederholen, ich er-
höre sie nicht, denn eure Hände sind mit Blut befleckt. Reiniget,
säubert euch, beseitigt eure schuldvollen Gedanken vor meinem
Antlitz, verabschiedet eure Verkehrtheiten, übt euch im Wohlthun,
trachtet nach Gerechtigkeit, helft den Gedrückten, setzt die Waisen
in das Ihrige und schützt die Wittwen. Dann kommt mich anzu-
rufen, spricht der Herr. Und wenn eure Versündigungen dem
Scharlach glichen, sollten sie wie der Schnee leuchten, und wenn
sie wie Purpur glühten, sollten sie wie Vliesse erbleichen."

Uebrigens werden schon Samuel die Worte in den Mund ge-
legt, dass Jahve am Gehorsam mehr Wohlgefallen habe als am
Opfer 1). Dass letzteres nicht etwa als eine Art zweiseitigen Ver-
trages die Gottheit binde, wurde ausdrücklich von den Propheten
verneint und dem Wahne gesteuert, als könnte durch irgend welchen
Ritus auch der leiseste Zwang auf den göttlichen Willen ausge-
übt werden. Sobald die innere sittliche Läuterung und die Abstellung
gesellschaftlicher Gebrechen als ein göttliches Gebot gefordert
werden, fällt das ethische Gebiet mit dem religiösen zusammen. Soll
die Verehrung dem höchsten Wesen durch strengen und gerechten
Wandel bezeugt werden, dann strebt durch Verklärung des Gottes-
willens der Mensch, bewusst oder unbewusst, mit der Erfüllung
höherer Pflichten nach einem höheren Werthe seines eignen Daseins.

Auch die Vorstellungen von Gott selbst werden mehr und
mehr der rohen Sinnlichkeit entrückt. Wenn Jahve noch wie ein
Nomad abwärts zieht mit Jacob in ägyptisches Gebiet, so kann
dagegen niemand mehr dem allgegenwärtigen Gott des Psalmen-
dichters entrinnen, selbst nicht mit den Flügeln der Morgenröthe 2).
Der räumlich unbeschränkte Gott wird auch als ewig anerkannt.
Vor der sichtbaren Körperwelt wird er als vorhanden gedacht
und menschlichen Zeitvorstellungen wird der entrückt, dem ein
Jahrtausend wie der gestrige Tag oder eine Nachtwache sind.

So offenbart sich nicht plötzlich wohl aber unvermerkt und

1) 1. Reg. XV, 22. und Ewald israelit. Geschichte 3. Aufl. Bd. 3.
S. 55. ebenso Ps. 51. v. 18--19.
2) Ps. 138, v. 7. ffe.
Peschel, Völkerkunde. 20

Der israelitische Monotheismus.
träglich und eure Jubelfeiern und schändlichen Gelage bis in die
Seele verhasst. Wenn ihr eure Hände aufhebt kehre ich meine
Blicke ab; mögt ihr eure Gebete noch so oft wiederholen, ich er-
höre sie nicht, denn eure Hände sind mit Blut befleckt. Reiniget,
säubert euch, beseitigt eure schuldvollen Gedanken vor meinem
Antlitz, verabschiedet eure Verkehrtheiten, übt euch im Wohlthun,
trachtet nach Gerechtigkeit, helft den Gedrückten, setzt die Waisen
in das Ihrige und schützt die Wittwen. Dann kommt mich anzu-
rufen, spricht der Herr. Und wenn eure Versündigungen dem
Scharlach glichen, sollten sie wie der Schnee leuchten, und wenn
sie wie Purpur glühten, sollten sie wie Vliesse erbleichen.“

Uebrigens werden schon Samuel die Worte in den Mund ge-
legt, dass Jahve am Gehorsam mehr Wohlgefallen habe als am
Opfer 1). Dass letzteres nicht etwa als eine Art zweiseitigen Ver-
trages die Gottheit binde, wurde ausdrücklich von den Propheten
verneint und dem Wahne gesteuert, als könnte durch irgend welchen
Ritus auch der leiseste Zwang auf den göttlichen Willen ausge-
übt werden. Sobald die innere sittliche Läuterung und die Abstellung
gesellschaftlicher Gebrechen als ein göttliches Gebot gefordert
werden, fällt das ethische Gebiet mit dem religiösen zusammen. Soll
die Verehrung dem höchsten Wesen durch strengen und gerechten
Wandel bezeugt werden, dann strebt durch Verklärung des Gottes-
willens der Mensch, bewusst oder unbewusst, mit der Erfüllung
höherer Pflichten nach einem höheren Werthe seines eignen Daseins.

Auch die Vorstellungen von Gott selbst werden mehr und
mehr der rohen Sinnlichkeit entrückt. Wenn Jahve noch wie ein
Nomad abwärts zieht mit Jacob in ägyptisches Gebiet, so kann
dagegen niemand mehr dem allgegenwärtigen Gott des Psalmen-
dichters entrinnen, selbst nicht mit den Flügeln der Morgenröthe 2).
Der räumlich unbeschränkte Gott wird auch als ewig anerkannt.
Vor der sichtbaren Körperwelt wird er als vorhanden gedacht
und menschlichen Zeitvorstellungen wird der entrückt, dem ein
Jahrtausend wie der gestrige Tag oder eine Nachtwache sind.

So offenbart sich nicht plötzlich wohl aber unvermerkt und

1) 1. Reg. XV, 22. und Ewald israelit. Geschichte 3. Aufl. Bd. 3.
S. 55. ebenso Ps. 51. v. 18—19.
2) Ps. 138, v. 7. ffe.
Peschel, Völkerkunde. 20
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[305/0323] Der israelitische Monotheismus. träglich und eure Jubelfeiern und schändlichen Gelage bis in die Seele verhasst. Wenn ihr eure Hände aufhebt kehre ich meine Blicke ab; mögt ihr eure Gebete noch so oft wiederholen, ich er- höre sie nicht, denn eure Hände sind mit Blut befleckt. Reiniget, säubert euch, beseitigt eure schuldvollen Gedanken vor meinem Antlitz, verabschiedet eure Verkehrtheiten, übt euch im Wohlthun, trachtet nach Gerechtigkeit, helft den Gedrückten, setzt die Waisen in das Ihrige und schützt die Wittwen. Dann kommt mich anzu- rufen, spricht der Herr. Und wenn eure Versündigungen dem Scharlach glichen, sollten sie wie der Schnee leuchten, und wenn sie wie Purpur glühten, sollten sie wie Vliesse erbleichen.“ Uebrigens werden schon Samuel die Worte in den Mund ge- legt, dass Jahve am Gehorsam mehr Wohlgefallen habe als am Opfer 1). Dass letzteres nicht etwa als eine Art zweiseitigen Ver- trages die Gottheit binde, wurde ausdrücklich von den Propheten verneint und dem Wahne gesteuert, als könnte durch irgend welchen Ritus auch der leiseste Zwang auf den göttlichen Willen ausge- übt werden. Sobald die innere sittliche Läuterung und die Abstellung gesellschaftlicher Gebrechen als ein göttliches Gebot gefordert werden, fällt das ethische Gebiet mit dem religiösen zusammen. Soll die Verehrung dem höchsten Wesen durch strengen und gerechten Wandel bezeugt werden, dann strebt durch Verklärung des Gottes- willens der Mensch, bewusst oder unbewusst, mit der Erfüllung höherer Pflichten nach einem höheren Werthe seines eignen Daseins. Auch die Vorstellungen von Gott selbst werden mehr und mehr der rohen Sinnlichkeit entrückt. Wenn Jahve noch wie ein Nomad abwärts zieht mit Jacob in ägyptisches Gebiet, so kann dagegen niemand mehr dem allgegenwärtigen Gott des Psalmen- dichters entrinnen, selbst nicht mit den Flügeln der Morgenröthe 2). Der räumlich unbeschränkte Gott wird auch als ewig anerkannt. Vor der sichtbaren Körperwelt wird er als vorhanden gedacht und menschlichen Zeitvorstellungen wird der entrückt, dem ein Jahrtausend wie der gestrige Tag oder eine Nachtwache sind. So offenbart sich nicht plötzlich wohl aber unvermerkt und 1) 1. Reg. XV, 22. und Ewald israelit. Geschichte 3. Aufl. Bd. 3. S. 55. ebenso Ps. 51. v. 18—19. 2) Ps. 138, v. 7. ffe. Peschel, Völkerkunde. 20

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/323>, abgerufen am 20.04.2024.